Steuersparmodell

Riesiges „Goldfinger“-Strafverfahren wird zum Desaster für die Staatsanwaltschaft

Im Prozess um das Steuersparmodell hält das Landgericht Augsburg eine Verfahrenseinstellung für vernünftig. Das Gericht übt außerdem harsche Kritik an der Arbeit der Ermittler.

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Goldbarren liegen bei einem Münchner Händler

Mit 800 Fahndern rückte die Staatsanwaltschaft Augsburg Anfang 2018 aus und durchsuchte 200 Objekte. Jetzt endet das Verfahren demnächst wohl im Desaster.(Foto: dpa)

Düsseldorf. Es sei ein „Zombie-Verfahren“ und „Staatskriminalität reinsten Wassers“: Mit deftigen Bezeichnungen hat der Münchner Anwalt und Steuerberater Wolfgang Bein* immer wieder den Strafprozess bezeichnet, der vor dem Augsburger Landgericht gegen ihn und den mitangeklagten Kollegen Sebastian Merk* geführt wird. Augsburg sei ein „völlig rechtsfreier Raum, in dem Banden der Steuerfahndung und Staatsanwaltschaft ohne jede Aufsicht und Kontrolle durch Gerichte ihr Unwesen treiben können“, legte Bein gerne nach, dem die Ermittler ihm besonders schwere Steuerhinterziehung vorwarfen.

Seit diesem Mittwoch steht das Verfahren gegen das Duo wohl vor seinem Ende. Einen entsprechenden Hinweisbeschluss erteilte die zehnte Strafkammer des Landgerichts Augsburg. Er halte es für „vernünftig, gerecht und juristisch richtig, alle Verfahren in dem Goldfinger-Komplex zeitnah einzustellen“, so der Vorsitzende Richter Johannes Ballis. Das Gericht meldete „durchgreifende Bedenken an der rechtlichen Einordnung der Staatsanwaltschaft und dem angedachten Tatnachweis“ an.

Damit dürfte nicht nur der Prozess gegen Merk und Bein in sich zusammenbrechen, sondern auch eine Anklage gegen knapp 20 weitere Angeschuldigte, die später verhandelt werden sollte. Auch die Ermittlungen gegen rund 100 weitere Beschuldigte könnten ein Ende finden.

Der Fall machte bundesweit Schlagzeilen, vor allem wegen der Beteiligung zahlreicher Millionäre, die in das Goldfinger-Modell investiert hatten. Im Mittelpunkt stehen die beiden Steueranwälte Bein und Merk. Ihnen werfen die Ermittler vor, Organisatoren einer gewaltigen Steuerhinterziehung zu sein. Angenommener Schaden: Mehrere Hundert Millionen Euro. Und insgesamt mehr als 100 Beschuldigten. „Goldfinger“, so hieß das Anlagemodell, benannt nach dem gleichnamigen James-Bond-Film.

Im Januar 2018 waren Merk und Bein verhaftet worden. Sie saßen mehr als vier Monate lang in Untersuchungshaft. Die Kanzlei der beiden zerbrach. Ab dem vergangenen November mussten sie auf der Anklagebank Platz nehmen. Geplant waren mehr als 80 Verhandlungstage, erst 2021 sollte ein Urteil gesprochen werden.

Nun droht der Staatsanwaltschaft ein Desaster. „Weitere Hauptverhandlungen in diesem Komplex müssten als Ressourcenverschwendung angesehen werden“, so Ballis – ein vernichtender Hinweis an die Adresse der Ermittler, die mindestens noch ein weiteres Ermittlungsverfahren zur Anklage bringen wollten.

Mehr als 20 Firmengeflechte rechneten die Strafverfolger Merk und Bein zu, mit denen sie, so der Vorwurf, gewerblichen Goldhandel in Großbritannien vorspiegelten, um in Deutschland steuerlich wirksame Verluste zu produzieren. Tatsächlich aber sei der Edelmetallhandel von München aus betrieben worden. Eine Betriebsstätte in Großbritannien sei nur vorgetäuscht gewesen, trugen die Ermittler vor.

Der Prozess geriet schnell ins Schlingern

Erhebliche Zweifel an der Theorie waren schon in den vergangenen Monaten aufgekommen. Denn die Anwälte der Angeklagten legten zahlreiche Unterlagen vor, die eine rege Betriebstätigkeit belegten. Monatliche Reports etwa einer Geschäftsführerin, deren Tätigkeit die Staatsanwaltschaft anzweifelte. Darunter: Buchungen, Jahresabschlüsse, Transaktionslisten von gehandeltem Gold. Selbst Fotos von Goldbarren aus dem Tresorbestand einer Firma konnten die Juristen vorlegen, ebenso wie Protokolle von Zeugenaussagen über Goldgeschäfte in Großbritannien.

Das überzeugte das Gericht. Es machte deutlich, dass die Beweisaufnahme bisher nicht ergeben habe, dass die Angeklagten ein Steuerhinterziehungsmodell aufsetzen wollten. Die Kammer erkenne auch nicht, dass die Angeklagten in den Steuererklärungen falsche Angaben gemacht oder Tatsachen verschwiegen hätten. Die Konsequenz: Den Haftbefehl gegen Merk und Bein, der bisher nur außer Vollzug gesetzt war, hob das Gericht auf.

Zwar hätten die Angeklagten an der ein oder anderen Stelle nicht sauber gearbeitet. Doch um womöglich zu einer Verurteilung zu kommen, müsse man schon zehn hintereinander folgende Weichen überfahren und dann immer zuungunsten der Angeklagten abbiegen, so das Gericht. Es schlug eine Einstellung des Verfahrens gegen Geldauflage vor, nachdem die Angeklagten durch den Prozess und die Untersuchungshaft schon existenziell gebüßt hätten. Die Staatsanwaltschaft und die Angeklagten haben nun bis Mitte Juni Zeit für eine Stellungnahme.

Ein Fall für die Finanzgerichte

Die Ermittlungsbehörde hat trotz aller von den Angeklagten vorgebrachten Argumenten bis heute an den Vorwürfen festgehalten. Und das Gericht tat sich lange schwer, sich von den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft zu distanzieren. Nun zeichnet sich aber das Ende des Strafprozesses ab. Das Verfahren sei wohl vor einem Strafgericht nicht richtig aufgehoben, deutete der Richter an. Er ließ durchblicken, dass es eher um Fragen gehe, die den Finanzgerichten vorbehalten sein sollten.

Tatsächlich ist das Augsburger Strafverfahren soweit bekannt das bis dato erste um das umstrittene Anlagemodell „Goldfinger“. Das Modell war lange bei deutschen Spitzenverdienern sehr beliebt und kostete den Fiskus laut Bundesrechnungshof Hunderte Millionen Euro pro Jahr. Trotz dessen Warnungen brauchte der Gesetzesgeber bis 2013, um die „unerwünschte Gestaltung“ zu beenden. 2017 entschied der Bundesfinanzhof dann, dass das Modell Goldfinger grundsätzlich kein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten sei. Doch um die alten Geschäfte und deren Details gab und gibt es bis heute zumindest vor den Finanzgerichten weiter Streit.

„Warum das Gericht die Anklage zugelassen hab, wird sein Geheimnis bleiben“, hatte Bein schon vor Monaten geäußert und dem Gericht Arroganz und Borniertheit vorgeworfen. Er und sein Kollege Merk wissen noch nicht, ob sie einer Einstellung des Verfahrens gegen Geldauflage zustimmen oder den Prozess fortführen wollen, um einen Freispruch zu erwirken.

Ihre Zustimmung zu einer Einstellung sei allenfalls bei einer Geldauflage in symbolischer Höhe denkbar, sagte Merk auf Handelsblatt-Nachfrage. Die Staatsanwaltschaft wollte sich auf Nachfrage nicht dazu äußern, ob sie einer Einstellung des Verfahrens zustimmen wird. Dies werde sie zu gegebener Zeit zunächst dem Gericht mitteilen.
*Name geändert

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