Corona: Bessere Konzepte für Kinderschutz gefordert
by Südwest Presse Online-Dienste GmbHCorona wird das Land noch monatelang im Griff behalten - ohne auf die Krise zugeschnittene Angebote etwa von Jugendämtern oder sozialen Einrichtungen könnte der Schutz von Kindern und Jugendlichen aus Sicht von Experten Schaden nehmen. „Ich sehe großen Entwicklungsbedarf“, sagte Jürgen Strohmaier, Leiter des Referates Hilfe zur Erziehung beim Landesjugendamt Stuttgart. „Die Krise wird zur Normalität werden. Dafür haben wir kein umfassendes Konzept“, warnte er.
So müsse man verstärkt die Möglichkeit offener Jugendarbeit über digitale Medien nutzen. Einige der 46 Jugendämter im Südwesten hätten etwa in ihren Erziehungsberatungsstellen Kameras installiert: Familien oder Jugendliche in Not könnten dort anrufen und den Berater sehen. Auf Wunsch könne der Anrufer auch selbst gesehen werden „und sich von Angesicht zu Angesicht beraten lassen“, erklärte Strohmaier.
Man müsse sich auf mindestens sechs weitere Monate der Corona-Krise einstellen und auf eine mögliche zweite Welle. „Ich will da gar nichts beschönigen. Wir haben viel zu tun“, sagte er auch mit Blick auf die Videokonferenz der Jugend- und Familienminister (JFMK) der Länder am Mittwoch unter Vorsitz Baden-Württembergs.
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) sagte nach der Konferenz, der Gesetzentwurf zur Reform der Kinder- und Jugendhilfe stehe kurz vor der regierungsinternen Abstimmung. „Wir wollen einen besseren Kinder- und Jugendschutz, mehr Beteiligung von jungen Menschen, Eltern und Familien.“
Bei der Reform des Sozialgesetzbuchs (SGB) 8 geht es unter anderem um Kinder und Jugendliche, die in Heimen groß werden, oder um Kinder, bei deren Erziehung das Jugendamt Unterstützung gibt. Unter anderem soll die Heimaufsicht gestärkt werden. Ein Expertengremium mit Fachleuten aus Bund, Ländern, Kommunen sowie Kinder- und Jugendhilfeverbänden hatte dem Ministerium Vorschläge für die Reform unterbreitet.
„Ich würde mir sehr wünschen, dass niederschwellige Angebote zunehmen und finanziert würden für Kinder und Familien“, sagte Bettina Müller, die als Psychologin beim ausschließlich spendenfinanzierten Kinderschutzzentrum Ulm/Neu-Ulm arbeitet. Sie forderte einen Hilfsfonds für solche Zentren - ähnlich dem Hilfsfonds für Frauenhäuser. Wichtig sei, dass auch während der Pandemie viele Ansprechpartner zur Verfügung stünden, sagte der Vorstandschef der Diakonie Württemberg, Dieter Kaufmann. Angebote für junge Menschen müssten möglichst früh wieder geöffnet werden.
Die Corona-Krise habe lediglich neues Licht auf alte Probleme geworfen, monierte in diesem Zusammenhang Michael Gomolzig, Sprecher des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE). „Wir müssen in Lehrer und Schulsozialarbeit investieren.“ Sonst blieben genau die Kinder auf der Strecke, die auch sonst schwer zu erreichen seien.
Strohmaier betonte unterdessen aber auch: „Zu Familien, die vor Corona in der Krise waren, haben wir weiterhin Kontakt.“ Es gebe einen Austausch per Telefon, Video, Skype, sogar Treffen unter den nötigen Sicherheitsvorkehrungen seien möglich. Nur weil Kitas und Schulen zu gewesen und teilweise immer noch geschlossen seien, „heißt das noch lange nicht, dass wir aufgehört haben, hinzuschauen“.
Valide Zahlen beispielsweise zur Zunahme häuslicher Gewalt gegen Kinder oder Jugendliche gebe es nicht. „Wir werden das erst im Nachgang sehen“, sagte er. Es gebe aber ein Dunkelfeld, das wegen Corona noch dunkler geworden sei. „Und wir haben keine Taschenlampe, mit der wir da rein leuchten können.“
Stellungnahme des Deutschen Kinderschutzbundes vom 5. Mai zur "Situation von Kindern und Jugedlichen in der Corona-Krise"
Eckpunktepapier zum Thema Ambulante Erziehungshilfen in Zeiten von Corona vom 18. Mai
15. Kinder- und Jugendbericht des BMFSFJ vom März 2017