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dpa/Ricardo Moraes/Pool Reuters/AP Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro.

Brasilien wird zum neuen Epizentrum: Corona erfasst Brasilien: Wie der „Amazonas-Trump“ gerade sein Land an die Wand fährt

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Brasilien wurde vergleichsweise spät von der Corona-Krise erfasst, doch ist das Land inzwischen eines der Epizentren der Pandemie. Jair Bolsonaro, der rechtsradikale Präsident, vernachlässigt die Krise schmählich. Ihn interessiert nur die Wirtschaft. Ein neu aufgetauchtes Video von Ende April zeigt wüste Beschimpfungen gegen Gouverneure und Polizei statt Krisenmanagement.

Als die Coronavirus-Pandemie sich Anfang März in Europa ausbreitete, ließen sich Brasiliens Coronavirus-Fälle an einer Hand abzählen. Anfang April waren es nur wenige Tausend, während in Italien die Fallzahl explodierte und in den sechsstelligen Bereich schoss. Fast zwei Monate später steht Brasilien deutlich schlechter da.

Mittlerweile gibt es in dem Land mehr als 363.000 Fälle, wie Daten der US-Universität John Hopkins zeigen. Das sind mehr als doppelt so viele Fälle wie hier in Deutschland, und immer noch fast 40 Prozent mehr als das am stärksten betroffene Land in Europa, Großbritannien. Mit mehr als 22.000 Verstorbenen hat das Land zwar weniger Tote zu beklagen als Frankreich, Italien oder Spanien. Es scheint jedoch nur noch eine Frage der Zeit, bis Brasilien auch hier den zweiten Platz hinter den USA einnimmt.

Video aufgetaucht: Bolsonaro beschimpft Gouverneure wüst

Ein Video von einer Kabinettssitzung Ende April, das jetzt aufgetaucht ist, schockiert die brasilianische Bevölkerung: Obwohl auch damals schon 3000 Menschen im Land am Coronavirus gestorben waren, war das Krisenmanagement in der zweistündigen Sitzung kein Thema. Stattdessen fielen Kraftausdrücke. Gouverneure, die Ausgangsbeschränkungen verordneten - und sich dem rechtsradikalen Präsidenten damit widersetzten -, wurden von Bolsonaro als "Stück Scheiße" und "Haufen Mist" beschimpft.

Veröffentlicht wurde das Video am Freitag von Richter Celso de Mello vom Obersten Gerichtshof. Dass es existiert, war bekannt geworden, nachdem der beliebte Justizminister Sergio Moro zwei Tage nach der Sitzung zurückgetreten war. Er warf Bolsonaro vor, die Arbeit der Bundespolizei beeinflussen zu wollen.

Korruptionsvorwürfe gegen Bolsonaro erhoben

Im Video ging es nämlich auch um Untersuchungen gegen Bolsonaro und seine engsten Vertrauten, unter anderem Sohn Carlos, die die Polizei anstellt. Bolsonaro beschwert sich darüber, dass die Bundespolizei ihm keine Informationen dazu gebe: "Ich werde nicht darauf warten, dass sie meine Familie und Freunde in die Scheiße reiten", sagt er. Er könne so nicht arbeiten. "Deshalb werde ich mich einmischen, Punkt. Das ist keine Drohung... es ist die Wahrheit." Der Präsident selbst sieht in dem Video keine Hinweise auf eine Einmischung in die Arbeit der Bundespolizei seinerseits. Seine Kritiker sehen das anders.

Für Brasiliens Arme gilt: „Wenn du daheim bleibst, verhungerst du“

Ein großes Problem in Brasilien ist die massive soziale Ungleichheit. Dies wird während der Krise nun immer deutlicher. Ohne Schutz durch die Regierung, sind Arme besonders gefährdet: Während sich vermögendere Brasilianer isolieren können, müssen die Ärmsten des Landes weiter zur Arbeit. „Wenn du daheim bleibst, verhungerst du eben“, sagte eine Einwohnerin eines Favelas in der 12-Millionen-Einwohner-Metropole Sao Paolo gegenüber „CNN“.

Wie „CNN“ weiter berichtete, klagte eine nun arbeitslose Reinigungskraft, sie habe noch nicht einmal ihr Arbeitslosengeld von monatlich umgerechnet 100 Dollar erhalten: „Das System ist abgestürzt. Ich muss nach Hause gehen und es später nochmal versuchen.“ Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr lag der Mindestlohn des Landes bei rund 250 Dollar im Monat.

Doch nicht nur unter den Ärmsten Brasiliens ist die Lage desolat. Die Gesundheitssysteme des Landes stehen vor dem Kollaps. Immer weniger Brasilianer halten sich an die Quarantäne-Maßnahmen. Erst in der vergangenen Woche warnte der Bürgermeister Sao Paolos, dass die Krankenhäuser unter der Flut an Fällen einbrechen könnten. Die Stadt verordnete sogar einen fünftägigen Sonderurlaub, um den Einwohnern die Isolation daheim zu ermöglichen.

Bolsonaro verharmlost Pandemie als „kleine Grippe“

Ausgerechnet Präsident Jair Bolsonaro selbst verschlimmert die Lage Brasiliens noch. Der auch als „Trump des Amazonas“ bekannte Politiker tat die Lungenkrankheit Covid-19 wiederholt als „kleine Grippe“ ab, und sagte Anfang Mai, trotz explodierender Fallzahlen, dass „die Nebeneffekte im Kampf gegen das Virus nicht schädlicher als das Virus selbst“ sein dürfen.

Bolsonaro bezog sich damit auf die Gefahr wachsender Arbeitslosigkeit und einer ausgebremsten Konjunktur. Wiederholt betonte Bolsonaro, dass ihm die Wirtschaft wichtiger sei als die Eindämmung der Pandemie – und verwirrte mit fragwürdigen Kommentaren. „Brasilianer sollten studiert werden, wir fangen uns gar nichts ein. Man sieht hier Leute, die ins Abwasser springen, eintauchen, und denen passiert nichts“, sagte Bolsonaro etwa Ende März.

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Wegen seiner Befürchtungen um die Wirtschaft ordnete Bolsonaro keinen landesweiten Lockdown an. Stattdessen überließ er den Gouverneuren der Provinzen die Handhabung der Pandemie – und verurteilte anschließend die Regionalverwaltungen, die strengere Maßnahmen ergriffen. Auch mit den eigenen Kabinettsmitgliedern legte sich Bolsonaro an.

Bolsonaro verheizte binnen Monaten zwei Gesundheitsminister

Den Gesundheitsminister Luiz Mandetta etwa feuerte Bolsonaro im April, da dieser, entgegen Bolsonaros Wünschen, weiter zu Abstandsmaßnahmen riet. Mandettas Nachfolger Nelson Teich trat nach nur vier Wochen im Amt zurück, augenscheinlich, weil Bolsonaro die Öffnungspläne Teichs für die Wirtschaft zu zaghaft waren.

Zusätzlich hatte Teich den Einsatz des Malaria-Medikaments Hydroxychloroquin abgelehnt. Wie sein US-amerikanischer Amtskollege Donald Trump fordert Bolsonaro den Einsatz des Mittels gegen Covid-19 – obwohl immer mehr Studien, sogar in Brasilien selbst, auf eine potenziell höhere Sterblichkeit durch den Einsatz des Mittels hindeuten.

Weltbank erwartet für Brasilien schlimmsten Einbruch seit Datenerhebung

Am Ende könnte Bolsonaros Vernachlässigung der Pandemie genau das mit sich bringen, was der Präsident verhindern will – eine heftige Rezession, die schlimmer als bei einem strikteren Lockdown ausfallen könnte. Die Schweizer Großbank UBS beispielsweise korrigierte Ende April ihre Jahresprognose für Brasilien von minus 2,0 auf minus 5,5 Prozent BIP-Rückgang.

Die Weltbank wiederum rechnet mit einem Minus beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 5,0 Prozent, was der größte Konjunktur-Crash in mindestens einem halben Jahrhundert wäre. Das bisher größte Minus seit Beginn der Datenerhebung durch die Weltbank lag im Jahr 1961 bei 4,4 Prozent.

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Damit dürfte Brasiliens Wirtschaft zwar weniger stark schrumpfen als beispielsweise in Deutschland. Allerdings schlitterte das Land erst vor wenigen Jahren schon einmal in eine Rezession, die von 2015 bis 2016 andauerte. Die fragile Erholung seitdem wäre damit wieder zunichte.

Brasilien droht „signifikanter Rückgang“ ausländischer Investments

Zudem dürfte es Brasilien schwerer haben, nach der Pandemie wieder in die Spur zu finden. Als Schwellenland braucht Brasilien ausländische Investments, um das Wachstum voranzutreiben. Die Weltbank erwartet jedoch, dass der „globale und heimische Nachfrageschock“ zu einem „signifikanten Rückgang der Investments“ führen wird.

Das erwartet auch Robert Wood, Chefökonom des Analysehauses Economist Intelligence Unit. „ Brasilien wird mit einem hohen Schuldenberg in das Jahr 2021 gehen, und es wird schwer werden, ausländisches Investmentkapital anzuziehen“, sagte Wood gegenüber „CNBC“.

An den Börsen jedenfalls überwiegt noch die Skepsis. Auf Jahressicht notiert der brasilianische Leitindex Bovespa 29 Prozent im Minus. Zwar hat sich der Bovespa, ähnlich wie Dax und Dow Jones, aus dem Crash-Tief heraus um gut ein Drittel erholt. Dennoch stehen Dax und Dow Jones mit minus 15 respektive minus 17 Prozent auf Jahressicht deutlich besser da als der brasilianische Markt.

Geschasster Minister prophezeit: Höhepunkt steht noch bevor

Unterdessen pocht Brasiliens Präsident weiter auf eine schnelle Öffnung der Wirtschaft, um den konjunkturellen Schaden zu minimieren. Wie „CNN“ schrieb, nahm Bolsonaro sogar persönlich an Anti-Lockdown-Demonstrationen teil, um sich von seinen Anhängern feiern lassen zu können. Dem Präsidenten zufolge sei „das Schlimmste“ auch schon überstanden.

Der geschasste Minister Mandetta sieht das anders. Kurz vor seiner Entlassung sagte er noch, dass der Höhepunkt der Pandemie in Brasilien voraussichtlich in den Monaten Mai und Juni kommen wird. Eine verfrühte Öffnung, wie von Bolsonaro gewünscht, könnte die Lage Brasiliens also noch weitaus verschlimmern – was auch die Folgen für die Wirtschaft vergrößern würde. Die Volkswirte der UBS warnten davor, dass die Rezession im schlimmsten Szenario sogar über zehn Prozent der Wirtschaftsleistung fordern könnten.

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