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Sebastian Gollnow/dpa Polizisten kontrollieren die Einhaltung der Corona-Vorschriften.

Alleingänge allerorten: Bußgeld-Stopp in Berlin, 1000-Euro-Strafe in BaWü: Jetzt droht das große Corona-Chaos

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Die vergangenen Tage haben erneut gezeigt, dass in der Corona-Politik jedes Bundesland seinen eigenen Weg geht. Das macht die Corona-Lage in Deutschland endgültig unübersichtlich: Während Berlin keine Bußgelder mehr verhängen darf, muss eine Familie in Baden-Württemberg 1000 Euro für einen Spaziergang zahlen. Droht uns jetzt das große Corona-Chaos?

Wochenlang hatte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in die Rolle der Moderatorin begeben und mühsam Kompromisse zwischen Bund und Ländern ausgehandelt. Wie gebannt schaute Deutschland in den dann folgenden Presserunden auf die Kanzlerin – und das, was sie zu verkünden hatte. Doch damit ist jetzt Schluss. Bis auf Weiteres wird es keine Schaltkonferenzen mehr zwischen Merkel und den Länderchefs geben.

Die Länder können über die schrittweise Öffnung des öffentlichen Lebens weitgehend in eigener Verantwortung entscheiden – sie übernehmen wieder maßgeblich die Regie.

Grundsätzlich kann eine stärkere Regionalisierung der Corona-Regeln sinnvoll sein. Übersichtlicher macht das die Situation in Deutschland jedoch keineswegs. Droht jetzt das Corona-Chaos? Einige Beispiele:

Bußgeld-Stopp in Berlin

Am Dienstag setzte der Berliner Verfassungsgerichtshof den Bußgeldkatalog für Verstöße gegen Corona-Bestimmungen teilweise außer Kraft. Verstöße gegen den Mindestabstand und die Reduzierung von Kontakten auf ein Minimum dürfen nicht mehr mit Bußgeldern geahndet werden. Bürger könnten nicht klar erkennen, welche Handlung oder Unterlassung bußgeldbewehrt sei. Dies könne gerade rechtstreue Bürger veranlassen, sich in ihren Grundrechten noch weiter zu beschränken, als es erforderlich wäre, um keine Ordnungswidrigkeit zu begehen, hieß es in dem Beschluss des höchsten Berliner Gerichts.

Im Bußgeldkatalog zur Corona-Eindämmungsverordnung des Landes sind Sanktionen von bis zu 25.000 Euro bei Verstößen gegen unterschiedlichste Beschränkungen vorgesehen. Bei Verstößen gegen das Mindestabstandsgebot von 1,5 Metern zu haushaltsfremden Personen im öffentlichen Raum etwa wurden bislang bis zu 500 Euro fällig.

Alle Informationen zum Coronavirus im News-Ticker von FOCUS Online.

1000-Euro-Strafe in Baden-Württemberg

Doch wie sehr sich die Corona-Situation von Bundesland zu Bundesland unterscheidet, zeigt dieses Beispiel aus Baden-Württemberg: Eine fünfköpfige Familie aus Stuttgart musste erfahren, dass ein gemeinsamer Feiertagsspaziergang richtig teuer werden kann. Als die Familie an einer Waldecke näher als die erlaubten 1,5 Meter zusammenrückte, schritten Polizisten ein. Das berichten die „Stuttgarter Nachrichten“ unter Berufung auf die Familie.

Die Familie bekam vom Ordnungsamt einen Bescheid in Höhe von 1000 Euro – 200 Euro Strafe für jedes Familienmitglied. Der Grund: Die Familienmitglieder sind zwar in gerader Linie miteinander verwandt, leben jedoch in vier getrennten Haushalten.

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Frank Rumpenhorst/dpa

Derzeit seien eine Reihe von umstrittene Fällen und auch Verfahren zu beobachten, sagt der Gelsenkirchener Strafrechtler Arndt W. Kempgens zu FOCUS Online. So betreue er in seiner Kanzlei aktuell den Fall dreier 16-jähriger Schüler, die mit Abstand aber gemeinsam joggten und jetzt 200 Euro pro Nase zahlen sollen. Oder drei Möbelpacker-Kollegen, die nach dem gemeinsamen Job beim Feierabendbier erwischt wurden und ebenfalls 200 Euro pro Person blechen sollen.

„Es wurden tausende Bußgeldverfahren durch die Behörden eingeleitet und übrigens ungewöhnlich schnell Bußgeldbescheide verhängt“, sagt der Jurist. Dies sei einerseits nachvollziehbar, weil die Behörden – auch aus Präventionszwecken – schnell reagieren wollten. „Andererseits passieren bei behördlicher Schnelligkeit auch viele handwerkliche Fehler.“ Unklarheiten bei den Regelungen würden jedoch im Endeffekt zu Lasten der Behörden gehen. „Betroffene können sich darauf berufen, um Einstellung der laufenden Bußgeldverfahren zu erreichen“, erklärt der Rechtsanwalt. In vielen Fälle lohne es sich, Einspruch zu erheben.

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Busunternehmer gehen auf die Barrikaden

Welche Schwierigkeiten unterschiedliche Regelungen in den Ländern hervorrufen können, zeigt auch das Beispiel der Busunternehmer. Sie fürchten im Zuge der Corona-Krise um ihre Existenz – und gehen auf die Barrikaden. Mit hunderten Bussen demonstrierten sie an diesem Mittwoch in Berlin. Ein Kritikpunkt: In den Bundesländern gelten unterschiedliche Regelungen, wie viele Fahrgäste überhaupt befördert werden dürfen.

Ein Bus mit 20 Personen, der von Saarbrücken nach Bremen unterwegs sei, dürfte beispielsweise nach den heute geltenden Regeln nicht durch Rheinland-Pfalz fahren, kritisiert Oliver Luksic, verkehrspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Zudem müssten theoretisch auch an anderen Landesgrenzen Gäste aussteigen, da in den Bundesländern unterschiedliche Abstandsregelungen oder Personenobergrenzen in Bussen gelten würden. „Das ist für niemanden zumutbar“, sagte Luksic.

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dpa Zahlreiche Busfahrer nehmen mit ihren Bussen an einer Demonstration von Busunternehmen, Busvermittler und Busreiseveranstaltern vor dem Brandenburger Tor teil

Große Sorgen der Kommunen

Überhaupt ist die Situation an den Landesgrenzen schwierig. Insbesondere in den Thüringer Kommunen herrschte nach dem Vorpreschen von Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) Unruhe. Ramelow hatte einen allgemeinen Ausstieg aus den Corona-Beschränkungen in Aussicht gestellt und sprach von mehr Verantwortung vor Ort. Doch diese Ansage lässt vor allem Bürgermeister an den Landesgrenzen bangen.

So sagte der Bürgermeister des Thüringer Orts Sonneberg, der direkt an der bayerischen Grenze liegt, in der „Welt“: „Wir haben gemeinsame Krankenhäuser, direkt an der Landesgrenze steht ein großes Einkaufszentrum.“ Auch gebe es einen gemeinsamen Stadtbusverkehr von Sonneberg in Thüringen und Neustadt in Bayern, berichtet Bürgermeister Heiko Voigt. „Dort am Ende völlig unterschiedliche Regelungen zu haben, ist nicht praktikabel und auch gar nicht umzusetzen.“

Wird das Corona-Chaos noch größer?

Klar ist, dass die Corona-Regeln in den verschiedenen Bundesländern noch uneinheitlicher werden. Kurz nach der Ansage von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), die Corona-Verantwortung liege jetzt bei den Ländern, gab es weitere Lockerungen. Bayern erlaubt ab Mitte Juni wieder Konzerte, Theater- und Kinobesuche, Hamburg öffnet schon nächste Woche die Freibäder, Brandenburg erlaubt Demonstrationen und Gottesdienste bis 150 Teilnehmern.

„Wegen der unterschiedlichen Länderregelungen droht ein regelrechtes Bußgeldchaos“, sagt Strafrechtler Arndt W. Kempgens voraus. „Was in dem einen Bundesland verboten ist, ist im anderen erlaubt. Hinzu kommen örtliche – völlig unterschiedliche – Auflagen, die ebenfalls zu Bußgeldverfahren führen können“, so der Jurist.

Zu erwarten sind zudem weitere Gerichtsentscheide in den Ländern. „Die Richter werden die Regelungen weiterhin nach Sinn und Unsinn abklopfen und den behördlichen Flickenteppich zumindest an der ein oder anderen Stelle korrigieren“, so Kempgens. Es bleibt unübersichtlich.

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