Erst der Schock, dann der Schub: Der TKH geht neue Wege - und wartet auf Signale
Outdoortraining statt Ohnmacht. Beim Turn-Klubb zu Hannover zieht es die Sportler ins Freie. Eltern-Kind-Sport, Trampolin, Tennis, Turnen - der Verein hat sein Programm in der Corona-Pandemie komplett umgestellt. Der Vorsitzende Hajo Rosenbrock wartet allerdings auch noch auf Signale aus der Politik.
by Carsten BergmannDie virusbedingte Schockstarre ist aus den Knochen gewichen. Mittlerweile herrscht am Freigelände des Turn-Klubbs zu Hannover in Kirchrode wuseliges Treiben – selbstverständlich unter allen notwendigen Corona-Spielregeln. Vorne entsteht ein kleines Basketballfeld, ein paar Meter weiter hinten warten Kletterpark und Trampoline auf die Eltern-Kind-Gruppen. Hinter dem Maschendrahtzaun fliegen die Tennisbälle hörbar mit Mühe über das Netz, die Rehasportgruppe erhöht auf dem angrenzenden Rasen die Belastung.
So etwas wie geschäftiger Alltag ist zurück im Vereinsleben nach Wochen der Ungewissheit.
Der Shutdown kurbelte zwangsläufig die Kreativität bei Hannovers größtem Sportverein mit rund 7000 Mitgliedern in den unterschiedlichsten Abteilungen von Aerobic über Faustball bis Rehasport an. Corona hat spürbar Kraft freigesetzt. Statt in der Turnhalle ging es dank digitaler Angebote im Wohnzimmer weiter, der Kontakt zu den Aktiven blieb fortbestehen.
Bilder vom Sport beim Turn-Klubb zu Hannover in der Corona-Pandemie
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„Gewissermaßen wurden wir zu unserem Glück gezwungen“, sagt Sandy Stoll, die den Sportbetrieb Freizeit- und Kindersport koordiniert. Glück, das merkt Stoll selber schnell, ist in dem Corona-Kontext gefühlt nicht das passende Wort. Und doch beschreibt es die Entwicklung trotz der Pandemie wohl am besten.
Zum Glück gezwungen
Der Turn-Klubb wurde zur Veränderung gezwungen. Eine Veränderung, die im Planungsentwurf lange in den Schubladen der Geschäftsführung schlummerte, aber nie mit absoluter Überzeugung angegangen wurde – weil zur Umsetzungen eben auch Investitionen gehören.
Nun nahm der TKH in der Krise das Geld in die Hand und entwickelte damit nachhaltig neue Formate. „Wir wollen so schnell wie möglich zurück in die Hallen, aber schon heute fragen uns Mitglieder, ob wir die digitalen Angebote beibehalten können“, berichtet die TKH-Koordinatorin. Maximale Flexibilität dank Digitalisierung. Das schafft positive Entlastung zwischen Kinderbetreuung und Homeoffice.
Entwickeln statt Absagen ist auch die Herangehensweise von Peter Zienert-Wrede. Neben den Eltern-Kind-Kursen kümmert er sich um einen wichtigen Verdienstweg des Turn-Klubbs: die Ferienfreizeiten. Das Coronavirus machte sämtliche Planungen für Ostern und auch weite Teile des Sommers zunichte. Bis zu 700 Kinder wollten die Angebote in der schulfreien Zeit wahrnehmen. Die mehr als 11 000 Euro hat die Geschäftsführung mittlerweile erstattet.
Der übliche Schub bleibt aus
Ein beachtliches Loch im Fünf-Millionen-Haushalt 2020, den Vorstandschef Hajo-Rosenbrock nach der Zwangspause ohnehin schon um zehn Prozent runterfahren musste. In den Mitgliederzahlen spiegelt sich das Sportverbot bereits wider. Um die 300 Abmeldungen verzeichnete der TKH. Das erscheint auf den ersten Blick nicht allzu viel. Das Problem: Normalerweise gibt es im Frühling/Sommer einen beachtlichen Zuwachs in dem Sportverein. Und dieser Schub bleibt aus.
„Auch das Wiederhochfahren kostet Energie“, sagt Hajo Rosenbrock. Nach und nach würden die Ausmaße für den Verein deutlich. Die Stadt Hannover hat ein Hilfsprogramm aufgelegt. Vom Land Niedersachsen gab es hingegen bislang nur warme Worte. „Ich warte nach wie vor noch auf ein starkes Signal vom Land Niedersachsen.“
Das lässt trotz Ankündigung von Minister Boris Pistorius auf sich warten. Ungeachtet dessen hält sich der TKH in Eigenleistung kreativ über Wasser. In den Sommerferien soll es Angebote für Kids und Familien geben. Nur eben anders. Sechs Kinder sollen dann von einem Trainer betreut werden. Und statt der Ferienfreizeit auf Langeoog soll es eine Radtour entlang der Weser, Leine, Werra und Fulda geben.
"Wir hatten wirklich Probleme, das zu verdauen"
„Ganz ehrlich“, beginnt Rosenbrock. „Bis Corona kam, lief es richtig gut. Dann folgte diese Vollbremsung, das hat uns alle schockiert.“ Aus der Depression erkannte der TKH-Boss die Kraft, die der Klubb freisetzen kann. Transparente Kommunikation mit den Mitgliedern war Basis für den solidarischen Zusammenhalt.
Lockdown, Kurzarbeit, Zukunftsangst unter den zumeist freiberuflichen Trainern – diese Entwicklung tat weh. „Wir hatten wirklich Probleme, das zu verdauen“, sagt Rosenbrock. „Dann haben wir das in Energie umgeleitet und hoffen nun, mit der notwendigen Unterstützung aus der Politik das Schlimmste hinter uns und eine moderne Perspektive vor uns zu haben.“