Nach dem BGH-Urteil: Diesel-Prozesse: BMW erwartet keine Klagewelle
by FOCUS OnlineNach dem Urteil des Bundesgerichtshofes gegen Volkswagen werben diverse Anwälte und Rechtsdienstleister um neue Mandanten - neben Kunden von Volkswagen auch solche von Daimler und BMW. In München gibt man sich allerdings noch entspannt.
"Der Dieselskandal geht jetzt erst richtig los", glaubt die Rechtsanwaltskanzlei, die den Besitzer eines VW Sharan TDI vor Gericht vertrat und dabei erstmals ein "Diesel-Urteil" vor den Bundesgerichtshof brachte. Der entschied jetzt weitgehend zugunsten des Klägers, was eine Signalwirkung für alle Diesel-Prozesse hat: 60.000 laufende Prozesse dürften nun im Sinne der Kläger entschieden werden. Heißt: Die Autobesitzer werden entschädigt und dürfen ihr Auto zurückgeben, müssen sich dabei aber eine Nutzungsentschädigung für die gefahrenen Kilometer vom zurückbezahlten Kaufpreis abziehen lassen.
Während bei Daimler bereits zahlreiche Modelle mit Diesel-Modellen per behördlicher Anordnung vom KBA zurückgerufen wurden, blieb ein deutscher Premium-Hersteller bislang vom Abgasskandal weitgehend verschont: BMW . Offenbar erwartet der Konzern auch nicht, dass ihm durch das BGH-Urteil nun eine Klagewelle analog zu VW oder Audi droht.
Nur wenige BMW-Fahrer klagen wegen Dieselautos
Tatsächlich klagen vergleichsweise wenige BMW-Fahrer gegen den Hersteller, wie der Konzern auf eine Anfrage von FOCUS Online mitteilt: "Insgesamt sind momentan rund 500 Klagen im genannten Zusammenhang anhängig. In 235 Fällen wurden vergleichbare Kundenklagen gegen die BMW Group bereits von verschiedenen Landgerichten in ganz Deutschland abgewiesen. Auch alle 46 der bisher ergangenen Entscheidungen der Oberlandesgerichte sind ausnahmslos zu Gunsten der BMW Group ausgefallen. In einem Einzelfall, bei dem wir die Entscheidung des Gerichts für falsch halten, haben wir Berufung eingelegt", so BMW.
Insider packt aus: Es gab den sauberen Diesel - und darum wollte man ihn nicht
Bislang gab es bei BMW auch nur einen verpflichtenden Rückruf wegen erhöhter Stickoxid-Werte. Er betraf die Modelle M550d und 750xd. Laut BMW habe es sich dabei nicht um eine bewusste Manipulation der Abgaswerte, sondern um eine fehlerhaft aufgespielte Software gehandelt. Das Diesel-Aggregat mit den vier Turboladern nimmt BMW noch 2020 aus dem Programm. Das Kernelement des Motors war eine neu konzipierte permanente zweistufige Aufladung, bestehend aus zwei Niederdruck- und zwei Hochdruck-Abgasturboladern. "Als Grund für das Ende des Quad-Turbos nennt BMW die veränderten politischen, gesellschaftlichen und marktseitigen Rahmenbedingungen in Europa. Eine Fortsetzung des Angebots sei nicht mehr im wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu den Stückzahlen in den genannten Märkten möglich", berichtet die "Auto Motor & Sport". Zu vermuten ist, dass die Abgasreinigung für das hochgezüchtete Aggregat, trotz der bei BMW üblichen aufwändigen Abgas-Hardware mit mehreren Katalysatoren, für die neuesten Abgasnormen einfach nicht mehr zu schaffen wäre.
EuGH-Entscheidung schafft neue Probleme für Hersteller
Ob sich der BGH-Fall gegen Volkswagen auch auf BMW oder andere Hersteller übertragen lässt, wie es viele Anwälte ihren Klienten versprechen, bleibt derzeit also unklar. Unabhängig davon erwartet quasi alle Diesel-Hersteller eine andere Entscheidung mit weitreichenden Konsequenzen, diesmal vom Europäischen Gerichtshof. Der EuGH muss darüber entscheiden, ob Abschalteinrichtungen bei Diesel-Motoren, darunter auch das berühmte "Thermofenster", mit dem Gesetz vereinbar sind. Ein Gutachten der Staatsanwaltschaft hat das kürzlich klar verneint, wobei es im Detail darum ging, dass ein Motor keine zwei Betriebsmodi haben darf (wie die berühmte "Modus 0" und "Modus 1" bei Volkswagen). Abschaltungen der Abgasreinigungen zum Motorschutz seien nur erlaubt, wenn dem Fahrzeug dadurch ein unmittelbarer Schaden drohe.
Diesel oder Plug-In-Hybrid - was ist besser? Das große Duell
Sind alle Diesel-Hersteller prinzipiell schadensersatzpflichtig?
Noch unklar ist, ob damit auch jedes "Thermofenster" - also generell jede temperaturabhängige Abgasreinigungs-Abschaltung- betroffen ist. Das würde dann tatsächlich bedeuten, dass neben den Betrugs-Dieseln vom Typ EA189 noch hunderttausende andere Diesel-Autos von Volkswagen, Audi, Skoda und Seat, aber auch von anderen Herstellern wie Mercedes, BMW, Volvo oder Renault nicht mit der entsprechenden Abgas-Steuerung in den Verkehr gebracht hätten werden dürfen. Beobachter halten eine solch pauschale Interpretation des EuGH für möglich, doch sie wäre ziemlich realitätsfremd. Denn selbst bei den vom Umweltbundesamt propagierten Systemen zur Hardware-Nachrüstung bei Diesel-PKW gibt es solche Thermofenster. BMW sagt dazu auf Anfrage von FOCUS Online: "Die BMW Group ist an dem Verfahren nicht beteiligt. Wir werden die Auswirkungen des anstehenden Urteils prüfen und bewerten. Grundsätzlich verfügen alle BMW Fahrzeuge über eine wirksame Typzulassung. Daran wird nach unserer Auffassung ein zukünftiges EuGH-Urteil, wie auch immer es ausfallen wird, nichts ändern." Zahlreiche Anwälte dürften das freilich anders sehen - als Folge des EuGH-Urteils rechnen sie mit zahlreichen neuen Klagen.
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