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Die Corona-Krise wird neue Zugänge zur Wirtschaft erzwingen.© apaweb/apa/afp/Kazuhiro Nogi

Wirtschaft in Zeiten der Cholera

Ein deutscher Ökonom entwickelt brisante Thesen, wie die Corona-Krise überwunden werden soll.

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Dass ein Virus aus dem fernen China nicht nur eine globale Seuche verursacht hat, sondern auch die schwerste ökonomische Krise seit hundert Jahren, ist mittlerweile rundum anerkannte Tatsache. Doch der deutsche Ökonom Daniel Stelter, bekannt durch zahlreiche wirtschaftspolitische Kommentare in deutschen Medien, sieht das in seinem neuen Buch "Coronomics" deutlich differenzierter. Das Virus, so seine These, sei eher als Auslöser der Krise zu verstehen, deren Ursachen aber viel tiefer liegen.

"Es gärt schon seit Langem in den Gesellschaften des Westens. Schwaches Wachstum, stagnierende Einkommen, zunehmend ungleiche Vermögensverteilung, steigende Verschuldung und wachsende Spekulation prägten das Umfeld. Alles Folgen der Verschleppung der Finanz- und Eurokrise. Die heftige Wirtschaftskrise, in der wir uns befinden - die zweite Krise innerhalb von zehn Jahren -, bringt die Themen nun auf den Tisch", schreibt Stelter.



Das Platzen der Blase

Corona wird in dieser Sicht der Dinge also gleichsam zur Nadel, die eine Blase zum Platzen bringt, die auf jeden Fall früher oder später geplatzt wäre. Es ist im Wesentlichen eine Schuldenblase. Seit Jahrzehnten wachsen die Schulden von Staaten, Unternehmen und Privaten deutlich stärker an, als die Wirtschaft wächst. Wir leben gewissermaßen alle, direkt oder indirekt, auf Pump. Was bekanntlich nicht ohne Ende geht.

Seinem wohlerworbenen Ruf als unkonventioneller Denker ohne übermäßige Konfliktscheu wird Stelter auch mit diesem Buch gerecht. Seine zentrale These: Die Kosten der Bewältigung der Corona-Krise werden so hoch ausfallen, dass am Ende alle Staaten der Eurozone mehr oder weniger überschuldet sein werden. Seine Lösung: die sogenannte "Monetarisierung" eines großen Teils dieser Verbindlichkeiten, ein ökonomischer Terminus, hinter dem sich die direkte Finanzierung der Staatsschulden durch die Notenbanken verbirgt, die einfach jenes Geld drucken, das der Staat zum Abbau seiner Schulden braucht.

Dem naheliegenden Vorwurf, dies würde in einer gewaltigen Inflation enden, tritt Stelter entgegen: "Ich weiß, dass vor allem von deutschen Ökonomen angesichts dieser Vorgehensweise heftige Proteste zu erwarten sind. Ich verstehe diese Kritik auch, bin aber realistisch. Dieser Weg wird weltweit gegangen werden."

Das müsse nicht zwingend mit einer massiven Geldentwertung enden, findet er: "Bleibt es bei dieser einmaligen Aktion, muss das nicht inflationär wirken, weil es vor dem Hintergrund eines einmaligen deflationären Schocks geschieht. Inflationsgefahren entstehen, wenn Monetarisierung zu einem Dauerinstrument wird."

Ein Argument, das nicht wirklich überzeugt, denn aus der historischen Erfahrung wissen wir, dass Politiker, sind diese Dämme erst gebrochen, so lange und immer wieder und wieder Geld drucken lassen, bis die Währung vollends ruiniert ist. Hunde legen eben keine Wurstvorräte an.

Auch andere Ideen Stelters sind eher kontroversiell angelegt. Den Konsumenten will er Gutscheine vom Staat in die Hand drücken, um den Konsum anzukurbeln, Kreditnehmern sollen ihre Schulden erlassen werden, für die ebenfalls der Staat eintritt.

Kontroversielle Ideen

Gleichzeitig plädiert er dafür, die Eurozone umzubauen, weil sie schwächere Staaten hindert, mittels Abwertung auf die Beine zu kommen. "Wir sollten deshalb die Einführung von Parallelwährungen in den Mitgliedsländern prüfen, eventuell sogar in allen. Der Euro bliebe erhalten, aber es wäre ein halbwegs eleganter Weg, um eine größere Schwankungsbreite zwischen den Währungen und damit ein Ventil zur Anpassung wieder zu öffnen, das seit der Euroeinführung verstopft ist. Schnell würden die lokalen Währungen dominieren. Der Traum der Europäer, neben dem US-Dollar eine dominierende Weltwährung zu schaffen, ist gescheitert", meint Stelter. Und weiter: "Die Alternative zur faktischen Auflösung der Eurozone wäre eine verkleinerte Währungsunion jener Länder, die ökonomisch gut zusammenpassen. Um Deutschland herum wären das vor allem die Niederlande und Österreich. Frankreich ist als Grenzfall zu sehen."

Dem Autor ist bewusst, dass er mit diesem Buch nicht nur neue Freunde bekommen wird: "Viele Leser werden bei der Lektüre geschockt sein und ausrufen, dass man diese oder jene Maßnahme unmöglich hinnehmen oder gar unterstützen dürfe. Dem halte ich entgegen: Ich beschreibe hier, was unweigerlich auf uns zukommt. Coronomics wird kommen, ob wir wollen oder nicht."