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Bild: imago-images/Pool/Eibner-Pressefoto
Porträt | Hertha-Coach Labbadia

Mehr als nur ein Feuerwehrmann

Oft wird Bruno Labbadia als Notlösung belächelt. Bei Hertha BSC beweist er gerade einmal mehr, dass seine offensive Spielidee durchaus Erfolg verspricht. Die Mannschaft ist nicht wiederzuerkennen. Auch weil Labbadia jedem Spieler eine faire Chance gibt. Von Till Oppermann

Sechs Punkte und 7:0 Tore in zwei Spielen. Eine bemerkenswert erfolgreiche Zwischenbilanz von Hertha BSC nach der Corona-Zwangspause, die so gar nicht zur chaotischen Saison zuvor passen mag. Ein echter Neustart.

Und das unter Bruno Labbadia, den ein Ruf als inspirationslose Notlösung verfolgt. Mit dem wurde am 13. Februar - also gut zwei Monate, bevor er Labbadia in die Hauptstadt holte - auch Herthas Geschäftsführer Sport Michael Preetz konfrontiert. Auf der Pressekonferenz nach Jürgen Klinsmanns plötzlichem Rücktritt fragte ihn eine Reporterin, ob auf den exzentrischen Schwaben jetzt "einer der üblichen Verdächtigen wie Bruno Labbadia" folgen solle. Preetz reagierte empört. Die Frage sei despektierlich. Denn Labbadia habe in den letzten Jahren in der Liga sehr gute Arbeit geleistet.

Nur ein Feuerwehrmann?

Symptomatisch für Labbadias Leumund. Den VfL Wolfsburg führte er innerhalb von 16 Monaten aus dem Abstiegskampf über die Relegation ins internationale Geschäft. Trotzdem gilt der Fußballlehrer nach wie vor als Feuerwehrmann. Viele sind der Meinung, dass Labbadia nur kurzfristig Erfolge feiern kann. 

Seine durchschnittliche Amtszeit von 1,43 Jahren gibt den Kritikern Argumente. Die Berliner sind bereits der vierte Verein, der Labbadia im Abstiegskampf verpflichtet hat. Immer gelang die Rettung. Gleichzeitig wurde er bereits vier Mal in der Bundesliga entlassen. Eine Mannschaft längerfristig zu entwickeln, scheint Bruno Labbadia nicht zu liegen.

Erfolg trotz widriger Bedingungen

Wenn man sich die Stationen genauer ansieht, entsteht ein differenziertes Bild. In Leverkusen erreichte Labbadia vor elf Jahren das bis heute letzte Pokalfinale des Vereins. Den VfB Stuttgart führte er trotz Sparzwängen in die Europa League. Zugleich ist er seit seiner Entlassung 2013 noch immer der letzte Trainer, der eine komplette Saison bei den Schwaben überlebte. Selbst der chaotische Hamburger SV - mittlerweile ebenso wie Stuttgart Zweitligist - landete mit Labbadia noch 2016 auf einem sicheren zehnten Platz in der ersten Bundesliga. Oft überzeugten die Mannschaften des ehemaligen Nationalstürmers dabei mit hohem Pressing und einer offensiven Spielweise.

Karrierewende statt Karriereende

Gerade in der Zeit beim VfL Wolfsburg gelang es Labbadia, sich fußballerisch von der Konkurrenz abzuheben. Viele Bundesligatrainer konzentrieren sich seit Jahren auf das Umschaltspiel. Labbadia hingegen verfolgt ein ansehnliches Ballbesitzkonzept. In der Hinrunde 2018/19 hatte das gerade dem Abstiegskampf entsprungene Team nach den Bayern und Dortmund den meisten Ballbesitz aller Bundesligisten. Zu seinem Amtsantritt bei Hertha BSC betonte Labbadia seine leidenschaftliche Sicht auf den Sport: "Fußball ist ein geiles Spiel. Ich will, dass wir das auch leben."

Das sieht man auf dem Platz. Seine Spieler sollen mit hoher Intensität dominieren. In Wolfsburg gelang das, indem zahlreiche Offensivspieler in der gegnerischen Hälfte den Spielaufbau störten, sich über die Flügel zu Chancen kombinierten und nach Ballverlusten aggressiv ins Gegenpressing gingen. Und auch Hertha zeigt plötzlich ein ganz neues Gesicht.

Herthas neues Gesicht

Unter den Vorgängern Jürgen Klinsmann, Alexander Nouri und Ante Covic spielte die Mannschaft oft passiv. Hertha sollte sich im Abstiegskampf zum Erfolg mauern. In der Folge gab kein Team in der gesamten Liga weniger Schüsse aufs Tor ab, hohes Pressing fand quasi nicht statt und der Gegner hatte meistens den Ball.

Gegen Hoffenheim und Union sah das nun unter Labbadia anders aus. Mit jeweils ungefähr 60 Sprints und intensiven Läufen mehr als der Gegner überrannte man beide Gegner förmlich. Außerdem entstanden - typisch Labbadia - zahlreiche Chancen über die Flügel.

Jeder bekommt seine Chance

Neben dem offensiven Spiel, das sich Michael Preetz von seinem neuen Trainer zum Amtsantritt wünschte, scheint Labbadia eine weitere Vorgabe seines Arbeitgebers schnell umzusetzen. Er soll im Kader vorhandene "Potenziale heben". Besonders eindrucksvoll gelingt das bei Kapitän Vedad Ibisevic.

In Klinsmanns skurriler Abrechnung mit dem Verein hieß es noch, der 35-Jährige sei leider zu alt und habe deshalb keinen Mehrwert. Nun ist alles anders. Bei Labbadia bekommt jeder eine Chance. "Er hat mir das Vertrauen gegeben", lobt Ibisevic, der sich dafür bereits auf dem Platz mit je zwei Toren und Vorlagen bedankte. Und obendrein liefert er noch eine Erklärung für den Erfolg: "Wir arbeiten anders." Fitnessmäßig habe man zugelegt, aber auch taktisch, bei der Disziplin und der Organisation. "Das hat der Trainer mit sich gebracht."

Sendung: Inforadio, 27.05.2020, 18:24 Uhr