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Wer künftig im Büro niest, muss sich auf Blicke der Kollegen einstellen. (Symbolbild)© Getty Images/iStockphoto

Krank zur Arbeit oder zuhause bleiben? Wie die Coronakrise das Verhalten im Job verändert

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Abstandsgebot, Hygieneregeln, Kontaktbeschränkungen: Die Coronakrise ordnet unser gesellschaftliches Miteinander neu. Auch am Arbeitsplatz hat sie längst Einzug gehalten, viele arbeiten im Homeoffice. Doch wie wird sich unser Gesundheitsverhalten nach der Rückkehr ins Büro ändern? Der Wirtschaftswissenschaftler Stefan Süß gibt Antworten.

Diese Frage hat sich wohl jeder Berufstätige schon einmal gestellt, der morgens vor der Arbeit mit verstopfter Nase oder Halsschmerzen aufgewacht ist: Bleibe ich zuhause oder schleppe ich mich ins Büro? Bislang mögen bei der Entscheidung vor allem die eigenen Fehltage, Rücksicht oder schlechtes Gewissen gegenüber den arbeitenden Kollegen und die Arbeitskultur in der Firma eine Rolle gespielt haben.

Corona könnte das ändern. Denn: Wer sich künftig im Büro räuspert oder niest, könnte schiefe Blicke der Kollegen ernten. Schließlich hängen sie überall: Hinweisschilder, die uns beständig daran erinnern, dass unsere Gesundheit dieser Tage nicht mehr sicher ist. Bleiben also künftig mehr Deutsche zuhause, wenn sie sich krank fühlen?

Zur Arbeit oder zuhause bleiben?

"Vermutlich. Das Gesundheitsthema wird in der Wahrnehmung jedenfalls generell einen Schub bekommen", ist der Betriebswirt Professor Doktor Stefan Süß von der Universität Düsseldorf überzeugt. Das gilt auch für den Arbeitsplatz: "Es gibt bereits jetzt mehr Krankschreibungen", merkt der Experte an. Arbeitnehmer würden in Sachen Gesundheit durch die Coronakrise vorsichtiger und riefen sich häufiger ins Bewusstsein, dass sie eine Verantwortung gegenüber Kolleginnen und Kollegen haben.

Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) will immerhin bereits 2011 herausgefunden haben, dass die deutsche Volkswirtschaft jährlich pro Mitarbeiter 12 Prozent an Produktivität verliere, weil Arbeitnehmer krank zur Arbeit gingen. Vor allem Frauen und Beschäftigte unter 40 neigen laut Institut für Betriebliche Gesundheitsforschung (ifbg) zu diesem Verhalten – genannt "Präsentismus".

Das wäre mehr, als der Wirtschaft durch das gegenteilige Phänomen, nämlich den "Absentismus" verloren geht. Diesen Produktivitätsverlust durch Mitarbeiter, die krankheitsbedingt ausfallen, beziffert die BAuA nämlich nur auf etwa vier Prozent.

Chef in der Vorbildrolle

"Das Phänomen des Präsentismus könnte sich nachhaltig ändern und Arbeitnehmer bleiben künftig vermutlich häufiger zuhause", mutmaßt Süß. Arbeitnehmer würden sich durch eine Kulisse aus Desinfektionsspendern und Atemschutzmasken selbst stärker als Gefahr für Mitmenschen wahrnehmen. "Vielen wird durch die Coronakrise deutlicher: Selbst wenn mein eigener Schnupfen mich vielleicht nicht am Arbeiten hindert, kann er sich gerade in einem Großraumbüro schnell verbreiten und für Ausfälle sorgen."

Generell herrschten in unterschiedlichen Unternehmen aber verschiedene Präsentismuskulturen. "Es spielt eine große Rolle, welche Signale der Vorgesetze sendet und wie Ab- und Anwesenheit sanktioniert oder goutiert werden", sagt Experte Süß. Ein Chef, der sich selbst zur Arbeit schleppe, lebe seinen Mitarbeitern vor, dies auch zu tun. "Vorgesetze müssen sich ihrer Verantwortung jetzt besonders bewusst werden", mahnt Süß.

Schiefe Blicke beim "Hatschi!"

Nicht nur zurückhaltender dürfte das Miteinander im Büro deshalb werden, mit noch etwas müssen Arbeitnehmer rechnen: "Wessen Nase läuft oder wer niest, der muss sich wahrscheinlich häufiger rechtfertigen", prognostiziert Experte Süß. "Bringt meinen Kollegen sein Heuschnupfen, seine Hausstauballergie oder doch ein gefährliches Virus zum Niesen?" dürften sich Mitarbeiter in Zukunft häufiger fragen - und ein "Hatschi!" mit skeptischen Blicken begleiten.

"Es waren in der Tat Arbeitssituationen, in denen Menschen dicht beisammen waren, die halfen, das Coronavirus stark zu verbreiten", erinnert Süß. Wie lange diese Verhaltensänderungen anhielten, sei aber fraglich. "Ich vermute, es handelt sich eher um ein kurzfristiges Phänomen, wenn nun langsam alle ins Büro zurückkehren", meint der Experte.

Kollegen unter Generalverdacht

Wie aber sollte man sich tatsächlich im Büro verhalten? Schadet der Satz "Du siehst krank aus, geh doch lieber nach Hause!" mehr, als dass er hilft? "Der Ton macht hier die Musik. Die Hürde ist am Arbeitsplatz natürlich höher, jemanden auf seine Gesundheit anzusprechen, als im privaten Umfeld", stellt Süß klar. Man müsse vorsichtig sein, dass Kommentare in Bezug auf die Gesundheit eines Kollegen nicht als Egoismus aufgefasst werden, aus dem heraus man alle unter Generalverdacht stelle.

"Viele Leute haben durch die allgegenwärtige Beschäftigung in den Medien mit dem Coronavirus sicherlich ihre Gesundheitsverantwortung geschärft und sowohl ihr eigenes Gesundheitsverhalten als auch das des unmittelbaren Umfeldes reflektiert", so Süß. Man solle sich am Arbeitsplatz also auf ähnliche Kommentare gefasst machen.

Schub für das Homeoffice

Wer im Homeoffice bleibt, der kann dem entgehen. "Die Arbeit von Zuhause aus hat mit der Coronakrise einen Schub bekommen", beobachtet Süß. Wo vorher Arbeitsschutzbedenken an der Tagesordnung waren, eigene Betriebsvereinbarungen oder gesonderte Abstimmungen getroffen werden mussten, habe die Arbeit im Homeoffice auf einmal schnell funktioniert.

"Viele Arbeitnehmer haben nun Homeoffice-Erfahrungen gesammelt, die bislang für sie ausgeschlossen waren", sagt Süß. Ob sich die Arbeitsweise nachhaltig etabliere, hänge von den Bewertungen der Arbeitnehmer und -geber ab:

"Das Homeoffice war nun häufig mit Kinderbetreuung kombiniert, und Arbeitnehmer mussten spontan den Arbeitsmodus wechseln, ohne viel vorbereiten zu können", merkt Süß an. Daher werde es auch sicherlich eine Gegenbewegung geben, die sagt: "Endlich wieder ins Office!"

Recht darf keine Pflicht werden

In einer eigenen Studie hat Süß herausgefunden: Die selbst eingeschätzte Produktivität im Homeoffice ist in der Coronakrise gesunken. "Befragte geben einen Rückgang von zehn Prozent an. Er könnte sogar noch höher ausfallen, weil man natürlich nicht gerne zugibt, unproduktiver zu sein", so der Forscher. Süß glaubt deshalb: "Homeoffice sollte sich als Option stärker niederschlagen. Es darf aber nicht von einem Recht zur Pflicht werden."

Denn die Arbeit von zuhause aus hänge stark von persönlichen Erfahrungen und Präferenzen ab. "Nicht jeder kann im Homeoffice konzentriert arbeiten", sagt Süß. Wenn gewisse Störfaktoren hinzukommen, könnte man am Ende tatsächlich ähnlich fehleranfällig oder unproduktiv sein wie krank am Arbeitsplatz.

Prof. Dr. Stefan Süß studierte Wirtschaftswissenschaft an der Bergischen Universität Wuppertal und ist heute Lehrstuhlinhaber für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Düsseldorf. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen etwa Personalmanagement, Personalführung, Flexibilisierung der Arbeit und Arbeitsstress. 2020 forscht er zum Homeoffice im Zusammenhang mit der Coronakrise.

Verwendete Quellen: