Satte Kursgewinne trotz Corona
Wieso klettern die Börsen?
by Jan GängerWährend Firmen weltweit ums Überleben kämpfen, herrscht an den Börsen ausgelassene Stimmung. Die Aktienkurse klettern trotz Corona-Pandemie. Das klingt widersinnig, ist es aber nicht.
Die Weltwirtschaft steckt wegen der Corona-Pandemie in einer tiefen Rezession, zahllose Menschen verlieren ihren Job, Firmen gehen pleite, Konzerne werden mit milliardenschweren Geldspritzen am Leben gehalten. Unternehmen streichen Dividenden und kippen ihre Gewinnprognosen. An den Börsen wird dennoch eine regelrechte Party gefeiert, die Aktienkurse klettern fröhlich. Da stellt sich die Frage: Was ist da eigentlich los?
Zur Einordnung: Der deutsche Leitindex Dax hat seit seinem Absturz im März fast 40 Prozent zugelegt, die US-Technologiebörse Nasdaq ebenfalls. Die Börsen sind zwar immer noch ein Stück von ihren im Februar erreichten Höchstständen entfernt. Doch bis dahin fehlt nicht mehr viel.
Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil es wirtschaftlich derzeit überhaupt nicht rosig aussieht. So warnte der Chef der US-Notenbank, Jerome Powell, dass die USA in die schlimmste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg stürzen werden. Anderswo sieht es kaum besser aus, auch Deutschlands Wirtschaft schrumpft. Für China waren die ersten drei Monate ein regelrechtes Horrorquartal und für 2020 erwarten Ökonomen das schwächste Wachstum seit dem Tod von Parteiführer Mao Zedong 1976.
Doch an der Börse wird nicht die Gegenwart gehandelt, sondern die Zukunft. Dort regiert Optimismus und die Hoffnung, dass das Schlimmste überstanden ist. Die Corona-Pandemie ebbt ab, das Leben normalisiert sich, die Wirtschaft fährt langsam wieder hoch. Und es sieht danach aus, dass ein Corona-Impfstoff nur eine Frage der Zeit ist.
Das heißt nicht, dass die Börsen nicht wieder kräftig nach unten rauschen können. Sollte es zu einer zweiten Infektionswelle kommen, ist ein neuer Absturz wohl unausweichlich. Doch derzeit dominiert die Zuversicht.
Wohin mit dem Geld?
Für die steigenden Kurse gibt es einen weiteren, wohl mindestens ebenso wichtigen Grund: Investoren haben keine Alternative zu Aktien. Seit der Finanzkrise sind die Zinsen extrem niedrig. Und irgendwohin müssen Anleger ihr Geld ja stecken. Also fließt ständig Kapital in den Aktienmarkt, um von Kursgewinnen zu profitieren.
Diese Dynamik hat sich seit der Corona-Krise nicht verändert, im Gegenteil. Das hat vor allem mit den gigantischen Konjunkturprogrammen und Rettungspaketen zu tun. Der Kraftakt der Regierungen und Notenbanken macht zum einen Hoffnung, dass es bald wieder aufwärts geht. Außerdem leiden nicht alle Branchen wie etwa die Luftfahrt, die Autoindustrie oder der Tourismus. Es gibt jede Menge Unternehmen, die von der Krise profitieren - beispielsweise Pharma- und Technologie-Firmen. Auch der Online-Handel ist einer der Krisengewinner.
Doch all das verblasst neben den Rettungspaketen der Regierungen und den Geldspritzen der Notenbanken. Die Geldschwemme und die neuen Schulden werden dafür sorgen, dass die Zinsen auf Jahre hinaus niedrig und Aktien damit weiterhin alternativlos bleiben.
Das bedeutet aber auch, dass der Aktienmarkt nicht die reale Lage der Wirtschaft abbildet. Dass die Börsen kräftig steigen, heißt nicht, dass sich die Wirtschaft auch nur annähernd schnell erholt.
Es gibt ein schönes Beispiel, um den Zusammenhang zu illustrieren: Eine ältere Frau geht mit ihrem Zwergpinscher im Park spazieren, der kläffend an der langen Leine zerrt und hin- und herläuft. Doch die Dame lässt sich nicht beirren und geht langsam weiter den kurvigen Weg entlang, der angeleinte Pinscher folgt ihr trotz seiner Hektik. Die Dame ist die Wirtschaft. Der Hund ist der Aktienmarkt.