Marc Brütsch: «Anders als 2008 ist klar, wer der Feind ist»

Marc Brütsch hat erneut eine Auszeichnung für die Genauigkeit seiner Prognosen geholt. Mit finews.ch spricht der Chefökonom von Swiss Life Asset Managers über die Panik beim IWF und die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Finanzkrise.


Herr Brütsch, mit Ihren BIP-Prognosen für die Schweiz und Europa haben Sie zum dritten Mal den Forecast Accuracy Award gewonnen. Seit die Coronakrise ausgebrochen ist, mussten Sie aber gleich mehrmals über die Bücher – bleiben Sie nun bei der Voraussage, dass die hiesige Wirtschaft 2020 um 3,1 Prozent schrumpft?  

Im Moment ist das unsere aktuelle Einschätzung. Aber in dieser Krise tappen auch wir Ökonomen im Dunkeln, zyklische Muster sind nicht anwendbar, und wichtige Daten fehlen noch. Umso wichtiger ist die Arbeit mit Szenarien. Spannend ist hingegen, dass sich viele Abläufe wie nach Drehbuch abgespielt haben.  

Wie das?  

Erst die Hygienemassnahmen, dann die Eingriffe von Staat und Geldpolitik, nun die schrittweisen Lockerungen – das geschah wie nach einer Checkliste. Anders als in der Finanzkrise von 2008 ist klar, wer der Feind ist.  

Aber es bleibt die Unsicherheit einer zweiten Welle von Ansteckungen.  

Wir erwarten, dass eine zweite Welle, sollte sie denn kommen, nicht mehr so einschneidende Folgen nach sich ziehen würde, wie wir sie zu Beginn der Pandemie gesehen haben. Vermutlich würden nicht mehr ganze Länder in den Lockdown gehen.

«Fachleute haben das scherzhaft als Nike-Kurve bezeichnet»

Bleibt die erneute Welle aus, erwarten wir eine graduelle Erholung in Europa und der Schweiz, wie wir sie in China gesehen haben.  

Dann wird die Konjunktur keiner L-Kurve folgen, sondern eher einem U gleichen – oder gar einem V?  

Wir gehen von einer U-förmigen Entwicklung aus, wobei sich der zweite Schenkel des U bis ins Jahr 2021 ziehen könnte. Fachleute haben das scherzhaft schon als Nike-Kurve bezeichnet.  

Hingegen rechnen Sie mindestens temporär mit einer Deflation, bei einer Minusteuerung von 0,8 Prozent in der Schweiz. Liegen all die Auguren, die angesichts der geöffneten Geldschleusen der Notenbanken vor einer Inflation warnen, komplett daneben?  

Seit der Finanzkrise sind es tatsächlich oft dieselben Experten, welche Anzeichen einer Inflation sehen.  

Sie nicht?  

Meiner Meinung nach wird die Inflation für die nächsten drei bis fünf Jahre wohl kein Thema mehr.

«Geldpolitik und Staatshaushalte ziehen erstmals seit langer Zeit in dieselbe Richtung»

Die Kapazitäten sind viel zu wenig ausgelastet, als dass die Firmen höhere Preise durchsetzen können. Hinzu kommen die tiefen Energiepreise – und noch wissen wir nicht, welchen Einfluss die Krise auf die Arbeitslosigkeit haben wird. Allerdings gibt es nun immerhin Entwicklungen, die eine Rückkehr der Inflation begünstigen könnten.  

Welche?  

Geldpolitik und Staatshaushalte ziehen in der Coronakrise erstmals seit langer Zeit in dieselbe Richtung. In der Finanzkrise hatten die Notenbanken die Schleusen geöffnet, die Staaten verfolgten oftmals eine Sparpolitik. Die neue Situation könnte die Teuerung anfachen, ebenso die Tendenz zur Entglobalisierung: Werden die Binnenmärkte abgeschottet, könnte auch dies die Kosten treiben. Schliesslich bremsten Finanzrichtlinien wie Basel III nach 2008 die Kreditvergabe durch die Banken – jetzt wurde die Regulation fürs Banking deutlich gelockert.  

A propos Banking: Der Weltwährungs-Fonds IWF hat die Banken explizit ermahnt, auf Dividenden zu verzichten. Dies, um bei einem zweiten grossen Corona-Schock besser gewappnet zu sein. Zu Recht?  

Ein starker Anstieg der privaten Verschuldung und grossflächige Zahlungsausfälle bei Unternehmen könnten dazu führen, dass das Finanzsystem mit in die Krise gerissen wird.

«Die Börsen nehmen vorweg, dass noch dieses Jahr ein Impfstoff gegen Covid-19 gefunden wird»

Die Chancen dafür stehen aber höchstens noch bei 30 Prozent, und die Tendenz ist abnehmend, finden wir. Eher ist beim IWF wohl so etwas wie ein «peak pessimism» feststellbar – der Weltwährungs-Fonds hatte schon 2008 gewarnt, die Finanzkrise träfe die Schweiz von allen Ländern am härtesten. Das ist dann nicht eingetroffen.  

Sie stehen im Dienst von Swiss Life Asset Managers, dem Investment-Arm des Lebensversicherers Swiss Life. Für das Mutterhaus und Dritte legt dieser Geld an den Börsen an – ist der dortigen Erholung zu trauen?  

Die jetzigen Bewertungen nehmen bereits einiges an positiven Entwicklungen vorweg – etwa, dass noch dieses Jahr ein Impfstoff gegen Covid-19 gefunden wird. Das halten wir für nicht wahrscheinlich. Dennoch rechnen wir mit einer weiteren Erholung an den Börsen und einer langfristigen Rückkehr zu Renditen von 4 bis 6 Prozent im Weltaktien-Index. Allerdings ist auch sehr viel Volatilität im Markt. Wir fahren deshalb kurzfristig eine vorsichtige Aktienquote.


Marc Brütsch und sein Team erhielten nach 2015 und 2017 zum dritten Mal den «Forecast Accuracy Award» für die beste BIP- und Inflationsprognose für die Schweiz im Jahr 2019. Brütsch ist seit seinem Studienabschluss in Nationalökonomie und Publizistikwissenschaften an der Universität Zürich für den Lebensversicherer Swiss Life tätig. Seit dem Jahr 2000 amtet er als Chief Economist von Swiss Life Asset Managers.

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