„Eine Mogelpackung”

Lehrer fordert viel mehr Präsenzunterricht für NRW-Schüler

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Düsseldorf - Ralph Pompe ist Lehrer für Musik und Mathematik am Clara-Fey-Gymnasium in Schleiden. Der Pädagoge ist 48 Jahre alt und hat keine Vorerkrankungen. Dennoch soll er bis zu den Sommerferien nur noch an sechs Tagen an seine Schule zurückkehren, um dort vor seinen Schülern Unterricht zu erteilen.

„Ich kann nicht nachvollziehen, warum nicht mehr Tage möglich sein sollen“, ärgert sich Pompe. „Es ist Zeitvergeudung, wenn gesunde Lehrer wie ich von zu Hause aus arbeiten müssen. Wer den Kindern nicht ins Gesicht guckt, kann nur schwer einschätzen, ob der Stoff bei ihnen angekommen ist oder nicht.“

Wegen des Corona-Lockdowns hat Pompe seine Schule seit dem 13. März nicht mehr von innen gesehen. Mit großer Verwunderung nahm er in der vergangenen Woche einen Aufruf von NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer zur Kenntnis. Die FDP-Politikerin hatte erklärt, sie brauche „alle Lehrer“, um den Neustart des Unterrichts in der Coronakrise bewältigen zu können. „Wie wäre es denn, wenn man erstmal das Potenzial derjenigen abrufen würde, die jetzt dazu verdonnert sind, vom Schreibtisch aus zu arbeiten?“, fragt der Mathelehrer. „Ich könnte zum Beispiel auch Schüler von Kollegen unterrichten, die zur Risikogruppe gehören und zu Hause bleiben. Vertretungslösungen sollten in vielen Fächern kein großes Problem sein.“

Pompe hat nichts gegen digitalen Unterricht. Im Gegenteil: Er gehört zu den Pädagogen, die freiwillig viel Arbeit investieren, um das digitale Lernen interessant zu machen. So können seine Schüler beispielsweise selbst produzierte Erklärvideos zur Lösung linearer Gleichungssysteme bei Youtube aufrufen. „Das digitale Lernen ist derzeit aber in den meisten Fällen noch eine Einbahnstraße“, betont der Vater von zwei Kindern. „In vielen Familien fehlt es an der technischen Grundausstattung dazu. Manche Schüler nutzen die Krise auch, um abzutauchen. Viele arbeiten nach meiner Wahrnehmung derzeit nur auf Sparflamme.“

Die Hausaufgaben dürfen nicht benotet werden, Klassenarbeiten werden nicht mehr geschrieben. Eine Leistungskontrolle ist deshalb kaum möglich. „Deshalb wäre es wichtig, wenn deutlich mehr Präsenzunterricht stattfinden könnte“, sagt Ralph Pompe. Die wenigen Tage, die bis zu den Sommerferien für die meisten Kinder in der Mittelstufe geplant seien, würden nicht ausreichen. „Wenn die Landesregierung das als Neubeginn des Unterrichts verkauft, ist eine Mogelpackung“, ärgert sich der Mathematiklehrer.

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Die Klassenzimmer in NRW bleiben bis zu den Sommerferien häufig leer.Foto: dpa

Die Schulträger begründen den massiven Unterrichtsausfall mit der Raumnot an den Schulen. Um die Sicherheitsabstände gewährleisten zu können, müsse eine Klasse jetzt auf drei Räume verteilt werden. Pompe hält das Raumproblem allerdings auch für hausgemacht: „Durch die Abiturprüfungen wurden viele Klassenzimmer blockiert. Eine Absage der Prüfungen hätte große Kapazitäten für die Unterrichtung der jüngeren Schüler geschaffen.“

Den Hinweis auf den Lehrermangel hält Pompe für ein „Ablenkungsmanöver“. „Man schiebt die Verantwortung für den Unterrichtsausfall den Lehrern selbst in die Schuhe. Dabei ist alles auch eine Frage der Organisation. Es wäre viel effektiver, wenn die Vorerkrankten den Präsenzunterricht der Einsatzfähigen von zu Hause aus unterstützen würden, anstatt fast alle Lehrer aus dem normalen Unterricht zu nehmen.“

Ab dem 3. Juni müssen Lehrer, die nicht zum Präsenzunterricht kommen wollen, ein ärztliches Attest vorlegen. Die Lehrerverbände stehen bei der Forderung nach einem Ausbau des Präsenzunterrichtes auf der Bremse. „Sicherheit geht vor Eile und leider auch Distanz vor Nähe“, sagte Stefan Behlau, Vorsitzender der Erziehungsgewerkschaft VBE, den „Kölner Stadt-Anzeiger“. Maike Finnern, Chefin der GEW in NRW, sieht das ähnlich. Bis zu den Sommerferien seien es nur noch fünf Wochen. Bis dahin müssten die Schulen jetzt Zeit haben „in Ruhe arbeiten lassen“.

Im Schulministerium hieß es, ein Vertretungsunterricht für vorerkrankte Lehrer sei nicht möglich, weil sie rechtlich nicht als „dienstunfähig“ gelten würden. NRW habe mit seinem Modell die Möglichkeiten für Präsenzunterricht ausgeschöpft. Der derzeit tatsächlich limitierende Faktor für eine Ausweitung des Präsenzunterrichts sei die geltende Abstandsregelung.
Pompe hält diese Position für fatal. „Die meisten Kinder werden den verlorenen Unterricht nur ganz schwer aufholen können. Der Präsenzunterricht ist für mich auch eine Frage der Bildungsgerechtigkeit. Der bisherige Kurs der Schulministerin ist leider mangelhaft.“