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Alte Autos auf einem Schrottplatz.© imago/McPHOTO
Konjunkturhilfen

„Wir können die Krise nun mal nicht nach hinten verlegen“

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IG-Metall-Chef Jörg Hofmann über die Versäumnisse der Autoindustrie und warum die Branche trotzdem eine Abwrackprämie braucht.

Am 1. Mai, als es zum ersten Mal in der Geschichte des Deutschen Gewerkschaftsbundes keine Demos und Kundgebungen auf Straßen und Plätzen gab, forderte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann in einer Videobotschaft an die Mitglieder: „Wir brauchen ein Konjunkturprogramm, um am Ausgang der Krise Wachstumsimpulse zu setzen.“ Inzwischen ist klar: Die Regierung wird viele Milliarden investieren. Doch wofür soll das Geld ausgegeben werden?

Herr Hofmann, Deutschland schnürt zur Bewältigung der Corona-Krise ein Konjunkturpaket. Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, welcher wäre das?

Wenn ich mir was wünschen dürfte, dann wäre das Mut zu einem großen, schnellen und zielgenauen Wurf. Ohne ein umfassendes Konjunkturpaket wird unsere Wirtschaft nachhaltig erheblichen Schaden nehmen.

Was müssen die wichtigsten Leitplanken für das Konjunkturpaket sein?

Die Notfallmedizin muss gegen drei unterschiedliche Probleme wirken: Wir müssen denjenigen helfen, die wegen Corona ihre Betriebe nicht oder nur sehr eingeschränkt öffnen können. Daneben brechen den Kommunen die Gewerbesteuereinnahmen weg – sie brauchen dringend Unterstützung. Und wir befinden uns in einer Weltwirtschaftskrise, der wir uns mit aller Kraft entgegenstemmen müssen. Diese wird uns weit über Corona hinaus beschäftigen.

Wie groß muss das Konjunkturpaket insgesamt sein?

Die Volkswirte sagen, notwendig sind mindestens drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für ein Konjunkturpaket, das wirklich etwas bewegen kann. Demnach wären wir bei mindestens 100 Milliarden Euro. Wenn wir dazu die kommunalen Haushalte stärken wollen, sind wir bei insgesamt über 150 Milliarden Euro. Dieses Geld – auch das für die Städte und Gemeinden – ist gut angelegt. Niemand will, dass die Schulen und Schwimmbäder unsaniert bleiben. Und genauso wenig wollen wir, dass Handwerker in die Pleite gehen, weil die Kommunen keine Aufträge mehr vergeben können.

Sie schlagen eine Abwrackprämie zugunsten der Autoindustrie vor. Wie erklären Sie denen, die Kühlschränke oder Waschmaschinen herstellen, warum die Arbeit der Kollegen, die Autos produzieren, für den Staat wichtiger sein soll als die eigene?

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Jörg Hofmann.© imago/IPON

Genau deshalb muss die Kaufprämie für Autos eingebunden sein in ein Konjunkturprogramm für alle Branchen. Drei Voraussetzungen sind dabei entscheidend: Die Kaufprämie leistet einen deutlichen Beitrag zur Senkung der CO2-Emissionen, sie ist verbunden mit dem Abbau von Kurzarbeit und Beschäftigungssicherung und muss daher auch die 90 Prozent der Beschäftigten der Branche erreichen, die an Fahrzeugen mit Verbrennungsantrieb arbeiten. Drittens erwarten wir einen kräftigen Eigenbeitrag der Automobilhersteller. Unter diesen Bedingungen sagen wir unbedingt Ja zur Kaufprämie.

Ist die Autoindustrie für Deutschland so wichtig? Oder hat sie nur die stärkste Lobby?

Die Autoindustrie ist Deutschlands Schlüsselindustrie. Wenn zu wenig Autos gekauft werden, trifft das nicht nur die Beschäftigten in den Autofabriken und Zulieferbetrieben. Es fehlen dann Aufträge und Arbeit für viele andere: vom Werkzeugmaschinenbau bis hin zur Stahlindustrie. Jeder vierte Euro industrieller Wertschöpfung hängt von dieser Branche direkt ab. Und da sind die Millionen von Handwerkern, Einzelhändlern oder Restaurants, die von der Kaufkraft der dort Beschäftigten abhängig sind, nicht mitgerechnet. Strauchelt die Autoindustrie, dann brechen ganze Regionen wirtschaftlich komplett ein.

Wie viele Jobs sehen Sie in der Automobilindustrie aktuell gefährdet?

Diejenigen, die bei den Herstellern selbst arbeiten, haben wir über Tarifverträge recht gut abgesichert. In Gefahr sind vor allem diejenigen, die für Zuliefererbetriebe arbeiten. Rund zehn Prozent der Betriebe in unseren Branchen sind bereits jetzt akut von Insolvenz bedroht. Das trifft über 100.000 Beschäftigte, die schnell in die Arbeitslosigkeit fallen könnten.

Zur Person

Jörg Hofmann steht seit Oktober 2015 an der Spitze der Industriegewerkschaft Metall. Zuvor war er Zweiter Vorsitzender und davor Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg und damit Verhandlungsführer der Gewerkschaft bei zahlreichen Tarifabschlüssen. Der 64-jährige Diplom-Ökonom ist Mitglied im Aufsichtsrat der Volkswagen Aktiengesellschaft. FR/Bild: Imago images

Kann die Industrie überhaupt die Autos liefern, mit denen wir ökologisch einen Sprung nach vorn machen?

Es stimmt: Die Automobilindustrie kann gerade kaum mehr an E-Autos in den Markt bringen, als sie es bereits tut. Dafür muss etwa auch die europäische Batteriezellenproduktion in den nächsten zwei Jahren noch einen gehörigen Sprung nach vorn machen. Und die Politik muss noch entschiedener den Ausbau der Ladeinfrastruktur mit grünen Strom nach vorne bringen.

Mit anderen Worten: Die Konzerne haben es selbst verbockt.

Ja, die Autokonzerne haben Entwicklungen verschlafen. Wir könnten und sollten weiter sein. Aber es geht jetzt darum, Menschen den Arbeitsplatz zu retten und gleichzeitig die Klimaschutzziele zu unterstützen. Wir können die Weltwirtschaftskrise nun mal nicht nach hinten verlegen, bis die Rahmenbedingungen für mehr Elektrifizierung gegeben sind.

Die Verkäuferin und die Krankenschwester finanzieren dann mit ihren Steuern Kaufprämien für Autos, die sie sich selbst nicht leisten können …

Wir brauchen eine funktionierende Industrie als Grundlage, um unseren Staat und auch den Sozialstaat finanzieren zu können. Das betrifft uns alle – auch die Krankenschwester. Es ist nicht in Ordnung, hier Beschäftigte gegeneinander auszuspielen.

In der Krise geht es auch um Hilfen für die Familien. Die SPD will 300 Euro Familienbonus pro Kind durchsetzen, NRW-Ministerpräsident Laschet schlägt sogar 600 Euro vor. Bieten Sie mehr?

Ganz egal, wer das vorschlägt: Ich glaube, eine Summe von mindestens 300 Euro pro Kind würde den Familien wirklich helfen. Denn die Eltern haben ja durch die geschlossenen Kitas und Schulen einiges stemmen müssen. Wir sind hier aber auch nicht auf dem Basar. Das hierfür zur Verfügung stehende Volumen muss sich einordnen in ein Gesamtvolumen des Konjunkturpakets.

Würde der Staat das Geld nicht ohnehin besser in Betreuung und Bildung investieren?

Der Staat kann das eine tun, ohne das andere zu lassen. Es ist gut, dass die Koalition jetzt die Lohnersatzleistung für Eltern, die wegen geschlossener Kitas und Schulen nicht zur Arbeit gehen können, verlängert hat. Doch die Höhe von 67 Prozent des Nettolohns und die Deckelung bei rund 2000 Euro ist ein starker Eingriff in das Familieneinkommen – unverschuldet von den Beschäftigten.

Die Bundeskanzlerin und der französische Präsident wollen ein Milliardenpaket für Europa schnüren. Unterstützen Sie Merkel darin?

Ganz nüchtern betrachtet: Wir werden keinen nationalen Aufschwung hinbekommen, ohne dass Europa wieder auf die Beine kommt.

Interview: Tobias Peter