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Getty Images/iStockphoto/SIphotography Nicht nur Übergewicht, auch Dünnsein liegt in den Genen

Schlankheitsgen entschlüsselt: Forscher wissen jetzt, warum manche Menschen nicht dick werden

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Überall wimmelt es von Übergewichtigen und Menschen, die Kalorien zählen, damit sie ihr Gewicht einigermaßen halten. Aber dazwischen sind einige, die essen können, was sie wollen ohne zuzunehmen. Forscher haben entdeckt, was die Dünnen gemeinsam haben: ein Gen für ewiges Schlankbleiben.

Wer ständig mit seinen Extra-Kilos kämpft, schaut neidisch auf Menschen, die schlank bleiben – egal was und wieviel sie essen und sich dabei noch nicht einmal besonders viel bewegen. Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Josef Penninger, Direktor des Wiener Instituts für Molekulare Biotechnologie (IMBA), wollte genauer wissen, was hinter dem Dünnsein steckt und haben ein Gen ausfindig gemacht, das maßgeblich dafür verantwortlich ist.

Für die im Fachmagazin „Cell“ veröffentlichte Studie „Identification of ALK in Thinness“ haben die Wissenschaftler zunächst Genome aus einer estländischen Gendatenbank analysiert. In der Estonian Biobank mit 47.000 Genomen suchten sie in einer Kohorte von 20- bis 44-Jährigen gezielt nach gesunden Menschen mit sehr niedrigem Bodymass-Index.

Die Wissenschaftler entdeckten mehrere mit Schlankheit assoziierte Gene. Doch das Gen, welches die „Thinness“, also das natürliche Dünnsein eines Menschen am meisten zu beeinflussen schien, heißt ALK. Es stellt den Bauplan für die anaplastische Lymphomkinase bereit. Und dieses Protein wirkt auf den Energieumsatz, aber auch auf Stoffwechseleigenschaften wie Taillenumfang, Blutzucker- und Cholesterinspiegel.

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Forschung mit Gendaten, Fruchtfliegen und Mäusen

Zur Überprüfung ihrer Genomanalysen gingen die Forscher dann ins Labor und entfernten das ALK-Gen aus dem Erbgut von Fruchtfliegen und Mäusen: Niedrigere Blutfettwerte und ein dünneres Erscheinungsbild trotz fettreicher Nahrung unterschieden die veränderten Tiere von ihren Artgenossen. Michael Orthofer, leitender Autor der Studie sagt: „Die Mäuse ohne das ALK-Gen hatten bei gleichem Futter einen schnelleren Energieumsatz, sie verbrannten mehr Kalorien im Fettgewebe als die unveränderten Tiere.“

Weitere Mäuse-Experimente zeigten, dass der Schlankheitseffekt im Hypothalamus verankert ist – einem Teil des Gehirns, der in die Hormonregulation eingebunden ist. Mäuse, bei denen das ALK-Protein hier unterdrückt wurde, hatten eine ebenso hohe Fettverbrennung wie die ALK-Knockout-Mäuse, offenbar angeregt durch erhöhte Konzentrationen des Stresshormons Noradrenalin im Fettgewebe. Diese Befunde deckten sich mit denen aus Gewebeproben von dünnen Menschen, die die Wissenschaftler zusätzlich analysierten.

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Cell journal Die Studie kurz in einer Grafik zusammengefasst

Die Funktion des ALK-Gens beim Energiestoffwechsel ist eine neue wissenschaftliche Entdeckung, das Gen selbst ist jedoch kein unbekanntes. In der Krebsmedizin gilt es als wichtiges Treibergen bei der Entstehung von Lungenkrebs oder Hirntumoren. Hier kommt es zu einer Überproduktion von ALK-Proteinen, die das Zellwachsatum anregen. Onkologen können dann ALK-Hemmer einsetzen, die es als Medikamente bereits gibt.

ALK-Hemmer als Medikamente gegen Adipositas?

Nun werfen die Forschungsergebnisse von Penninger und Kollegen die Frage auf, ob sich solche Medikamente auch für die Therapie von starkem Übergewicht einsetzen ließen. Studienleiter Penninger sieht dafür eine realistische Chance in der Zukunft: „Unsere Ergebnisse weisen auf das therapeutische Potenzial hin. Es ist möglich, ALK medikamentös zu hemmen und wir werden das in Zukunft tatsächlich versuchen.“

Expertenurteil: interessante Studie, aber derzeit keine Therapie

Und so beurteilen Experten aus Deutschland und Österreich die Studie und die daraus abgeleiteten Idee von ALK-Hemmern gegen Adipositas:

Stephan Herzig, Wissenschaftlicher Direktor des Helmholtz Diabetes Center und des Instituts für Diabetes und Krebs am Helmholtz Zentrum München sieht die Studie in ihrem Ansatz – ein Schlank-Gen statt ein weiteres Dick-Gens zu suchen – und in der sauberen Durchführung sehr positiv.

Was die Folgerung angeht, daraus eine Therapie gegen Übergewicht abzuleiten, sagt er aber: „Skepsis ist bei der Frage angebracht, ob das ALK-Gen tatsächlich ein Game Changer in der (klinischen) Adipositasforschung werden kann.“ Problematisch könnte schon die (fehlende) Übertragbarkeit von Ergebnissen aus Tierstudien auf Menschen sein.

 

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Nebenwirkungen von ALK-Hemmern ausschließen

Susanne Klaus vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam-Rehbrücke findet die schiere Datenmenge eindrucksvoll und überzeugend. Nach ihrer Kenntnis seien bisher noch keine „Schlankheitsgene“ mit biologischer Funktion nachgewiesen worden.

Die Leiterin der Abteilung Physiologie des Energiestoffwechsels sagt aber auch: „Es wird nicht erkenntlich, ob die erhöhte Aktivität auf das Fettgewebe beschränkt ist oder generell erhöht ist, was auch eine Erhöhung der Herzfrequenz und des Blutdrucks zur Folge haben könnte. Dies wären selbstverständlich unerwünschte Nebenwirkungen bei einer möglichen Anwendung von ALK-Hemmern in der Therapie von Adipositas.“

Studie schlägt neues Kapitel gegen Adipositas auf

Auch Bernhard Paulweber, Leiter der Abteilung Stoffwechselerkrankungen und medizinische Molekularbiologie an der Universitätsklinik Salzburg, hält die Publikation zum Dünnsein zunächst einmal für sehr interessant und sagt zum Studienergebnis: „Die Aufklärung dieser Mechanismen könnte ein neues Kapitel in der Suche nach effizienten Strategien zur Bekämpfung von Übergewicht und assoziierten Störungen, besonders Typ-2-Diabetes, aufschlagen.“

Allerdings sieht auch er einen hohen Bedarf an weiteren Studien bis dahin. Die bei nicht-kleinzelligem Lungenkrebs eingesetzten ALK-Hemmer hätten zahlreiche Nebenwirkungen, etwa ungünstige Effekte auf Herz-, Leber- und Nierenfunktion.

Das „Dünnsein“ wird für die meisten Menschen also noch eine ganze Weile von Ernährung und Bewegung abhängen. Und die Wirkung des Schlank-Gens bleibt denen vorbehalten, die von Natur aus diese Variante besitzen. Nach Aussagen von Studienleiter Josef Penninger trifft das übrigens nur auf ein Prozent der Bevölkerung zu.

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