EU-Agrarmilliarden: Diese Regionen im Norden profitieren

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Rund 6 Milliarden Euro Agrarsubventionen bekommt Deutschland im Jahr von der Europäischen Union. Die Empfänger: landwirtschaftliche Betriebe, aber auch Agrarkonzerne und Behörden wie Ministerien, Landesämter und Landesbetriebe. Damit liegt Deutschland hinter Frankreich und Spanien auf Platz 3 der Empfängerliste der sogenannten "Gemeinsamen Agrarpolitik". Rund 1,82 Milliarden Euro gingen im vergangenen Jahr an Empfänger in Norddeutschland. Das zeigen erstmals die Daten, die die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) jetzt veröffentlicht hat. NDR.de hat sie für Norddeutschland aufbereitet.

Viel Geld für Küstenschutz

Was man nicht sofort vermutet: Viel Geld aus Brüssel fließt nicht etwa in die norddeutsche Landwirtschaft, sondern in den Schutz der Deiche. In der Liste der Top-Empfänger finden sich landwirtschaftliche Betriebe erst weiter unten.

Top-Empfänger im Norden ist das Ministerium für Landwirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern: Mit 350.000 Euro für Küstenschutz, 4,8 Millionen Euro für "Basisdienstleistungen und Dorferneuerung" sowie rund 5 Millionen Euro für technische Hilfen im ländlichen Raum belegt es zudem deutschlandweit den zweiten Platz.

8,6 Millionen Euro wurden dem Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz überwiesen - unter anderem für Dorferneuerungen, Deichschutz und Entwicklung des ländlichen Raums. Der Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz in Schleswig-Holstein erhielt 6,9 Millionen Euro aus Brüssel.

Bauern weiter unten auf der Liste

Erst dahinter folgen Empfänger aus der Landwirtschaft. Vor allem sogenannte Erzeugerorganisationen für Obst und Gemüse, zum Beispiel in Schwerin (4,3 Millionen Euro) oder Vechta (4,1 Millionen Euro). Kleine und mittlere Betriebe sind erst weiter unten zu finden. Im Mittel bekamen rund 55.000 Empfänger in Norddeutschland im Schnitt rund 32.000 Euro an Subventionen von der EU.

Größere Ackerflächen - mehr Geld

Die Verteilung der EU-Mittel nach Landkreisen fällt ganz unterschiedlich aus. Bei ihnen gilt in der Regel: je mehr Ackerfläche, umso höher die Agarzahlungen. Da die Flächen der landwirtschaftlichen Betriebe in Mecklenburg-Vorpommern im Schnitt größer sind als in den anderen Nord-Ländern, fallen dort die Zahlungen pro Betrieb höher aus.

Ein landwirtschaftlicher Betrieb in Deutschland erhält über die Direktzahlungen der EU-Agrarförderung 175 Euro Basisprämie pro Jahr und Hektar. Zusätzlich bekommen alle Zahlungsempfänger auch die sogenannte Greening-Prämie in Höhe von rund 86 Euro pro Hektar. Greening umfasst die drei verpflichtenden Maßnahmen: Anbaudiversifizierung, den Erhalt des Dauergrünlands und die Ausweisung einer Flächennutzung im Umweltinteresse. In Deutschland erhält jeder landwirtschaftliche Betrieb, der die Basisprämie bekommt, auch die Greening-Prämie. Weitere Zulagen gibt es für kleine Betriebe und Junglandwirte. Laut einer Beispielrechnung der Landwirtschaftskammer Niedersachsen können Bauern so insgesamt auf bis zu 320 Euro pro Hektar und Jahr kommen.

Landwirtschaft im Umbruch

Die EU-Agrarsubventionen sollen die Landwirtschaft in der Europäischen Union stärken. Doch über die Frage, wer wie viel von den Milliarden aus Brüssel bekommt, wird seit Jahren heftig gestritten. Denn die Landwirtschaft steckt in einer Umbruchphase: In den vergangenen Jahren mussten viele kleine Betriebe aufgeben - stattdessen geht der Trend hin zu wenigen großen Agrarkonzernen, die den Markt unter sich aufteilen.

Nicht selten heißt das auch: Massentierhaltung und Probleme mit Überdüngung. Die Bauernproteste der vergangenen Monate haben gezeigt, dass vor allem kleinere Betriebe es schwer haben, den Agrarriesen die Stirn zu bieten - und ihnen zusätzliche Umweltschutzauflagen das Leben schwer machen.

Kritiker der derzeitigen Förderregelung verweisen deshalb auch darauf, dass die Subventionen zu wenig für Nachhaltigkeit und Tierwohl und vor allem zu wenig für die kleinen Betriebe gebracht hätten. Einige Mitglieder des Bauernverbandes sind jedoch gegen Änderungen am Mechanismus, sie warnen, die gemeinsame Agrarpolitik dürfe nicht "umweltpolitisch überfrachtet werden". Joachim Rukwied, Präsident des Landesbauernverbandes in Baden-Württemberg spricht sich explizit gegen eine Verbindung der Basiszahlungen mit zum Beispiel ökologischen Verpflichtungen aus. Man sei bereit für Reformen, aber an der Rolle der EU-Subventionen als fester Einkommensteil der Landwirte dürfe nicht gerüttelt werden.

Das lässt Grünen-Politikerin Renate Künast nicht gelten: Noch immer lautet die Devise: Wer viel Fläche besitzt, bekommt viel Geld. "Das sind noch immer in erster Linie riesige Betriebe, die mit einem hohen Einsatz von Pestiziden und chemisch-synthetischem Dünger kurzfristig höchstmögliche Ernten erreichen", kritisiert die ehemalige Bundeslandwirtschaftsministerin.

Keine neue Agrarpolitik in Sicht

Eigentlich sollte das bisherige System der Agrarsubventionen nach 2020 durch ein neues Verfahren abgelöst werden. EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski hatte noch im Februar durchblicken lassen, dass er bis zum Jahresende eine grundlegende Reform der europäischen Landwirtschaftspolitik anstrebe. Aber dann kam Corona und das Thema rückte in den Hintergrund. Um die Bauern in der EU am Jahresende nicht plötzlich ohne Subventionen dastehen zu lassen, zog man die Notbremse. Das Europaparlament sprach sich dafür aus, die derzeitige Agrarpolitik zwei Jahre lang fortzuschreiben. Zeit, um sich neu zu sortieren. Erst einmal bleibt es also bei dem Milliarden-Programm aus Brüssel - ohne zusätzliche Umweltkriterien.

Woher stammen die Daten?
Alle EU-Mitgliedsländer sind verpflichtet, die Zahlungen über EU-Agrarsubventionen im Internet zu veröffentlichen. In Deutschland geschieht das über die Webseite agrar-fischerei-zahlungen.de, die von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) und vom Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gepflegt wird. Das Besondere ist: Die Daten in der Datenbank sind mit Ort und Postleitzahlen veröffentlicht - nicht jedoch mit dem für behördliche Daten üblichen Amtlichen Gemeindeschlüssel (AGS). Ob gewollt oder nicht - das macht die Zuordnung von Empfängern zum Beispiel zu einem Landkreis schwerer. Durch die automatisierte Zuordnung der Orte zu Landkreisen über die Google Places API kann es zu fehlerhaften Zuordnungen kommen. Die zuständigen Behörden verweigern die Herausgabe einer Gesamtliste aller Zahlungen und erschweren damit die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten sowie anderen Interessierten, die Transparenz in das Themenfeld bringen wollen.