Kinderbetreuung

Neue Corona-Plattform: Giffey dringt auf Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Millionen Beschäftigte sind durch Kinderbetreuung blockiert. Die Ministerin will mit einer Internet-Plattform vermitteln. Einer der ersten Anwender: die Investitionsbank Schleswig-Holstein.

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Franziska Giffey (SPD)

Die Bundesfamilienministerin will Unternehmen und Beschäftigte in der Coronakrise über Modelle für Vereinbarkeit informieren.(Foto: AFP)

Berlin. Noch immer sind in der Coronakrise Schulen und Kindertagesstätten weit vom Regelbetrieb entfernt. Die Einrichtungen öffnen nur schrittweise und oft auch nur für wenige Stunden. Für viele Arbeitnehmer ist darum die Kinderbetreuung nach wie vor das drängendste Problem. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey für „Business Insider“ benennt jeder dritte Deutsche mit Kindern im Haushalt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als die größte Herausforderung.

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) will nun mit einer Corona-Plattform im Internet Unternehmen und Beschäftigten Modelle für den betrieblichen Umgang mit Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Krisenzeiten aufzeigen.

„Berufstätige Eltern sind derzeit immensen Belastungen ausgesetzt“, sagte Giffey dem Handelsblatt. Keiner könne auf Dauer Arbeit, Kinderbetreuung und Homeschooling auf einmal leisten. „Hier sollten Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ihre Beschäftigten mit flexiblen Arbeitszeitregelungen, innovativen Schichtmodellen und angepassten Leistungserwartungen unterstützen“, forderte die SPD-Politikerin. Mithilfe solcher Maßnahmen könnten sich zum Beispiel Mütter und Väter bei der Kinderbetreuung abwechseln. Die entwickelte „Toolbox“ gebe nützliche Tipps.

Tatsächlich ist der Druck auf beiden Seiten immens: bei Arbeitgebern und Beschäftigten. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes besuchen in Deutschland rund 7,3 Millionen Kinder im Alter von bis zu zwölf Jahren Kitas und Schulen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat berechnet, dass von den Schließungen der Kitas und Schulen gut drei Millionen berufstätige Väter oder Mütter betroffen sind.

Der gesamte Arbeitsausfall aufgrund dieser Schließungen belief sich demnach allein bis Ende April auf geschätzte 55,8 Millionen Arbeitstage. Die Arbeitgeber kämpfen mit dem Wirtschaftseinbruch durch die Coronakrise und müssen gegen alle Widrigkeiten ihre betrieblichen Abläufe sicherstellen. Der Ausfall berufstätiger Eltern trifft sie also hart.

Das Bundesfamilienministerium hat darum das Unternehmensprogramm „Erfolgsfaktor Familie“ um die Toolbox zu Corona erweitert. Mitentwickelt wurde das Internetportal vom Wirtschaftsforschungsunternehmen Prognos.

„Vereinbarkeit ist kein Instrument, das man je nach wirtschaftlicher Lage ein- oder ausschalten kann“, sagt Dagmar Weßler-Poßberg von Prognos. Vielmehr gehe es darum, die erreichte Entwicklung stetig und damit auch in der Krise weiter zu stärken und voranzubringen. „Dann kann Vereinbarkeit nach der Krise auch wieder Innovationsmotor und Garant für eine erfolgreiche Fachkräftesicherung sein“, ist die Expertin für Genderfragen und Vereinbarkeit überzeugt.

Überbetriebliche Lösungen gesucht

Konkret gibt es in der Toolbox bislang Instrumente zu Homeoffice, Homeschooling oder der Flexibilisierung von Arbeitszeiten. Denn die Überbrückungsstrategien von Eltern wie Überstundenabbau und Urlaub sind mittlerweile meist ausgereizt. Dazu kommt, dass durch die Lockerungen in der Coronakrise wieder mehr Präsenz am Arbeitsplatz erforderlich ist. „Was ist also zusätzlich zu den bisherigen flexiblen Arbeitszeitmodellen sowie dem temporären Homeoffice möglich, um die Betreuungsfrage auf längere Zeit zu lösen?“, heißt es auf der Plattform.

Eine Checkliste für Unternehmens- und Personalverantwortliche fragt entsprechend nach flexibler Gleitzeit, Schichtmodellen oder Jahresarbeitszeitkonten. Auch eine Änderung des Stundenvolumens wird angeregt: „Können beide Elternteile vorübergehend und flexibel ihr Stundenvolumen verändern? Ist sichergestellt, dass eine Kürzung später wieder auf die ursprüngliche Wochenarbeitszeit angehoben wird und nicht in der Teilzeitfalle mündet?“

Angeraten werden überbetriebliche Lösungen, etwa gemeinsame Videokonferenzen mit beiden betroffenen Personalabteilungen, sollten die Eltern nicht im gleichen Betrieb arbeiten. „Wenn diese Zeit gemeinsam gut gemeistert wird, können Sie sich als Arbeitgeber auch in Zukunft auf beide Elternteile als qualifizierte und noch stärker motivierte Fachkraft verlassen“, heißt es.

Ein Unternehmen, das die Instrumente bereits genutzt hat, ist die Investitionsbank Schleswig-Holstein. Das Förderinstitut muss in der Coronakrise große zusätzliche Aufgaben bewältigen, da es für die regionale Abwicklung der unterschiedlichen staatlichen Hilfsprogramme zuständig ist. Zugleich haben die mehr als 600 Mitarbeiter verschiedene Schutzbedürfnisse und Betreuungsherausforderungen.

„Mehr Betreuungszeit notwendig“

Der erste Schritt: Die Investitionsbank gestaltete die Arbeitszeiten flexibler. Der Rahmen wurde auf die Zeit von sechs bis 22 Uhr erweitert, und Homeoffice wurde ermöglicht. Beschäftigte mit Familienverantwortung können so später am Abend oder sogar am Wochenende die Arbeitszeit nachholen.

„Wir haben den Eltern auch gesagt, dass uns bewusst ist, dass mehr Betreuungszeit notwendig ist“, berichtet Personalreferentin Lina Buttgereit. „Wir schenken ihnen das Vertrauen, dass sie ihren Job im Homeoffice so gut wie möglich machen.“ Die Arbeitszeit können die Angestellten regulär erfassen, auch wenn zwischendurch Unterbrechungen für die Betreuung notwendig sind.

Für die Mitarbeiter, die die staatlichen Corona-Hilfsprogramme abwickeln, wurde ein besonderes Angebot geschaffen: „Wer im telefonischen Kontakt intensiv mit Einzelschicksalen konfrontiert ist, kann eine psychologische Unterstützung in Anspruch nehmen“, erklärt Buttgereit. Für alle Beschäftigten wurde die psychosoziale Beratung per Telefon durch die Betriebsärztin ausgeweitet.

Auf der Internetplattform des Ministeriums heißt es jedoch auch: „Ausnahmen bleiben Ausnahmen.“ Der Arbeitgeber müsse kommunizieren, dass einige Vorgehensweisen nur temporärer Natur seien und im Normalbetrieb wieder angepasst werden müssten – zum Beispiel die Akzeptanz einer eingeschränkten Erreichbarkeit. Giffey unterstreicht: „Die Erfahrungen zeigen, dass Unternehmen mit einer familienorientierten Unternehmenskultur für die Herausforderungen der Coronakrise besser gewappnet sind.“

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