Maske vs. Rocchigiani 1995

"Die Punkturteile, die waren skandalös"

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Nichts für schwache Nerven.(Foto: imago images / Laci Perenyi)

"Gentleman" gegen "Straßenköter", Ost gegen West, eine Frage der Ehre: Henry Maske gegen Graciano Rocchigiani. Am 27. Mai 1995 treffen die deutschen Boxer aufeinander, Millionen Box-Fans schauen zu. Im Interview mit ntv.de erinnert sich Matchmaker Jean-Marcel Nartz an die Konflikte im Vorfeld, an den Kampf, den er nie wollte und die Samthandschuhe für den Sieger.

ntv.de: Warum war der Kampf zwischen Henry Maske und Graciano Rocchigiani eigentlich "Eine Frage der Ehre" und wurde als solche promotet?

Jean-Marcel Nartz: Die Idee für den Titel hatte Kai Ebel. Kai hat damals nicht nachgelassen, RTL zu überzeugen. Sauerland (Wilfried Sauerland, Maskes Promoter, Anm. d. Red.) wollte ursprünglich eigentlich zur ARD, die hatten damals aber noch gar nicht erkannt, was für ein Potenzial in Henry steckte. Kai hatte das gut erkannt, er war ja auch ein Boxfan. Er rief dann immer bei mir an und so wurde das Ganze dann in Berlin festgemacht.

Henry Maske war immer der "Gentleman" - wie kam es zu diesem edlen "Kampfnamen"?

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Jean-Marcel Nartz arbeitete während des deutschen Box-Booms als Matchmaker für die großen Boxställe Sauerland und Universum, war außerdem viele Jahre als Box-Funktionär tätig.(Foto: imago/Eduard Bopp)

Henry hatte sich anfangs vehement gegen den Gentleman gewehrt. Journalisten aus Ostdeutschland hatten ihn zunächst nach einem Besuch in Miami zum "Weißen Tiger" gemacht. Da habe ich gesagt: "Den kannste nicht weißen Tiger nennen, der kann ja kein Ei zerschlagen (lacht; Maske gewann nur elf seiner 32 Kämpfe durch K.-o., Anm. d. Red.) Gentleman passt da besser, der kann boxen, aber er ist kein Tiger, kein Beißer." So wurde er der Gentleman.

So war Maske gegen Rocky dann auch das Duell der Gegensätze: "Gentleman vs. "Straßenköter", Ossi vs. Wessi wurde im Vorfeld tituliert …

Rocky war einfach einer aus dem Volk, was Henry so nie war, obwohl er natürlich eine Persönlichkeit war. Rocky war ein Mann vom Volke. Achterbahn-Leben, mal besoffen, mal nüchtern, mal verhurt. Viele haben sich mit ihm und ihrem eigenen Leben identifiziert. Er war einfach eine Fighter-Natur, aber er konnte auch boxen. Das haben viele verhehlt.

So entstand die Situation: der Gentleman aus dem Osten und der Streetfighter aus dem Westen. So kam das mit dem Ossi gegen den Wessi. Etwas, das Henry so nie wollte. Aber Rocky hat immer darauf gedrängt, auch bei der Pressekonferenz in Dortmund machte er ganz klar. "Was erzählst du für einen Stuss, das ist ein Ost-West-Duell." So ist das entstanden. Rocky war sowieso derjenige, der durch seine Äußerungen das Ganze angeheizt hat. Das war nie Henrys Sache oder die von Manfred Wolke (Maskes Trainer, Anm. d. Red.), die sich nur auf das Sportliche konzentrieren wollten. Ein Ballyhoo wollten sie nicht und das ganze Wessi-Gedöns mochten sie überhaupt nicht."

Und durch diese Gegensätze …

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Rocchigiani brachte Maske an den Rand der Niederlage.(Foto: imago/Camera 4)

Dadurch zog der Kampf ganz Deutschland in seinen Bann. Dank RTL, dank der ganzen Choreografie, an der Helmut Thoma (damals RTL-Geschäftsführer, Anm. d. Red.), der ein Fan von Henry war, einen großen Anteil hatte. Die Lasershow, die damals in der Westfalenhalle gemacht wurde, die war sensationell. So etwas hat es in Deutschland in dieser Form auch nicht mehr gegeben. Die Quoten haben es dann ja auch bestätigt.

Was hielten Sie selbst von dem Kampf?

Ich persönlich wollte den Kampf nie. Ich war damals bei Sauerland angestellt und musste für Maske sein, aber mein Herz schlug auch für Rocky. Denn Rocky hat unter meiner Regie als Matchmaker keinen einzigen Kampf verloren. Er war ja zwischendurch weg, weil ihn Sauerland nicht so gut behandelte, wie er den Henry behandelte, weil Rocky immer der Beschissene war. Deswegen wollte ich den Kampf nicht, obwohl ich wusste, dass er viel Geld bringen würde für beide. Und Rocky brauchte das Geld dringender als Henry.

Maske gewann auf den Punktzetteln deutlich nach Punkten, obwohl der Kampf mehr als ausgeglichen war - ein Skandalurteil?

Ein Skandalurteil würde ich es nicht nennen. Auf meinem Punktzettel stand ein Unentschieden mit Tendenz zu Rocky. Das spiegelte sich ja auch in der Zuschauerreaktionen wider. Als Rocky als Erster in den Ring kam, wurde er ausgepfiffen und Henry danach bejubelt. Nach dem Kampf wurde Rocky bejubelt und Henry ausgepfiffen. Das sagt eigentlich alles aus. Ich würde es eher RTL-Heimurteil nennen (lacht).

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Maske gewann nach Punkten, obwohl viele Beobachter Rocchigiani vorne sahen.(Foto: imago images/Camera 4)

Die Punkturteile, also die Einzelwertungen, die waren skandalös, machten am Ende aber nichts aus. Es war ja egal, ob Henry zwei oder vier oder sechs Punkte vorne lag. Das war nicht korrekt, wie die Punktrichter gepunktet haben. Aber das lag wahrscheinlich daran, dass die drei Herren im Vorfeld mit Samthandschuhen behandelt und umgarnt wurden (schmunzelt).

Sie haben lange auch als Boxfunktionär gearbeitet - hätte der Ringrichters Maskes Bodenbesuch in Runde 12 als Niederschlag werten müssen?

Es war ein Fehler des Ringrichters, den Niederschlag nicht als Niederschlag zu werten. Deswegen war bei mir die Tendenz auch eher zu Rocky als zu Maske. Es war ein Niederschlag, hundertprozentig, auch wenn Henry das bis heute abstreitet.

Mit Jean-Marcel Nartz sprach Martin Armbruster