Bildung

Schulen: Förderpläne für Coronaverlierer sind bisher Mangelware

Deutschlands Schüler haben viel versäumt in der Krise, Experten warnen bereits vor anhaltenden Schäden. Doch kaum ein Bundesland plant Extrakurse, um die Lücken zu füllen. 

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Abiturprüfung in Coronazeiten

Für das Gros der Schüler ist regulärer Unterricht nicht in Sicht.(Foto: dpa)

Berlin. Mitte März wurden die Schulen geschlossen, seit dem 4. Mai öffnen sie schrittweise wieder. Bis zu den Sommerferien, so das Ziel der Länder, soll jeder Schüler mindestens einmal in die Schule gehen. Regulären Unterricht wird es bis dahin nicht geben.

Damit ist auch klar, dass sich bei vielen gewaltige Lernlücken auftun – weil der Kontakt zu den Lehrern nur sporadisch stattfindet, die Technik für das Homeschooling fehlt oder die Unterstützung der Eltern.

„Vor allem Schüler aus bildungsfernen Elternhäusern haben in der Coronakrise erhebliche Nachteile“, warnt die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), Jutta Allmendinger. Denn „ihre Eltern können die vielen ausgefallenen Schulstunden nicht einfach so ausgleichen“.

Wenn die Bundesländer jetzt nicht gegensteuerten, „dann werden diese Kinder den Rückstand nicht mehr aufholen können“, betont Allmendinger. Und der ist vermutlich gewaltig: Der Präsident des Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, warnte schon im März im Handelsblatt-Interview: „Wenn wir es schaffen, mit digitalen Mitteln auch nur ein Viertel des normalen Präsenzunterrichts zu ersetzen, können wir schon froh sein. Ich fürchte, dass das an vielen Schulen noch weniger sein wird.“

Mehr als die Hälfte der Lehrkräfte gibt an, dass sie überhaupt nicht oder eher schlecht auf das Homeschooling vorbereitet war, ergab eine Umfrage der Online-Lernplattform Sofatutor. Gut die Hälfte der Eltern musste sich selbst um digitale Medien zum Lernen kümmern, 45 Prozent fühlen sich durch Schulen beziehungsweise Lehrkräfte beim Unterricht zu Hause nur unzureichend unterstützt.

Lehrerpräsident Meidinger zeigte sich zu Beginn der Pandemie überzeugt, dass „wir sicherlich auch Nachhol- und Förderkurse anbieten, wenn es mit dem Präsenzunterricht wieder richtig losgeht“. Davon ist jedoch kaum etwas in Sicht, zeigt eine Umfrage des Handelsblatts.

Konkrete Maßnahmen oder Pläne für Extrakurse – zusätzlich zum Unterricht, samstags oder in den Ferien – sind bisher die große Ausnahme. Neun Länder antworteten nicht einmal auf die entsprechende Anfrage, von den übrigen haben die meisten nur sehr vage Pläne. Die Zeit ist knapp, denn in vielen Ländern beginnen die Sommerferien schon in vier Wochen, in den anderen spätestens in acht Wochen.

Berlin und Baden-Württemberg stechen positiv hervor

Zu den Ausnahmen im positiven Sinne gehört Berlin: Dort startete Schulsenatorin Sandra Scheeres (SPD)  mit der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) das Projekt „Lernbrücken“. Hier arbeiten erstmals Schulen und freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe zusammen, um Familien von Schülern zu kontaktieren, die große Probleme haben, zu Hause zu lernen.

Ziel sei, mit den Familien Kontakt aufzunehmen, Lernhilfen vorbeizubringen, anzurufen oder sie wenn nötig auch kurz zu besuchen: „Wir wollen alle Ressourcen nutzen, um diese Kinder und Jugendlichen zu motivieren und auch emotional zu begleiten“, sagte Scheeres. Für die Sommerferien verspricht sie, das Angebot an Sommerferienschulen deutlich auszubauen.

Aktuell gibt es an 86 der 240 Berliner Schulen ein solches Angebot, das jeweils zumindest 30 Kinder betreut. „Das Interesse der Schulen ist gewaltig“, sagt DKJS-Geschäftsführerin Heike Kahl. Bisher ist die Aktion auf sechs Wochen angelegt, für die die Senatorin 3,2 Millionen Euro bereitstellt. „Aber es gibt gute Gesprächen über eine Verlängerung“, berichtet Kahl.

Baden-Württembergs Schulministerin Susanne Eisenmann (CDU) habe „das Thema fest im Blick und bereits umfassend reagiert“, versichert ihre Sprecherin. Derzeit würden für Schüler aller Jahrgangsstufen, die zu Hause weder analog noch digital erreicht wurden, spezielle Lerngruppen an den Schulen eingerichtet.

In den Sommerferien werde man zudem freiwillige Lern- und Förderangebote anbieten für Schüler, die sich unsicher fühlen und mehr üben möchten. Weil der Bedarf groß sei, will Baden-Württemberg die 65 Millionen Euro,  die es aus dem neuen 500-Millionen-Euro-Sofortausstattungsprogramm des Bundes für Leihlaptops erhält, verdoppeln. Mit 130 Millionen Euro könnten rund 300.000 digitale Endgeräte für öffentliche und private Schulen beschafft werden.

Viele Pläne sind nur sehr vage

Die Pläne der übrigen Länder sind dagegen sehr vage, auch Samstagsunterricht ist nirgends geplant. Das Schulministerium in Nordrhein-Westfalen etwa „arbeitet derzeit an Konzepten, um Schülern in den Sommerferien Angebote zu machen“, hieß es dort. Dann sollen, wenn Corona es erlaubt, möglichst auch die Deutsch-Sonderkurse für Migranten, die in den Osterferien ausgefallen waren, wieder stattfinden.

Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) „vertraut auf das didaktische Know-how und pädagogische Einfühlungsvermögen unserer sehr gut qualifizierten Lehrkräfte“, teilte sein Sprecher mit. In anderen Worten: Die Pädagogen müssen im normalen Unterricht sehen, wie sie mit dem Coronarückstand der schwächsten Schüler zurechtkommen.

Im Saarland heißt es zwar, die letzten Wochen hätten gezeigt, „dass nicht alle Schüler von den Angeboten für das Lernen zu Hause profitieren konnten“. Und das seien beileibe nicht nur die, die „schon vor der Schulschließung besondere Förderung brauchten“, ließ Ministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) mitteilen. Eine neue Verordnung erlaube daher weitere Unterstützungsangebote der Schulen neben dem normalen Unterricht und der Notbetreuung. Wie und ob diese auch kommen, ist noch nicht klar.  Samstagsunterricht ist nicht geplant.

„Bildungsungerechtigkeit mit aller Kraft angehen“

Auch in Rheinland-Pfalz „soll es pädagogische Angebote in den Sommerferien geben“ – mit freiwilliger Teilnahme. Für den andauernden teilweisen Fernunterricht habe man aber schon gemeinsam mit den Kommunen 37.000 Notebooks und Laptops besorgt, die an Schüler ausgeliehen werden können. 

Thüringen will die „durch die Schulschließungen zwangsläufig verschärfte Bildungsungerechtigkeit mit aller Kraft angehen“, heißt es dort. Daher durften Schüler, bei denen die Lehrer besondere Hilfe für nötig erachten, Anfang Mai immerhin zwei Tage früher in die Schule zurückkehren als die übrigen.

Man denke aber über unterstützende Angebote in den Ferien und im nächsten Schuljahr nach. Allerdings sei Samstagsunterricht nach dem Thüringer Schulgesetz nicht erlaubt.

Mehr: Endlich Leihlaptops für Schüler – das wurde höchste Zeit, kommentiert Barbara Gillmann.