https://www.rbb24.de/content/dam/rbb/rbb/rbb24/2020/2020_05/dpa-accont/112351648-1-.jpg.jpg/size=1920x1080
Bild: dpa/Alex Maxim
Frauen als Opfer von Hate Speech

Wie die Aktion #coronaelternrechnenab digitale Gewalt provozierte

by

Im Internet lässt sich rasend schnell eine politische Debatte anstoßen und genauso schnell auch wieder abwürgen, wie die Initiatorinnen von #coronaelternrechnenab erleben mussten. Digitale Gewalt hat sie zum Rückzug gezwungen. Von Anke Fink

Da tun sich drei Frauen zusammen, um auf ein drängendes Problem auf kreative Weise im Internet aufmerksam zu machen. Sie sind alleinerziehend und durch die Corona-Pandemie überlastet, weil sie ihre Kinder betreuen, unterrichten, erziehen und ihre eigenen Jobs im Home-Office auch noch irgendwie nachts oder früh morgens dazwischenschieben müssen. Sie schreiben also eine fiktive Rechnung für den Zeitraum von Mitte März bis Ende April 2020 (Ohne Osterferien) und stellen die Summe von 8.294,30 Euro dem Schulsenat Hamburg in Rechnung.

Das Ganze versehen sie mit dem Hashtag #coronaelternrechnenab und ernten nicht etwa Anerkennung dafür, dass sie ein drängendes Problem auf knackige Weise an die Öffentlichkeit bringen und damit eine Diskussion über Vereinbarkeit von Homeschooling und Homeoffice eröffnen. Sie bekommen einen veritablen Shitstorm, so dass die Unterzeichnerinnen ihre Profile für die Öffentlichkeit sperren und keine Interviews mehr geben wollen.

"Hä warum erschießt sie ihr kind nicht einfach? Wär am billigsten."

"ES IST EINE ABSOLUTE SAUEREI WIE DU ÜBER DEINE MUTTERSCHAFT DENKST. SCHÄMEN SOLLTE MAN SICH BEI SOLCHEN ARGUMENTATIONEN. DEIN KIND ZU BETREUEN IST EINE FREIWILLIGE BASIS AUS LIEBE ZU SEINEM KIND."

"Ob du behindert bist hab ich gefragt"

oder

"Das Desinfektionsmittel ist für die Hände, nicht zum saufen!"

Natürlich kann man darüber streiten, ob eine – wenn auch fiktive Rechnung an den Staat – der richtige Weg ist, um auf das Thema aufmerksam zu machen. Man kann auch darüber streiten, ob man für die Betreuung seiner Kinder einen Stundensatz von 15 Euro aufschreibt und für das Homeschooling 25 Euro. Man kann darüber streiten, ob das pädagogische Personal in Deutschland zu viel oder zu wenig verdient. Was aber zum überwiegenden Teil passiert ist, sind Beleidigungen und Diffamierungen der Initiatorinnen.

Nur wenige Twitter-User springen den Frauen bei, etwa @Workingmommy6, die schreibt: "Krass was passiert wenn Eltern um Anerkennung und Hilfe rufen. Ich hätte mir diesen Shitstorm bei VW, Lufthansa und Co. gewünscht: 'Ihr habt euch diese Branche ausgesucht, kommt alleine damit klar, wenn es schwierig wird'".

Digitale Gewalt drängt Frauen aus den Parlamenten

Die Diskussion ist nun offenbar beendet und im Ergebnis werden sich noch viel seltener Frauen trauen, im digitalen Raum ihre Forderungen zu vertreten. "Die hasserfüllte Reaktion auf die Aktion #CoronaElternrechnenab ist ein Beispiel dafür wie digitale Gewalt funktioniert", sagt Ines Kappert rbb|24. Sie leitet das Gunda-Werner-Institut in Berlin, das zur Heinrich-Böll-Stiftung gehört und sich unter anderem mit feministischer Netzpolitik und digitaler Gewalt gegen Frauen im Internet auseinandersetzt. Die Zunahme der Diffamierungen und Gewaltandrohungen vor allem in den sozialen Medien führe auch dazu, dass sich weniger Frauen politisch engagieren. Das ist ein Grund von mehreren, dass im Parlament nur noch ein Drittel der Abgeordneten weiblich ist, wie die Institutsleiterin weiter ausführt.

Die Ursache dafür liegt zu einem erheblichen Teil an der Bedrohung im digitalen Raum, wie die Europäische Akademie für Frauen festgestellt hat. In deren Analysen zur Kommunalpolitik verfestigte sich das Urteil vieler Frauen, dass Politik kein erstrebenswertes Arbeitsfeld ist, weil man zu vielen Diffamierungen ausgesetzt sei.

Je mehr Minderheit, desto heftiger die Bedrohungen

Auch Männer erlebten digitale Gewalt und würden im Internet beleidigt. Bei Frauen käme jedoch häufig die geschlechtsspezifische Komponente dazu. Im schlimmsten Fall bekommen sie Vergewaltigungsandrohungen, berichtet Ines Kappert. Migrantinnen seien zusätzlich noch von Rassismus betroffen, und Homosexuelle würden homophob beleidigt. "In der Regel verstärken sich bei Minderheiten die Angriffe umso mehr", so die Institutsleiterin weiter. Es gehe dabei um territoriale Macht. Die Angreifer wollen ihre Opfer aus dem öffentlichen Raum drängen, ihren Bewegungsradius beschneiden. Ihr Motto sei: Du gehörst nicht dazu. Du bist still.

Am meisten trifft der Hass Women of Color

Digitale Gewalt ist noch nicht ausreichend erforscht und analysiert. Die ersten, die sich empirisch mit digitaler Gewalt beschäftigt haben, war die Redaktion der britischen Zeitung The Guardian. Sie hat im Jahr 2016 die Hasskommentare unter ihren Artikeln ausgewertet und dabei festgestellt, dass insbesondere Frauen attackiert werden. Bei den Männern seien vor allem diejenigen mit Migrationshintergrund am häufigsten beleidigt worden. Die meisten Angriffe bekamen demnach aber Frauen of Color. Digitale Gewalt sei ein neues Feld, das sich aufspanne, so Ines Kappert. Dabei mische es sich häufig mit Rassismus, wie es auch die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) erlebt habe. Laut einem Urteil des Berliner Amtsgerichts muss sie sich als "Quotenmigrantin der SPD" und "islamische Sprechpuppe" bezeichnen lassen.  

Renate Künast klagt sich durch die Instanzen

Der Fall von Hasspostings gegen die Grünen-Politikerin Renate Künast hat das Thema in Deutschland häufiger in die Schlagzeilen gebracht. Denn im September 2019 urteilte das Landgericht Berlin zunächst, sie müsse sich in Kommentaren zu einem Facebook-Post als "Stück Scheisse", "Schlampe", "Drecks Fotze", als "hohle Nuß, die entsorgt gehört" und als "Sondermüll" bezeichnen lassen. Das Berliner Kammergericht hat zwar in der nächsthöheren Instanz zwölf von 22 der Kommentare als unzulässig erklärt. Doch die zehn zulässigen gehen nach Ansicht von Künasts Anwälten noch immer zu weit. Die Politikerin sagte nach dem Urteil, sie wolle prüfen, ob sie mit einer weiteren Beschwerde vor das Bundesverfassungsgericht gehen könne.  

Gemeinsam mit 19 weiteren Politikerinnen, Kulturschaffenden und Funktionärinnen hat sie im September 2019 einen Aufruf gegen Gewalt im Netz gestartet. Unter dem Titel "Frauen gegen digitale Gewalt #NetzohneGewalt" fordern sie mehr Strafverfolgung gegen die Attacken und mehr wissenschaftliche Analysen darüber, woher dieser Hass kommt. "Auch im ganz normalen Alltag wird im Digitalen Druck auf Frauen ausgeübt; da werden sie beschimpft, gibt es Stalking bis hin zu zugesandten Nacktbildern", sagte Künast.

Digitale Gewalt durch Ex-Freunde und Kollegen

An dieser Stelle setzt auch der Bundesverband für Frauennotrufe (bff) an, der seit 2017 zu digitaler Gewalt gegen Frauen und Mädchen arbeitet. In mehreren Videos wird auf ihrer Website erklärt, wie Frauen im Netz bedroht werden.

Die digitale Gewalt stammt demnach häufig von Ex-Partnern oder Kollegen. Auch Stalking finde nun vermehrt im Internet statt, ebenso werde Spionage-Software gegen die Frauen eingesetzt. Es komme zu Erpressungen mit Privatbildern. Die Folgen dieser Angriffe seien die gleichen wie bei anderer Gewalt auch: Die Betroffenen bekommen Angst, Depressionen oder Schlafstörungen und denken schlimmstenfalls an Suizid. Wenn sich die Opfer versuchen zu wehren, etwa die Plattformen anschreiben und auf ihre Angriffe im Netz aufmerksam machen, bekämen sie oft den Hinweis, dass die Postings nicht als sexistisch oder rassistisch eingestuft worden seien, heißt es beim bff. Dies sei ein klassischer Fall von Täter-Opfer-Umkehr. Zudem sind weder die Ausbildung noch die Kompetenz zum Thema Gewalt im Netz bei Beratungsstellen, bei Polizei oder Staatsanwaltschaft ausreichend vorhanden, fügt Ines Kappert hinzu. Wer mit Vergewaltigungsfantasien oder Tötungsabsichten bedroht wird, werde aktuell häufig mit den Worten beraten: Dann machen sie doch den Computer aus.

"Männerwelten" auf ProSieben schafft Aufmerksamkeit

Durch prominente Rechtsfälle wie dem von Renate Künast wird das Thema präsenter. Auch die 15-minütige Sendung "Männerwelten", die ProSieben zum Thema sexualisierte Gewalt gegen Frauen Mitte Mai zeigte, hat geholfen, ein Problembewusstsein zu schaffen. Wenn die Moderatorin Palina Rojinski, die ihr ungebeten zugeschickten Penis-Bilder zeigt oder Katrin Bauerfeind und Collien Ulmen Fernandes übergriffige Chatverläufe vorlesen, gibt das ersten konkreten Forderungen vom bff womöglich etwas Rückenwind.

Sie wollen eine öffentliche Debatte zu digitaler Gewalt gegen Frauen und Minderheiten. Dabei soll klar gezeigt werden, wie diese mit anderen Diskriminierungsformen verwoben sind, etwa Rassismus, Antisemitismus oder Behindertenfeindlichkeit. Betroffene müssten beratende und juristische Hilfe bekommen. Es sei zwingend notwendig, dass bei den Staatsanwaltschaften eigene Einheiten zu digitaler Gewalt und Hate Speech entstünden. Polizei und Gerichte müssten personell und technisch so ausgestattet und ausgebildet werden, dass Strafrechtsverstöße im Netz schnell bearbeitet und die Opfer angemessen behandelt werden. Die Beratungsstellen müssten unabhängig arbeiten können und kosten- und barrierefrei zur Verfügung stehen. Social-Media-Dienstanbieter dürften nicht aus ihrer Pflicht entlassen werden und sollten auch Kosten für Beratungsangebote übernehmen. Außerdem müsse die Forschung zu geschlechtsspezifischer Gewalt aktualisiert und ausgeweitet werden. Dafür müssten mehr Daten zur Verfügung stehen, etwa durch geschlechtsspezifische Statistiken zu digitaler Gewalt, die bei der Polizei geführt werden sollten.

Ohne Internet geht es nicht

Aus Aufrufen und Aktionen im Internet kann Großes werden wie #MeToo oder die deutsche Debatte zum #aufschrei aus dem Jahr 2013 gezeigt haben. Weil sie mit #aufschrei eine Diskussion zu Alltagssexismus angestoßen hatte, bekam die Initiatorin Anne Wizorek den Grimme Online Award. Allerdings erlebt auch sie als Folge daraus digitale Gewalt. Wie sie in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk berichtet, hat sie inzwischen eine Vertrauensperson, die ihren E-Mail-Eingang und die Kommentare auf den Plattformen vorher checkt, damit sie nicht ständig mit Gewalt konfrontiert wird. Anne Wizorek könne eben nicht einfach sagen, sie lasse das Internet jetzt mal sein. Sie brauche es für ihre Arbeit und empfindet es sogar in vielerlei Hinsicht als Heimat. Das Netz ist eigentlich ein Raum, wo sich Minderheiten gern bewegen, weil sie dort Communities von Gleichgesinnten finden und damit auch sozial gestärkt werden. Genau deshalb ist es laut bff wichtig, dass Internetplattformen sichere Ort sind, auf denen man nicht mit sexualisierter Gewalt konfrontiert wird.