Neues Album „Island“
Owen Pallett: Mit der Schönheit des Opulenten
by Robert FröweinDer Kanadier Owen Pallett ist ein kompositorisches Multitalent und hat nach sechs Jahren Wartezeit und zahlreichen Verschiebungen unlängst über Nacht sein neues Studioalbum „Island“ veröffentlicht. Im großen „Krone“-Interview spricht der 40-Jährige aber nicht nur über seinen versatilen Zugang zur Musik, sondern auch über einen Selbstmordversuch, zurückgehende Erektionen und wie er Vergangenheit und Nostalgie erlebt und in die Gegenwart einknüpft.
Owen Pallett ist kein einfacher Mensch. Das weiß jeder, der ihn kennt oder schon mit ihm gearbeitet hat und das sagt er auch selbst. Der 40-jährige Kanadier hat zuerst unter dem Banner Final Fantasy und seit nunmehr zehn Jahren unter seinem Eigennamen eine Vielzahl an grandiosen Songs verfasst, heimste mit Win Butler für den Soundtrack zu „Her“ 2014 eine Oscar-Nominierung ein und arbeitete als Streicher oder Bläser mit Orchesterarrangements für so unterschiedliche Superstars wie die Pet Shop Boys, Taylor Swift, Frank Ocean, The National, R.E.M. oder Linkin Park. Er ist aber auch ein perfektionistischer Querkopf, schwierig im alltäglichen Umgang, aber umso genialer in kreativen Momenten. Ein Vollblutkünstler, der sich niemals vor sein Werk stellt und stets darauf bedacht ist, betörende Schönheit in Klänge zu gießen.
Opus Magnum
Erst letzten November begeisterte er als Headliner beim traditionellen „Blue Bird Festival“ im Wiener Porgy & Bess und kündigte gegenüber der „Krone“ im Interview bereits an, dass er im Laufe dieses Jahres endlich sein neues Studioalbum veröffentlichen werde. „In Conflict“ datiert aus dem Jahr 2014, eine fast schon museale Ewigkeit im auf Hochgeschwindigkeit getrimmten Musikbusiness. Dazwischen hat Pallett Musik für zwei Fernsehserien und sieben Filme produziert und trat auch immer wieder live auf. Nun also „Island“, sein lange geplantes und tatsächlich wunderbar gelungenes Opus Magnum. Ein Orchesteralbum mit progressiven Rock-Schüben, mit anmutigen Melodiebögen, mit dramatischen Streichern und cinematischen Arrangements. Songs, die teilweise vom renommierten Londoner Contemporary Orchestra in den großen Abbey Road Studios, veredelt wurden.
Erstmals hat sich Pallett beim einem Albumprozess keine Gedanken darüber gemacht, wie und ob es überhaupt live umsetzbar wäre. Für jemanden, der im großen Musikteich gerade für seine virtuosen Live-Qualitäten geschätzt wird, keine leichte Entscheidung. Inhaltlich knüpft „Island“ an sein Pallett-Debüt „Heartland“ aus dem Jahr 2010 an. Es geht um die Geschichte eines schönen, gewalttätigen Farmers mit dem Namen Lewis, der sich im steten Kampf mit einer Gottheit namens Owen befindet. Ein Parforceritt zwischen Autobiografie und Fiktion, der dem sensiblen Künstler einmal alles abverlangte. Einem Hasen gleich springt Pallett zwischen Sozialkritik und Nintendo-Spielen hin und her, würzt seinen trockenen Humor mit einer kräftigen Prise Ernsthaftigkeit und erschafft dadurch mit „Island“ ein Album voll gegenwärtiger Dringlichkeit. Episch, anmutig und paralysierend.
„Krone“: Owen, über dich kursieren viele Gerüchte, dass du das Livespielen verabscheuen würdest. Ist da was dran?
Owen Pallett: Absolut nicht, ich spiele irrsinnig gerne live. Ich habe zuletzt nicht so viel gespielt, weil es mir nicht möglich war, aber das hat nichts mit wollen zu tun.
Bei dir hat man das Gefühl, dass der Tag mehr als 24 Stunden hat. Du arbeitest nicht nur für dich selbst irrsinnig viel, sondern auch für andere Künstler. Verhindern Liebe und Passion zum Tun ein Burn-Out?
Ich habe sogar konstant Burn-Outs. Ich bin eigentlich permanent erschöpft. Ich brauche eine gute Balance in meinem Leben. Gutes Essen, Freunde, Beziehungen, Familie. Wenn das alles stimmt, kann ich viel erreichen, aber im Leben ist das nicht immer so leicht.
Du bewegst dich einerseits in einer alternativen Indie-Pop/Rock-Welt, andererseits in der Klassik. Fällt es dir manchmal schwer, zwischen diesen unterschiedlichen Stilistiken hin- und herzuspringen?
Ich sehe nicht wirklich einen Unterschied. Die Zeit ist der Unterschied. In der klassischen Musik musst du ein, wenn nicht sogar zwei Jahre im Voraus planen. Beim Pop reichen auch vier bis sechs Monate. Ansonsten gibt es für mich persönlich keine Ungleichheiten. Das einzige Genre, in dem ich mich manchmal aufhalte, dass für mich ganz anders ist, ist der Jazz.
Inwiefern?
Es geht da um die Improvisation. Die gibt es ja sonst nirgends, aber im Jazz ist sie essenziell. Ich habe einen gegensätzlichen Zugang dazu. Ich spiele immer dasselbe so präzise und exakt wie möglich. Darauf übe ich auch hin. Improvisieren tust du ja schon beim bloßen Schreiben von Musik. Wenn du dich hinsetzt und etwas am Piano klimperst, dann improvisierst du. Du machst es zuhause und nicht vor einem Publikum, also kannst du noch experimentieren. Es will zum Beispiel keiner hören, wie ich Solos auf einer Gitarre spiele.
Bist du jemand, der in der Musik immer nach der größtmöglichen Perfektion strebt?
Nein, nicht wirklich. Jedes Mal, wenn du in diese Richtung ein Statement abgeben willst, wandelst du ins Paradoxe. Egal was du auch versuchst, du wirst immer nur das Imperfekte hören. Je mehr du versuchst, perfekt zu spielen, umso weiter entfernst du dich davon. Für mich ist das Streben nach Perfektion vergleichbar mit dem Wunsch abzunehmen, obwohl man sich selbst immer als fett ansieht. Egal, was man dagegen macht. (lacht)
Wenn dir erste Ideen zu einem Song oder einer Passage kommen. Wann ist es dann soweit, dass du spürst, dieser Idee sollte man nachgehen und sie ausweiten?
Das passiert eher zufällig. Wenn ich etwa Texte schreibe, dann sammle ich nur Material. Ich schreibe unzählige Seiten voll mit Zeug. Meist sind das Witze oder Dinge, die ich irgendwie interessant finde. Wenn dann das Album Formen annimmt, dann wähle ich aus dem Pool aus Informationen. Auch wenn ich das Piano spiele, habe ich pro Song gefühlte 200 Voice-Memos, die ich während des Kreativprozesses alle aufnehme und verwalte. Daraus will ich dann ca. 20 Songs machen. Anders geht es nicht.
Bist du jemand, der die Kunst anderer bzw. die Künstler selbst beobachtet, um Inspiration zu erlangen?
Ich höre mir alles an, was so herauskommt, sofern ich die Zeit dafür habe. Am liebsten sogar Musik, die ganz weit von meiner eigenen entfernt ist, wie etwa Ambient Drummusik oder viel Perkussives. Ich mag auch Klassik aus dem 21. Jahrhundert. Die meiste Zeit höre ich Musik aber, um zu recherchieren und um zu wissen, was ich nicht machen möchte.
Worin liegt für dich der Unterschied zwischen Songs für dich selbst und Songs für andere zu machen?
Ich weiß es nicht so wirklich. Vielleicht habe ich mehr Passion für die eigenen Dinge, aber sicher auch mehr Stress. Es ermüdet mich oft, an eigener Musik zu arbeiten und dann versuche ich wieder mit anderen zusammenzuarbeiten. Ich bin schnell einsam und gelangweilt. Auch hier geht es um die richtige Balance.
Du hast schon mit den unterschiedlichsten Künstlern zusammengearbeitet, manchmal auch mit richtig großen Popstars. Ist die Arbeit mit solchen fundamental anders?
Ich versuche immer mehr Energie in einer Zusammenarbeit mit Künstlern zu entwickeln, wo ich gleich spüre, dass sie sehr großen Respekt vor meiner Art von Musik haben. Ich will meine Mitarbeit als sehr wichtig gestalten. Ein gutes Beispiel dafür ist Caribou. Mir war es unheimlich wichtig, dass meine Musik sein Material noch verbessert. Ich verbringe sehr viel Zeit damit, darüber nachzudenken.
Dein neues Album trägt den schönen Namen „Island“. Kannst du verraten, wofür er steht und worum es auf dem Werk geht?
Es ist nicht so persönlich. Es ist eine inhaltliche Fortsetzung zu meinem 2010er-Album „Heartland“, auf dem es um Lewis und Owen ging. Nun ist Lewis auf einer Insel, wo er am Hafen viel zu tun hat und sehr oft besoffen ist. Er versaut sein Leben und landet dann im Knast und hat dort Zeit um zu reflektieren. Manche der Songs sind eigentlich schon fünf Jahre fertig und im September 2015 habe ich schon Songs live gespielt. Ich glaube acht oder neun neue waren das und etwa fünf werden auf dem Album bleiben. Das Album war wirklich schnell und günstig eingespielt, aber aus unterschiedlichen Gründen konnte ich es lange nicht veröffentlichen. Es lag vor allem an meinem geistigen Gesundheitszustand. Es war mir nicht möglich, auf Tour zu gehen oder mich auf die Arbeit zu konzentrieren. Ich musste auf mich selbst achten.
Ist Musik für dich hilfreich, wenn dein psychischer Gesundheitszustand angeschlagen ist?
Die Musik ist mein Job und mein Gesundheitszustand wurde nicht von der Musik, sondern von Leuten verursacht, die aggressiv waren und mir Schaden zufügen wollten. Ich landete in einer suizidalen Depression und nahm 2018 auch einen Selbstmordversuch vor. Seither befinde ich mich im Heilungsprozess. Wichtig dabei sind meine Freunde und die Unterstützung von Menschen, die mir nahe sind. Dazu noch ein sehr guter Therapeut und Medikamente, die mir dabei helfen, meine Ängste zu überwinden.
Für dich sind die Songs natürlich schon sehr alt, wenn so ein Album erscheint. Ist das für dich ein Problem bzw. hast du noch mehr neueres Material, das auch rausmöchte?
Nein, ich schreibe keine neuen Songs, bis ein Album draußen ist. Ich mache viele andere Sachen. Ich habe sehr viel Klassik gemacht und einige Filmsoundtracks verfasst, langweilig wurde mir nie. Das Songwriting selbst stoppe ich aber, bis ein Album verdaut ist. Es muss rauskommen, die Leute müssen es hören, mir ein Feedback darauf geben und es muss auch mal sitzen. Dann kann ich wieder an ein neues Werk denken. Ich nehme meine Arbeit sehr ernst und will, dass alles passt. Wenn ich etwas rausbringe und die Leute kritisieren meine Texte, dann muss ich sofort daran schrauben und sie besser werden lassen. Für mich ist die Musik wirklich ein Job, auch wenn meine Songs persönlich oder emotional sind. Aber in erster Linie will ich den Leuten ein gutes Produkt liefern.
Wann ist deine Musik für dich nach außen hin wertvoll? Wenn du bei Konzerten viel Applaus kriegst? Wenn du für einen Award nominiert wirst? Wenn die Streamingzahlen passen?
Preise zu kriegen oder nominiert zu werden, ist nichts, was mein Herz bewegt. Meist ist das deshalb der Fall, weil man mir Preise für eine Musik geben möchte, wo ich eine gar nicht so starke Verbindung hin spüre. Das heißt nicht, dass ich nicht stolz auf die Musik wäre, aber es ist ein Unterschied. Ich habe einmal einen Emmy bekommen für einen Score, der in zehn Tagen fertiggestellt war. Natürlich ist das großartig, aber ich habe andere Projekte, in denen mehr Herzblut steckt. Ich schätze Preise, aber sie treffen mich nicht. Was mich wirklich berührt sind Menschen, zu denen ich aufschaue oder die ich respektiere und die meine Musik ehrlich schätzen. Das ist für mich etwas wirklich Großartiges. Brian Eno sagte mir einmal, dass er „Heartland“ liebte und das ist wertvoll. Ich weiß noch, dass ich in der Nacht sehr depressiv war, aber das war in dem Moment egal, denn Brian Eno mochte meine Musik. (lacht) Sowas treibt mich immer an.
2009 hast du dein Pseudonym Final Fantasy abgelegt und wurdest endgültig Owen Pallett. War das nachbetrachtet einer der wichtigsten, wenn nicht sogar der wichtigste Karriereschritt zur künstlerischen Entfaltung?
Mit einem Pseudonym in der Musikszene zu arbeiten, war für mich sehr befreiend. Es gab mir eine gewisse Distanz zwischen mir selbst und der Stimme, die meine Songs tragen. Die Songs sind nicht immer aus einer Position geschrieben, an die ich glaube, oder die ich mir wünsche. Ich hatte immer Freude daran, mich ein bisschen verstecken zu können. Heute fühlt es sich so an, als wäre jeder Song meine eigene Meinung und das war für mich lange ein Problem. Über die Jahre hat sich das aber gebessert.
Songs sind oft Zeitaufnahmen aus einer bestimmten Ära. Geht es dir mit deinen auch so? Das manche vielleicht nicht so gut altern?
Nein, gar nicht. Wenn ich meine alten Songs höre, bin ich sehr stolz darauf. Ich habe das Gefühl, dass ich als Erwachsener sehr gute Arbeit geleistet habe und es gibt nur ganz wenige Songs, die mich enttäuschen. Ich weiß, dass es immer sehr arrogant klingt, aber ich habe immer sehr hart an meinen Produkten gearbeitet. Ich will etwas Gutes, Dauerhaftes erschaffen, das ist mir wichtig. Ich habe meine Final-Fantasy-Alben von 2004 bis 2009 remastered und sie fühlten sich so gut an. Ich konnte richtig eintauchen und mich noch einmal in diese Zeit reinleben. Das war wirklich ein schönes Gefühl und es machte mich glücklich.
Viel zu oft wird Selbstsicherheit mit Arroganz verwechselt. Es ist doch gut, wenn man zu seiner Arbeit stehen und sie auch Jahre später noch schätzen kann.
Ich war 13 Jahre lang in einer Beziehung mit einem Mann, die dann daneben ging, aber wir sind noch immer gute Freunde. Erst unlängst haben wir eine Stunde miteinander geschrieben. Ich kann mich darin erinnern, dass ich ihn nicht mehr liebte und vor vier Jahren haben wir Schluss gemacht. Zu dieser Zeit habe ich alte Fotos ausgegraben, auf denen eindeutig zu sehen war, wie bedingungslos und leidenschaftlich wir ineinander verliebt waren. Das Schlimme war aber, dass ich das sah, aber mich nicht mehr an das Gefühl erinnern konnte. Es war wie weggeblasen. Das war eine sehr traurige Erfahrung für mich. Ich schrieb auch viele Songs über ihn und uns und heute ist es so, dass ich eher die Songs fühle, als die Beziehung, die wir hatten. Die Musik zieht mich in eine Welt, die noch in mir existiert. Ich schreibe eigentlich keine Lovesongs über meine Partner, aber manchmal passiert es.
Ist das auch eine Art von Nostalgie, die dir da fehlt und die du vielleicht durch das Hören alter Musik wieder zurückholen möchtest?
Das, was ich hier beschreibe, würde ich nicht als Nostalgie bezeichnen. Es geht um Erinnerungen. Nostalgie impliziert immer eine Unzufriedenheit mit der Gegenwart. Ich bin aber in einer Beziehung und gerade sehr glücklich. Insofern kann es keine Nostalgie geben, weil ich sehr gegenwärtig lebe. Um ehrlich zu sein, gibt es nur eine Sache, wo ich gerne nostalgisch bin: in meinen 20ern bekam ich mehr Erektionen. Das vermisse ich heute etwas.
Viele Künstler behaupten steif und fest, sie können nur dann gehaltvolle Texte schreiben, wenn sie sich in einer schlechten Verfassung befinden. Würdest du dem zustimmen?
Das ist interessant, weil ich das überhaupt nicht so fühle, aber ich kann es verstehen. Ich kann mich schon auch zum Schreiben zwingen, bin aber draufgekommen, dass ich wesentlich schneller bin, wenn ich etwas beweisen möchte. Es ist hart für mich, derzeit zu schreiben, weil ich lange sehr depressiv war und außer dieser Erfahrung in den letzten Monaten kaum etwas erlebt habe. Ich habe auch wenig Lust Musik über die Zustände von Depression zu schreiben. Ich glaube nicht, dass das wertvoll ist, wenn ich andere damit belaste. Ich habe unlängst mit einem Freund gesprochen und ihm gesagt, anstatt fünf Jahre down gewesen zu sein, wäre ich lieber rund um Schottland geflogen, um darüber ein Album zu schreiben. Aber strenggenommen kann ich das auch ohne die physische Erfahrung. (lacht) Vielleicht wird das auch das nächste Album.
Du bist ja auch mit Mayhem-Sänger Attila Csihar befreundet. Das ist eine für mich sehr überraschende und interessante Kombination.
Wir spielten beim Inferno Festival eine Show zusammen. Er hatte ein Vocal-Soloprojekt namens Void Ov Voices, das sehr gut war. Das hat wirklich Spaß gemacht. Abseits seines Jobs bei Mayhem liebe ich seine kollaborative Arbeit. Er hat sich in so vielen Bereichen ausprobiert, er ist ein fantastischer Musiker.
Vielleicht solltest du einmal eine klassische Komposition für Mayhem erschaffen?
Eher nicht. Wenn sie mich engagieren wollen und ich vielleicht mal für die Streicher sorgen soll, würde ich mich darüber freuen, aber sie haben ihr Team, das gut funktioniert. Wenn ich mit Klienten arbeite, dann will ich auch die Tantiemen dafür haben, das ist mir sehr wichtig. Wenn das passiert, dann kann man auf jeden Fall drüber reden.