Kriegsende vor 75 Jahren: Zehn mal vergraben und ausgebuddelt: Die bizarre Odyssee von Hitlers Leiche
by FOCUS OnlineNach Adolf Hitlers Selbstmord am 30. April 1945 begann für seine sterblichen Überreste eine lange Odyssee, die erst 25 Jahre später ihr Ende fand. Gleich zehn Mal wurden sie vergraben und wieder ausgebuddelt.
Zu den vielen großen Plänen Adolf Hitlers über die Zukunft nach seinem eigenen Ableben gehörte auch die Vorstellung, was mit seinen eigenen sterblichen Überresten geschehen solle. Und da Bescheidenheit nicht zu den Tugenden des „Führers“ gehörte, plante er gleich ganz groß: 355 Meter hoch und 1500 Meter lang sollte die Halle werden, in der er seine letzte Ruhestätte finden wollte. Gebaut werden sollte dieses gigantische Monument in Linz, der Stadt, in der Hitler seine Jugend verbracht hatte. In der Mitte der „Führergruft“ sollte ein goldener Sarg stehen – so sollte auch der Nachwelt die Größe des Hitlers immer bewusst bleiben.
Munitionskiste statt Sarg aus Gold
Doch es sollte ganz anders kommen. Denn anders als geplant, endete der von Hitler angezettelte Zweite Weltkrieg für Deutschland nicht mit einem Sieg und der Herrschaft über den Rest der Welt, sondern mit einer totalen Niederlage – und für ihn persönlich statt mit einem fulminanten Staatsbegräbnis damit, dass seine Leiche im Hof der Reichskanzlei verbrannt wurde. Und statt in einem Goldsarg wurden die verkohlten sterblichen Überreste jahrzehntelang in einer Munitionskiste gelagert.
Bis Hitlers lange Reise nach seinem Tod an ihr überraschendes Ende kam, sollten allerdings noch 25 Jahre vergehen. Diese Reise hatte zehn Station, auf der seine Überreste immer wieder vergraben und dann wieder ausgebuddelt, wieder vergraben und wieder ausgebuddelt wurden. Der Historiker Harald Sandner hat diese Stationen in seinem voluminösen, vierbändigen Standardwerk „Hitler – Das Itinerar“ aus dem Berlin Story-Verlag nachgezeichnet.
In jahrzehntelanger Kleinarbeit hat Sandner Hitlers Weg Tag für Tag und nicht selten Stunde für Stunde erforscht. Und ebenso hat er intensiv recherchiert, was aus den Überresten des „Führers“ wurde und die zehn Stationen zwischen 1945 und 1970 dargelegt. Die folgende Aufzählung folgt seinen Erkenntnissen.
„Das Fleisch bewegte sich auf und ab“
Station 1, erstes Begräbnis: Hitler begeht in seinem Wohnzimmer im Führerbunker unterhalb der Berliner Reichskanzlei gemeinsam mit seiner erst wenige Stunden zuvor angetrauten Frau Eva, geborene Braun, Selbstmord. Hitler schießt sich mit einer Pistole in den Kopf, Eva vergiftet sich. Um 15.50 werden beide Leichen von Hitlers Kammerdiener Heinz Linge, Kriminaldirektor Peter Högl, SS-Hauptsturmführer Lindloff und SS-Obersturmführer Hans Reiser nach oben in den Garten der Reichskanzlei getragen.
Oben werden beide Leichen in der Nähe des Eingangs – so wie Hitler es selbst angeordnet hatte – mit Benzin übergossen und angezündet. Zwischen 16 Uhr und 18.20 Uhr brennen sie. Laut SS-Rottenführer Hermann Karnau bewegte sich „das Fleisch auf und ab“.
Gegen 18.30 Uhr werden die verkohlten, aber nicht vollständig verbrannten Leichen auf Holzbretter geschoben und in etwa 90 Zentimetern Tiefe in einem Bombenkrater im Garten der Reichskanzlei vergraben. Sowjetführer Stalin ist enttäuscht, dass er Hitler nicht lebend in die Hände bekommen hat. Als er die Meldung von seinem Selbstmord bekommt, sagt er: „Hat er es also getan, der Schweinehund“.
Station 2, Freitag, 4. Mai 1945, zweites Begräbnis: Kämpfer der 3. Stoßarmee, darunter Ivan Curakov, entdecken in einem Bombentrichter zwei bis zur Unkenntlichkeit verbrannte Leichen. Dass es sich dabei um Adolf und Eva Hitler handelt, ahnen sie nicht. Die Leichen werden in Decken eingewickelt und an derselben Stelle wieder vergraben.
Die Familie Goebbels gesellt sich zum Ehepaar Hitler
Station 3, 5. Mai 1945, drittes Begräbnis: Die sowjetischen Soldaten Deryabin und Tsybockhin sowie der Chef des 79. Bataillons, Ivan Klimenko, graben die Leichen am frühen Morgen wieder aus, legen die in Decken gewickelten menschlichen Überreste in eine Munitionskiste und transportieren sie in das sowjetische Feldlazarett Nr. 496. Es befindet sich etwa 20 Kilometer entfernt auf dem Gelände des Krankenhauses Berlin Buch in der Wiltbergstraße 110. Hier befindet sich das Pathologische Institut.
Hierin werden auch acht weitere Leichen gebracht, die von nun an die Begleitung der Überreste des Ehepaares Hitler darstellen werden: Propagandaminister Joseph Goebbels, seine Frau Magda und deren sechs Kinder. Goebbels und seine Frau haben sich ebenfalls im Führerbunker, einen Tag nach den Hitlers, umgebracht. Zuvor hat Magda die sechs Kinder vergiften lassen.
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Historiker Sandner: „Die Expertise der Sowjets enthält bewusste Lügen“
Am 8. Mai obduziert Gerichtsmediziner Dr. Faust Shkaravski von der 1. Weißrussischen Front und Dr. Nikolai Krayevski, der Chefpathologe der Roten Armee, die Leichen. Später wird auch Dr. Michael Arnaudow, ein früherer Assistent Professor Ferdinand Sauerbruchs, hinzugezogen. Hitlers Kiefer wird entnommen und nach Moskau geschickt. Harald Sandner: „Die Expertise der Sowjets enthält bewusste Lügen. Dadurch wird die ‚Legende’ in die Welt gesetzt, Hitler habe sich feige vergiftet, anstatt heldenhaft erschossen“.
Zweifel an der Echtheit der Leiche haben die Ärzte nicht, vor allem, nachdem zwei Assistenten von Hitlers ehemaligem Zahnarzt bestätigt haben, dass es sich um das Gebiss des „Führers“ handelt. Die sterblichen Überreste werden, wie es in einem Brief nach Moskau heißt, „in der Gegend der Stadt Buch vergraben“.
Die zehn Leichen werden auf dem Gelände des Krankenhauses verscharrt. 1963 wird sich der sowjetische Marschall Sokolowski über den Zustand der Überreste äußern: „Obschon Hitlers Körper angesengt war, war er noch gut zu erkennen“.
In einer Munitionskiste wird Hitlers Leiche nach Finow gebracht
Station 4, Mai/Juni 1945, 4. Begräbnis: Am Grab der zehn Toten werden Spuren einer Störung der Grabruhe entdeckt. Hintergrund sind Gerüchte um einen angeblichen Nazi-Schatz. Die Leichen werden exhumiert, in Munitionskisten 38 Kilometer nach Finow geschafft und dort am Stadtrand auf dem Gelände der neuen russischen Garnison begraben.
Station 5, 22. Mai 1945, fünftes Begräbnis: Die Leiche wird erneut exhumiert und anschließend wieder begraben.
Station 6, 3. Juni 1945, sechstes Begräbnis: Der russische General Mesik reist aus Moskau an. Die Leichen werden ein weiteres Mal exhumiert und in das 125 Kilometer entfernte Rathenow transportiert. Hier werden sie am Ortsrand in einem Wald begraben. Zur Tarnung werden Kiefern auf das Grab gepflanzt. Am 9. Juni behauptet der russische Marschall Schukow auf einer Pressekonferenz in Berlin, es seien mehrere Leichen gefunden worden und es sei nicht sicher, dass Hitler wirklich tot sei. Das ist eine mit Absicht in die Welt gesetzte falsche Behauptung.
„Halbverfaulter“ Zustand von Hitlers Leiche
Station 7, Juni 1945, siebtes Begräbnis: Die Leichen werden erneut exhumiert und nach Stendal, 37 Kilometer entfernt von Rathenau, gebracht. Laut einem Bericht befinden sie sich in einem „halbverfaulten“ Zustand. In einem Waldstück erfolgt das siebte Begräbnis.
Eine Untersuchung der Todesursache wird verhindert
Station 8, Dezember 1945 – 13. Januar 1946, achtes Begräbnis: Generalleutnant Kobulow befiehlt eine weitere Untersuchung von Hitlers Leiche, da Zeugenaussagen von einem Selbstmord durch Erschießen berichten und ein im Bombentrichter im Garten der Reichskanzlei gefundenes Schädelstück ein durch einen Ausschuss verursachtes Loch aufweist.
Weil die Sowjet-Führung aber eine Untersuchung verhindern will, werden die menschlichen Überreste einmal mehr ausgegraben und weggeschafft, diesmal nach Magdeburg. Am 13. Januar werden die Munitionskisten mit den Überresten in einer zwei Meter tiefen Grube im Hof der Westendstraße 32 (heute Klausener Straße 32) vergraben. Kobulew kann seine geplante Untersuchung nicht durchführen.
Station 9, 21. Februar 1946, neuntes Begräbnis: Zum achten Mal werden die Leichen exhumiert und Hitlers Überreste werden ein weiteres Mal obduziert. Danach werden die Kisten in einer Garage im Hof der sowjetischen Militärsiedlung unter der 18 Zentimeter dicken Betonbodenplatte begraben.
Station 10, 5. April 1970, zehntes Begräbnis: Weil die Militärsiedlung an die DDR-Behörden übergeben werden soll, lässt KGB-Chef Juri Andropow die Überreste endgültig vernichten, da er befürchtet, dass sie bei eventuellen Baumaßnahmen gefunden werden könnten.
Fünf KGB-Offizieren exhumieren im Schutze eines Zeltes Hitlers Leiche am 4. April zum neunten Mal. Die Knochen aller zehn Leichen werden in Kalashnikowkisten umgelagert. Der leitende Oberst Kowalenkow befiehlt, dass die Aktion für immer und ewig geheim gehalten werden müsse.
Die Überreste werden eine Stunde verbrannt
Im Morgengrauen des folgenden Tages, einem Sonntag, erfolgt Hitlers letzte Reise. Alle zehn Leichen werden auf das Gelände der Kaserne der 248. Garde-Mot-Schützenregiments der 10. Panzerdivision in Schönebeck, etwa elf Kilometer entfernt von Magdeburg, gebracht.
Die Kisten werden vor der Leichenhalle der Kaserne auf einem Scheiterhaufen gestapelt, mit 20 Litern Benzin übergossen und eine Stunde lang vollständig verbrannt. Anschließend werden sie in einen Sack gefegt, in den auch Kohleasche beigefügt wird.
Danach fahren drei Soldaten in die nahegelegene Ortschaft Biederitz. Hier schütten sie die Asche in den kleinen Fluss Ehle, einem Nebenfluss der Elbe. Ob die Brücke, von der aus sie ihr Werk verrichten, zufällig oder bewusst wegen ihres Namens ausgewählt wurde, ist unbekannt: sie heißt Schweinebrücke.
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