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dpa/Markus van Offern/dpabild Die Tür zur Zelle 143 in der Klever Justizvollzugsanstalt. In dieser Zelle verbrannte der syrische Flüchtlng Ahmed A., der zu Unrecht in Haft saß.

Nordrhein-Westfalen: Zellentod nach Verwechslung: Brisanter Vermerk bringt Polizei in Erklärungsnot

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Zweieinhalb Monate saß der syrische Flüchtling Amed A. 2018 auf Grund einer Verwechslung mit einem gesuchten Dieb aus Mali unschuldig ein, ehe er Feuer in seiner Zelle in der JVA Kleve legte und an den Folgen verstarb. Der Fall ist längst zum Politikum geworden. Seit anderthalb Jahren durchleuchtet ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss die Umstände, die zum Tod des 26-jährigen Migranten führten.

Dabei geht es insbesondere um die Fahndungspanne, die zur Inhaftierung des Syrers am 6. Juli 2018 wegen der Belästigung von vier Frauen an einem Baggersee führte. Die Nachforschungen der Strafverfolger deuteten darauf hin, dass die Personendaten des mit Haftbefehl gesuchten Diebes und jene des Syrers zwei Tage vor der Festnahme fälschlicher Weise in der NRW-Fahndungsdatei VIVA zusammengelegt worden waren.

Weil die ermittelnden Beamten es aber versäumten, die Bilder beider Verdächtiger im bundesweiten Info-System INPOL abzugleichen, fiel ihnen der offenkundige Unterschied der beiden Männer nicht auf: Als Araber glich Amed A. so gar nicht dem dunkelhäutigen Dieb aus Mali. Deshalb musste der syrische Staatsangehörige zwei kurze Strafen für Taten verbüßen, die er nicht begangen hatte. Bisher war von polizeilichen Schlampereien die Rede. Nach intensiven Nachforschungen hatte die Staatsanwaltschaft Kleve die Ermittlungen gegen die verantwortlichen sieben Polizisten Ende Oktober 2019 wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung eingestellt. Begründung: ein vorsätzliches Fehlverhalten sei nicht feststellbar. Die Familie des Amed A. hat gegen den Entscheid Beschwerde eingelegt und will das Land NRW auf Schadenersatz verklagen

Flüchtling erleidet Zellentod – heftiger Vorwurf gegen Kriminalhauptkommissar

Inzwischen macht ein neuer Vorwurf die Runde: Demnach wurde ein Kriminalhauptkommissar der Kreispolizeibehörde Kleve drei Wochen nach der Verhaftung über die Verwechslung beider Personen informiert und sorgte nicht für die umgehende Freilassung des Amed A. Ein Skandal sondergleichen, sollte dies zutreffen. 

Als Beleg gilt ein Vermerk der Staatsanwaltschaft Braunschweig, der FOCUS Online vorliegt. Darin berichtet eine Staatsanwältin von einem Telefonat mit Hauptkommissar Werner Müller (Name geändert) aus Kleve: Letzterer bearbeitete die Anzeige einer Frau von Mitte Juni 2018. Die Frau hatte sich in einer Spielhalle in Geldern seit Tagen von Amed A. verfolgt gefühlt. Gleich mehrfach soll er versucht haben, sie zu ergreifen und zu küssen. Er habe dabei „wirres Zeug vor sich hergestammelt“, heißt es in der Ermittlungsakte.

Ein Routinefall. Die Ermittlungen zogen sich. Amed A. blieb auf freiem Fuß, bis zu seiner Inhaftierung auf Grund der Fahndungspanne gut drei Wochen später. Die Nachricht über seine Festnahme ging an alle Fahndungsstellen. Allerdings immer mit dem falschen Hinweis, dass es sich um den gesuchten Dieb aus Mali handele. 

Am 27. Juli dann meldete sich die Staatsanwältin aus Braunschweig bei dem Kripo-Beamten. Sie hatte die Nachricht erhalten, dass es sich bei dem Inhaftierten um ihren gesuchten Dieb aus Mali handeln würde. Gegen den Mann lag inzwischen eine Anklage vor. Laut Vermerk erklärte Müller in dem Telefonat der Anklägerin aus dem Norden, dass der Verdächtige arabischer Herkunft sei.

Misstrauisch geworden berichtete die Staatsanwältin dem Ermittler, dass ihr angeklagter Dieb aus „Schwarzafrika“ stamme. Dies hätten Überwachungskameras bestätigt. In ihrem Vermerk notierte die Strafverfolgerin denn auch, dass die Person Amed A. „nicht identisch“ mit dem Dieb sei. Doch trotz dieses Hinweises an den Polizisten blieb Amed A. fälschlicherweise in Haft und kam dann einige Wochen später dort zu Tode.

Strafverfahren gegen Polizisten nach Tod von Amed A. eingeleitet

Nach Bekanntwerden der Vorwürfe in den vergangenen Tagen hat die Staatsanwaltschaft Kleve ein Verfahren wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung gegen den Kriminalbeamten eingeleitet. Bisher stand er nicht auf der Beschuldigtenliste in dem Fall.

Bei den Parlamentariern im Untersuchungsausschuss herrscht schieres Entsetzen. Insbesondere bei den Unions-Abgeordneten. Zumal die rot-grüne Opposition pure Absicht des Kripo-Beamten in den Raum stellte. Sollte sich der Verdacht bewahrheiten, gerät NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) in Erklärungsnot.

Bereits Ende November hatten die Abgeordneten den Polizisten Müller befragt. Das Telefonat mit der Staatsanwältin hatte er hierbei nicht erwähnt. Er sei sprachlos, bekundete der Grünen-Abgeordnete Stefan Engstfeld nun. „Warum ist keine Handlung daraus entstanden? Das versteht man nicht.“ Vielmehr musste Amed A. bis zu seinem Tod weitere sechs Wochen in der JVA Kleve verbringen.

Arbeit des Kommissars rekonstruiert

Erste Antworten auf seine Frage liefert die 290 Seiten lange Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Kleve, die FOCUS Online vorliegt. Demnach hatte Hauptkommissar Müller just am Tag des Anrufs der Staatsanwältin eine erneute Fahndungsabfrage im System INPOL durchgeführt. Zunächst speiste er um 10.13 Uhr die Personenkombination „Amed 01.01.1992“ an. Dort erhielt er als „Ergebnistreffer“ einen Datensatz des Syrers nebst jenem des gesuchten Diebes aus Mali, der ebenfalls unter dem Aliasnamen Amed A. auftauchte. Vier Minuten später forschte der Ermittler im Landesbestand VIVA nach. Dieses Mal gab er den Klarnamen des gesuchten Diebes aus Mali ein und generierte dasselbe Resultat. „Die Ergebnistreffer in INPOL und im Landesbestand VIVA stimmten überein“, so steht es bereits in dem Abschlussbericht der Staatsanwaltschaft Kleve vom 31. Oktober 2019.

Dabei bezogen sich die Strafverfolger seinerzeit auf die Datenauswertung des Landeskriminalamts und einer Ermittlungsakte, die Kriminalhauptkommissar (KHK) Müller zum Fall Amed A. angelegt hatte. Ob Müller „sich die Ergebnisse seiner Abfragen jeweils im Detail angesehen hat, kann nicht festgestellt werden, da dies nicht protokolliert ist“, so die Einschätzung.

Schließlich hatten Nachforschungen ergeben, dass die beiden Fahndungsregister bereits im Vorfeld durch Sachbearbeiter in anderen Polizeibehörden irrtümlicherweise die beiden Männer Amed A. und Amed G. zusammengeführt hatten. Dies würde zumindest den Verdacht minimieren, dass Müller absichtlich den Syrer Amed A. weiter in Haft halten wollte.

Viele offene Fragen zum Verhalten des Polizeibeamten

Seinerzeit verzichtete die Staatsanwaltschaft darauf, den Beamten zu vernehmen. Folglich wussten die Strafverfolger bis heute nicht, warum Müller just am 27. Juli 2018 eine erneute Fahndungsabfrage abgesetzt hatte. Deshalb lautete das damalige Fazit in der Einstellungsverfügung: „Der Hintergrund der einzelnen Abfragen kann letztlich jedoch dahinstehen. Denn es sind keine Anhaltspunkte dafür gegeben“, dass der Polizist „aufgrund der Ergebnisse der von ihm vorgenommenen Abfragen erkannt hat, dass es sich bei dem syrischen Staatsangehörigen“ und dem Dieb aus Mali „um unterschiedliche Personen gehandelt hat, und er es gleichwohl unterlassen hat“, auf eine Haftentlassung des Amed A. „hinzuwirken“.

Wären die Staatsanwälte in Kleve seinerzeit über den Anruf der Kollegin aus Braunschweig im Bilde gewesen, hätten sie sicherlich Polizist Müller zur Vernehmung gebeten. Dies soll nun nachgeholt werden, auch wenn dem Kommissar nun als Beschuldigtem ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht.

Auch der Untersuchungsausschuss wird Fragen stellen: Warum hat der Hauptkommissar es versäumt, die Fahndungsfotos im INPOL-System zu vergleichen? Wie hat er auf die Warnung der Staatsanwältin reagiert? Und wieso hat er über das Gespräch geschwiegen? Warum hat die Staatsanwältin nicht weiterhin auf eine Freilassung gedrungen? Fragen über Fragen, der Zellentod des Amed A. in der JVA Kleve wird noch weitere Kapitel schreiben.

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