Comeback der Mitarbeiterwohnung
by Charlotte HornWillow Village heißt das Dorf, das Facebook derzeit außerhalb von San Francisco plant. Rund 1.500 Wohnungen sollen dort für die Beschäftigten in der Nähe des Firmensitzes entstehen. In Zeiten steigender Mietpreise und Wettbewerb um Fachkräfte erfährt dieses Konzept auch in Deutschland ein Comeback: das Mitarbeiterwohnen in sogenannten Werkswohnungen. Der Bundesverband Deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen geht aktuell von etwa 100.000 solcher Wohnungen in Deutschland aus - vor allem bei kommunalen Verkehrsbetrieben, Kliniken und Pflegeheimen, aber auch in der Hotel- und Gastronomie-Branche. Auch das Verkehrsunternehmen Üstra in Hannover hat neue Wohnungen für Mitarbeiter gebaut, wie die "NDR Info Perspektiven" berichten.
Etwa 1.000 neue Beschäftigte sucht das Nahverkehrsunternehmen Üstra in Hannover in den kommenden fünf Jahren. Etwa die Hälfte der Mitarbeiter gingen demnächst in Rente, so Danjiel Majstorovic, Personal-Bereichsleiter bei der Üstra. Die Nachfrage nach Fachkräften sei daher sehr hoch. In den Bewerbungsgesprächen erwähne das Unternehmen offensiv die rund 600 Mitarbeiterwohnungen: "Ich würde schon sagen, dass unser Angebot ein klarer Wettbewerbsvorteil ist. Es sind viele Aspekte, warum sich ein Mitarbeiter für das Unternehmen entscheidet, aber es ist definitiv ein Pfund, das wir auf unserer Seite haben. Wenn Mitarbeiter gerade Schwierigkeiten haben, auf dem Wohnungsmarkt eine Wohnung zu finden, fällt die Entscheidung vielleicht eher auf die Üstra."
Werkswohnung als Wettbewerbsvorteil
Viele hätten oft noch gar nicht von den Betriebswohnungen gehört, so Majstorovic. Besonders Bewerber von auswärts zeigten Interesse, wenn sie nach Hannover kommen. Dass das Unternehmen schnell hinsichtlich einer Wohnung helfen kann, sei schon ein Wettbewerbsvorteil. Das bestätigt auch die aktuelle Studie "Der Kampf um die Köpfe geht übers Wohnen". Inzwischen wirbt die Üstra mit rund 140 neuen Wohnungen, die zurzeit auf einem ehemaligen Betriebsgelände in Hannover-Vahrenwald fertig gebaut werden. Etwa 20 Prozent davon hat die Stadt Hannover als Sozialwohnungen mit gefördert. Den überwiegenden Teil vermietet die sogenannte Versorgungseinrichtung, das Rentenwerk der Üstra: etwa ein Drittel geht an Beschäftigte und der Rest an den freien Markt.
In Zeiten steigender Mietpreise und im Wettbewerb um Fachkräfte erfährt das Phänomen "Firmenwohnung" in Deutschland ein Comeback. Einige Beispiele gibt es auch aus dem Norden.NDR Info - Infoprogramm - 27.05.2020 07:50 Uhr Autor/in: Horn, Charlotte
Klimafreundlich und preisgünstig
Busfahrer Dustin Seidel und seine Frau gehören zu den ersten Mietern, die Anfang März eingezogen sind. Der 26-Jährige beschreibt seine Drei-Zimmer-Wohnung mit Wohnzimmer, Balkon, Küche und Büro, in dem seine Frau gerade arbeitet. Die Innenwände der Wohnung sind aus hellem Fichtenholz. Mit der klimafreundlichen Holzbauweise und bepflanzten Dächern sind die neun mehrgeschossigen Wohnhäuser die ersten ihrer Art im Norden. Als Mitarbeiter der Üstra hat Dustin Seidel die Wohnung zwar nicht günstiger bekommen, aber er hatte Vorrang vor anderen Interessenten und musste keine Kaution bezahlen. "Wir hatten auch anderweitig geguckt. Die anderen Wohnungen sagten uns aber nicht zu und waren auch sehr teurer. Das Angebot von der Üstra ist vom Preis-Leistungs-Verhältnis einfach besser. Wohnen im Neubau kriegt man in Hannover glaube ich momentan nicht günstiger."
Wachsender Trend zum Mitarbeiterwohnen
Seidel verdient rund 2.000 Euro netto. Die 82-Quadratmeter-Wohnung kostet etwas über 1.000 Euro kalt. Damit liege sie unter dem Preis von anderen vergleichbaren Neubauten in Hannover. Zusammen mit dem Verdienst seiner Frau könnten sie sich die neue Wohnung leisten, so der 26-Jährige. Schon während seiner Ausbildung bei dem Nahverkehrsunternehmen wohnte Dustin Seidel in einer Betriebswohnung. Ausschlaggebend für die Wahl, bei der Üstra anzufangen, sei das aber nicht gewesen. Schon seit über 100 Jahren vermietet das Unternehmen Wohnungen an Beschäftigte. Für den Neubau von bezahlbaren Wohnungen setzt sich inzwischen auch das bundesweite Bündnis "Wirtschaft macht Wohnen" von verschiedenen Verbänden ein. Laut einer in Auftrag gegebenen Studie könnten pro Jahr rund 10.000 solcher Mitarbeiterwohnungen entstehen.
Mieterbund begrüßt Konzept
Der Deutsche Mieterbund fordert, dass dafür auch Kommunen verstärkt Bauflächen ausweisen sollten. Nach Angaben von Randolph Fries vom Deutschen Mieterbund Niedersachsen sind vor allem die Arbeitgeber gefragt - gerade mit Blick auf die hohen Mietpreise: "Das wäre meines Erachtens die klassische Win-win-Situation. Wenn die Arbeitgeber sich dazu bereit erklären, mit ihrem Vermögen zu bauen und so günstige Wohnungen für ihre Mitarbeiter anzubieten, die vielleicht einfache Arbeiten in meinem Unternehmen verrichten." Gerade auch die vielen in Niedersachsen ansässigen Unternehmen der Fleischindustrie sollten das Thema auf die Tagesordnung heben, sagt Randolph Fries.
In Norddeutschland sind vor allem Unternehmen wie Volkswagen Vorreiter beim Thema Mitarbeiterwohnen; außerdem das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, die Drogeriekette Budnikowsky oder Hotels auf Usedom oder Sylt. Manche kooperieren auch mit Baugenossenschaften.
Stärkere Abhängigkeit vom Arbeitgeber?
Busfahrer Dustin Seidel in Hannover macht sich keine Sorgen über sein Mietverhältnis. Arbeitsvertrag und Mietvertrag seien schließlich getrennt - und sein direkter Chef nicht sein Vermieter. Selbst wenn er das Unternehmen wechseln würde, in der Wohnung dürfte er bleiben: "So lange so ein Angebot besteht und es nicht an irgendwelche komischen Bedingungen geknüpft ist wie 24/7-Bereitschaft zu machen und springen zu müssen, wenn der Arbeitgeber Bescheid sagt, kann es nur gut sein. Der Arbeitgeber hat ja eigentlich, wenn er so etwas anbietet, auch ein Interesse daran, dass es dem Arbeitnehmer gut geht."