Twint jubelt, dahinter herrschen Chaos und Krise

Software wird ständig erneuert, was Banken als Kunden des Mobil-Zahlsystems auf Palme bringt. Accenture-Berater sollen retten.

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In einem sind die Twint-Chefs unschlagbar: dem Verbreiten von Jubelmeldungen. Man wachse wie nie, jetzt wolle man die Debit-Karten einholen, so das Mobil-Zahlsystem am Montag.

Hinter dem Partyfeiern steckt Anderes. Chaos, Abgänge, Krise. Wegen des Wachstums in der Viruszeit, als alle Firmen am liebsten nur noch mit Karte bezahlt haben wollten, rüstete Twint auf.

Doch es kam zu Abstürzen. Ständig mussten die Twint-Chefs ihren Kunden, den Banken, und ihren Partnern, den Läden, neue Releases schicken.

Gemeint sind angepasste Software-Versionen, die dann überall auf den Computer geladen werden mussten.

Der Twint-Chef lässt sich in der Schönwetter-Mitteilung von Anfang Woche wie folgt zitieren:

„Trotz dieser enormen Zuwächse ist unser System sehr stabil. Wir haben eine Systemverfügbarkeit von gegen 99.9%. Dies zeigt, dass unser System den grossen Herausforderungen gewachsen ist.“

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„Massiv schneller gewachsen“ (Twint)

Das Gegenteil trifft zu. Twint braucht externe Hilfe. Die Firma holt Berater von Accenture, einer Technologiefirma, um die Probleme in den Griff zu kriegen.

Kosten pro Stunde und Accenture-Berater: weit über 200 Franken.

Das ist nicht alles. Zuoberst muss Twint Leute auswechseln. Ein hoher Mann, der erst vor kurzem zum Mobil-Anbieter gestossen war, geht bereits wieder von Bord.

Wohl damit das nicht auffällt, baut Twint um. Neu gibt es unter dem CEO nur noch zwei starke Manager, die eine „Kern-Geschäftsleitung“ bilden.

Neues Organigramm, schöne Begriffe, dabei steht die Hütte in Flammen: Das ist Twint.

Die Banken, welche mit Twint die Oberhoheit im mobilen Zahlen gegenüber Apple Pay, Revolut, N26, Neon und wie sie alle heissen behalten möchte, sind verärgert.

Die ständigen IT-Probleme führen zu wütenden Kunden-Anrufen. Die Banken können oft nicht weiterhelfen, weil nicht sie zuständig sind, sondern Twint.

Dort aber nimmt keiner den Hörer ab. Oder höchstens einer im Callcenter. Dann beginnt eine Odyssee, wie ein Leser berichtet.

Sein Sohn habe im Netz mit Twint bezahlt. Der Betrag sei nie beim Empfänger angekommen. „Nun rufe ich seit anderthalb Monaten Twint an, die verweisen an die Bank, dort weiss der Banker nicht weiter.“

Keiner fühlt sich zuständig. Aber das Geld ist weg. Man wähnt sich in einer Entwicklungsrepublik – und das im Bankenland Schweiz.

Mit Twint versucht der Finanzplatz, den Sprung in die Neuzeit zu schaffen. Kosten bisher: geschätzte 500 Millionen – mindestens.

Gut investiertes Geld, wie das Communiqué vom Montag der Twint-Chefs weismachen will.

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Heissa (Markus Kilb, CEO)

„(Gleichzeitig) hat sich die Zahl der Neuregistrierungen seit der Corona Krise verdoppelt, weil TWINT als vollständig kontaktloses Bezahlsystem einem grossen Bedürfnis entspricht“, steht da.

Und weiter: „Pro Woche registrieren sich 45’000 neue User. Damit hat TWINT die Marke von 2.5 Millionen Nutzern überschritten.“

Was nach einem Supererfolg klingt, ist effektiv ein Kostengrab. Wo Twint nämlich Erfolg hat, ist dort, wo es nichts zu verdienen gibt: im Senden von 10 Franken-Beträgen von Benutzer zu Benutzer.

Hingegen beim Zahlen an der Ladenkasse oder beim Online-Shopping ist Twint erst am Aufholen. Dort aber liegt das Geld: Bei jeder Transaktion fallen Gebühren an.

All die Twint-Freudensprünge mit den vielen Neukunden helfen solange nicht weiter, wie Twint vor allem im Gratis-Bereich punktet. Laut Twint lege man im Bezahlbereich massiv zu.

Weil die Macher trotz 100köpfiger Mannschaft die Software nicht auf die Reihe bringen, ändert sich an der Misere vorerst wenig.