US-Polizeigewalt

"Schwarz zu sein, darf keine Todesstrafe sein"

Erneut starb in den USA ein Schwarzer durch Polizeigewalt. In Minneapolis wurden vier Cops deshalb entlassen, ein Handyvideo hatte die Tat dokumentiert. Der Bürgermeister der Stadt ist entsetzt.

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Protest in Minneapolis gegen Polizeigewalt und den Tod von George Floyd
Jim Mone/ AP

Auch dieser Fall wird durch ein Handyvideo publik. Es ist etwas länger als zehn Minuten - zehn Minuten, die das Leben von George Floyd beendeten.

Der Afroamerikaner liegt wehrlos neben einem Streifenwagen auf dem Straßenpflaster. Ein weißer Cop kauert über ihm, das Knie fest auf den Hals des Mannes gepresst. Ein zweiter Polizist schaut zu.

"Bitte, bitte, bitte, ich kriege keine Luft!", fleht Floyd. "Bring mich nicht um!" Minuten vergehen, der Cop lässt nicht locker. Schaulustige sammeln sich. "Mensch, du hast ihn doch", sagt einer. "Lass ihn wenigstens atmen."

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Improvisierte Gedenkstätte am Ort, an dem George Floyd verstarb
KEREM YUCEL/ AFP

Schließlich erscheint ein Krankenwagen. Sanitäter hieven Floyd auf eine Bahre. Der Schwarze scheint leblos, seine Arme baumeln schlapp herab.

Kurz darauf wird er im Krankenhaus für tot erklärt.

Diese Szenen, die sich am Montagabend in Minneapolis abspielten, schlagen inzwischen weltweit Wellen. Nicht, weil sie so außergewöhnlich sind, sondern eben, weil sie genau das nicht sind. Seit Jahren leiden Afroamerikaner unter Polizeigewalt, seit Jahren schockieren die Bilder - und seit Jahren scheint sich kaum etwas zu ändern.

Anfang Mai wurden Aufnahmen einer tödlichen Hetzjagd Weißer auf den schwarzen Jogger Ahmaud Arbery in Georgia bekannt, die drei Männer wurden erst danach verhaftet. Und ebenfalls am Montag attackierte eine Weiße im New Yorker Central Park einen arglosen Schwarzen, indem sie ihm mit der Polizei drohte - das Video ihrer Tirade verbreitete sich viral.

Saint Paul, die Nachbarstadt von Minneapolis, machte 2016 unrühmliche Schlagzeilen, als dort der Schwarze Philando Castiles von einem Polizisten bei einer Verkehrkontrolle erschossen wurde, vor den Augen seiner Freundin und deren kleiner Tochter. Der Cop wurde später freigesprochen.

George Floyds Tod erinnert zudem an den New Yorker Eric Garner, der 2014 im polizeilichen Würgegriff erstickte. Der Cop wurde strafrechtlich nie belangt und erst 2019 gefeuert. Garners letzte Worte waren bald der Schlachtruf einer ganzen Protestbewegung - und sind jetzt erneut ein Fanal: "I can't breathe!"

Zumindest in Minneapolis reagierten die Behörden diesmal aber schnell. Innerhalb von 24 Stunden feuerte die Polizei der Stadt (Motto: "Vertrauen, Verantwortlichkeit und professioneller Dienst") die beiden Cops und zwei weitere, die dabei waren. Das FBI sowie das Fahndungsamt Minnesota Bureau of Criminal Apprehension (BCA) nahmen außerdem strafrechtliche Ermittlungen auf und appellierten an alle Augenzeugen, sich zu melden.

Eine Augenzeugin war die Anwohnerin Darnella Frazier, die das Video auf Facebook postete. "Sie brachten ihn um!", schrieb sie mit dem Hashtag #POLICEBRUTALITY. Ausschnitte des Videos wurden tausendfach auf allen Plattformen geteilt.

Der Bürgerrechtsanwalt Benjamin Crump, der Floyds Familie vertritt, bestätigte dessen Identität. Eine Bekannte betrauerte ihn auf Facebook: "Sie haben mein Baby getötet!" Auch die Behörden nannten den Namen später.

Die Polizei nahm die Beamten anfangs in Schutz: Floyd, der Geldfälscherei verdächtig, habe Widerstand geleistet und sei dann an einem "medizinischen Vorfall" verstorben. Wenig später räumte Polizeichef Medaria Arradondo "zusätzliche Informationen" ein. Am Dienstag gab Bürgermeister Jacob Frey die Entlassung der vier Cops bekannt.

Der Polizist, der sein Knie auf Floyds Hals hatte, sei schon zuvor an mehreren anderen Vorfällen beteiligt gewesen, berichtete die Lokalzeitung "Star Tribune". So habe er 2006 einen Mann erschossen.

"Schwarz zu sein, darf in Amerika keine Todesstrafe sein", sagte Bürgermeister Frey sichtlich bewegt. "Dieser Beamte versagte im grundlegendsten, menschlichen Sinne." Floyds Tod sei eine "traumatische" Mahnung, "wie weit wir es noch haben". Erst im April hatte Frey die Cops von Minneapolis in seiner Regierungserklärung als "mutig" gelobt.

Das Video sei "eine der abscheulichsten und herzzerreißendsten Aufnahmen", die er je gesehen habe, erklärte Melvin Carter, der schwarze Bürgermeister von Saint Paul. Keith Ellison, der Generalstaatsanwalt von Minnesota, versprach "sorgfältige Ermittlungen": Floyds Tod sei nur der jüngste in einer langen Kette solcher Todesfälle, die das "historische Trauma" der Afroamerikaner fortführten.

Die rasche Reaktion der Behörden rührt auch aus dem breiten Protest. "Wir sind es satt, dass schwarze Leben gestohlen werden", schrieb Senatorin Kamala Harris. Die prominente Kongressabgeordnete Ilhan Oman, selbst aus Minneapolis, forderte staatliche Ermittlungen: "Es macht einen krank, mit anzusehen, wie ein Schwarzer getötet wird, während er machtlos um Hilfe bettelt."

Am Abend demonstrierten, trotz Corona-Abstandsvorschriften, Hunderte an der Straßenecke, an der Floyd starb. Die Proteste arteten vorübergehend aus, die Polizei schoss nach Angaben von Journalisten Tränengas und Gummipatronen in die Menge.

Am selben Tag, als Floyd sein Leben verlor, kam der New Yorker Christian Cooper noch mal mit dem Schrecken davon. Der Harvard-Absolvent war am Montag im Central Park unterwegs, um seinem Hobby zu frönen, der Vogelbeobachtung. Als er eine weiße Frau höflich bat, ihren Hund anzuleinen, um die Vögel nicht zu gefährden, rief sie die Polizei an und behauptete mit gespielter Panik: "Ein Afroamerikaner bedroht mich!"

Auch Cooper dokumentierte das im Handyvideo. In einem NBC-Interview gestand er später seine Furcht, das gleiche Schicksal zu erleiden wie Arbery, der Jogger aus Georgia: "Wir leben im Zeitalter von Ahmaud Arbery, in dem schwarze Männer niedergeschossen werden, weil die Leute bestimmte Vorstellungen von schwarzen Männern haben."

Coopers Video verbreitete sich ebenfalls rasant im Internet. New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio nannte das Verhalten der Frau "Rassismus, schlicht und einfach". Sie entschuldigte sich später öffentlich, doch sie wurde am Dienstag von ihrem Arbeitgeber, der Investmentfirma Franklin Templeton, fristlos gefeuert: "Wir tolerieren keinerlei Rassismus."

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version stand, die vier Polizisten seien verhaftet worden. Sie wurden entlassen. Wir haben diese Stelle korrigiert.

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