BLV-Vizedirektor im Gespräch

Sind die Pestizid-Grenzwerte willkürlich?

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Im Mittelland hat es zu viel Pestizid-Rückstände im Trinkwasser – seit der Bund die Grenzwerte verschärft hat. Der Agrarmulti Syngenta übt scharfe Kritik und bringt die Behörden in die Defensive.

Santé! Michael Beer trinkt mit Genuss vom Wasser, das ihm die «Rundschau» aus Kappelen (BE) mitgebracht hat. «Kurzfristig hat das keinen Einfluss auf die Gesundheit», sagt der Vizedirektor des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) – auch wenn es in Kappelen den neuen Grenzwert für das Chlorothalonil-Abbauprodukt Sulfonsäure R471811 um das 22-Fache übertrifft.

Beer beruhigt also die Bevölkerung. Er sieht gar im lebenslangen Konsum von belastetem Wasser keine grosse Gefahr. Trotzdem verpflichtet seine Behörde die Wasserversorger, die Belastung möglichst schnell unter den Grenzwert zu senken. «Unsere Anforderungen ans Trinkwasser sind sehr hoch. Die Konsumenten erwarten, dass es keine Rückstände hat», sagt der Lebensmittelingenieur.

Syngenta zieht vor Gericht

Das BLV steht unter Beschuss: Der Agrarchemiekonzern Syngenta produziert das Pestizid Chlorothalonil und hat beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde eingereicht. Die Bundesbehörde habe überstürzt und unverhältnismässig gehandelt, kritisiert der Konzern. Im Visier hat Syngenta insbesondere die schärferen Grenzwerte für die zwei wichtigsten Abbauprodukte von Chlorothalonil – diejenigen Grenzwerte also, die im «Rundschau»-Test fast überall im Mittelland überschritten wurden.

Tatsächlich waren Experten des BLV Anfang Dezember 2019 in einem Prüfbericht noch zum Schluss gelangt, dass die zwei Abbauprodukte als «nicht relevant» einzustufen seien. Eine solche Einstufung würde die strengeren Grenzwerte nicht rechtfertigen. Dennoch führten die Bundesbehörden wenige Tage später den strengeren Grenzwert für sämtliche Abbauprodukte ein und verboten Chlorothalonil.

Syngenta verweist auf «entlastenden» Prüfbericht

Syngenta spricht in ihrer Beschwerde von einer Irreführung der Öffentlichkeit und verweist auf den «entlastenden» Prüfbericht vom Dezember 2019. Aus Sicht des Konzerns gab es demnach keinen Grund, den strengen Grenzwert für alle Abbauprodukte einzuführen.

BLV-Vizedirektor Beer kontert: «Chlorothalonil ist ein Wirkstoff, der möglicherweise krebserregend ist. Dann wollen wir auch keine Abbauprodukte. Wir wollen nicht, dass die Konsumenten mit solchen Stoffen in Kontakt kommen». Der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts steht noch aus.

Sanierung innert zweier Jahre

Derweil drückt das BLV aufs Tempo: Die Wasserversorger sollen bis Ende nächsten Jahres die neuen Grenzwerte einhalten. «Das ist eine grosse Herausforderung», sagt Michael Beer. «Vermutlich können nicht alle Wasserversorger dies einhalten».

Man schaue mit ihnen, wie rasch sie handeln könnten und was zu tun sei. Noch diesen Sommer will das Bundesamt eine erste Zwischenbilanz ziehen. Beer verteidigt den hohen Zeitdruck: «Wichtig ist, dass man jetzt etwas macht und nicht zwei Jahre wartet und dann den Konsumenten sagt: Wir haben keine Lösung.»

(Hinweis: Das Gespräch wurde am 21.02. geführt.)

«Rundschau»
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