Die schwarzen Tage von Bormio und Istanbul
by azAlpine Ski-WM, die im Debakel enden, und eine Fussball-WM-Qualifikation, die an einem düsteren Abend sportlich positiv ausgeht, prägen das Sportjahr 2005 aus Schweizer Sicht. Wir halten Rückschau.
Der türkische Nationalcoach Fatih Terim war als Aufwiegler ein Erdogan der Seitenlinie. Nach dem Hinspiel in Bern, in dem die Fans das nagelneue Stade de Suisse in ein rotweisses Fahnenmeer verwandelt und einen 2:0-Sieg der Schweiz gesehen hatten, machte Terim Stimmung gegen die Nati im Besonderen und gegen die Schweiz im Allgemeinen. Er schwang die Rassismuskeule und kündigte Rache an.
Köbi Kuhns Spieler mussten schon bald nach der Ankunft am Flughafen wissen, was sie am Mittwochabend, 16. November, im Stadion Sükrü Saraçoglu erwarten würde. Übelste Beschimpfungen an einem mutmasslich orchestrierten "Empfang", Plakate mit Aufschriften wie "Willkommen in der Hölle" oder "Hurren Son Frei" und schikanöse Wartezeiten bei der Einreise gehörten dazu, später Tomaten, Eier und Steine, die an den Mannschaftsbus klopften.
Aber dies war nichts gegen die Szenen nach dem Schluss des Spiels, aus dem die Schweizer trotz einer 2:4-Niederlage in der Endabrechnung als Sieger und WM-Teilnehmer hervorgingen. Die Schweizer Spieler wurden bedroht, gejagt, über den Platz bis in die Garderoben verfolgt und mit Tritten eingedeckt.
Es war ein bis dorthin und bis heute einzigartiger Skandal. Nur die in Deutschland tätigen Brüder Altintop und Nuri Sahin beteiligten sich nicht an der Verfolgungsjagd, während Trainer Terim den übrigen Spielern befohlen haben soll, die Schweizer zu verfolgen. Ausländische Kamerateams wurden zum Teil mit Gewaltandrohung daran gehindert, die wüsten Szenen im Inneren des Stadions zu filmen.
Stéphane Grichting musste nach Tritten in den Unterleib in ein Spital gebracht werden. Benjamin Huggel verlor auf dem Spurt in die Kabinen die Beherrschung. Er rächte seinen Kumpel Tranquillo Barnetta, indem er gegen den türkischen Assistenzcoach trat. Die unvermeidliche Sperre kostete Huggel die Teilnahme an der WM 2006 in Deutschland.
Noch heute darf man sich fragen, ob der türkische Verband von der FIFA damals mild oder hart bestraft wurde. Von einem späteren EM- oder WM-Turnier wurde die Nationalmannschaft nicht ausgeschlossen. Sie musste jedoch sechs Heimspiele einer Qualifikation ausserhalb der Türkei austragen. In der Schweizer Öffentlichkeit blieb vor allem die erfolgreiche WM-Qualifikation hängen. Ein schwarzer Tag war es trotzdem, jener von Istanbul.
16 schwarze Tage am Stück hatten etwa ein Dreivierteljahr vorher die Schweizer Alpinen erlebt. Die vom 29. Januar bis zum 13. Februar abgehaltenen Weltmeisterschaften in Bormio gingen als Schweizer Desaster in die Geschichte ein. Aus elf Wettbewerben schaute keine Schweizer Medaille heraus. Es war das späte Gegenstück zu Crans-Montana 1987, als Peter Müller, Vreni Schneider sowie die Doppelweltmeister Pirmin Zurbriggen, Maria Walliser und Erika Hess acht der zehn Goldmedaillen in der Schweiz behielten.
In Bormio standen zuerst die Super-G im Programm. Didier Défago als Siebter und Nadia Styger als Achte holten die besten Schweizer Platzierungen heraus. Wenige Tage später lief es in den Abfahrten kaum besser. Bruno Kernen und Didier Défago erreichten die Plätze 5 und 6, Nadia Styger wurde Neunte. Das Schweizer Debakel begann sich bereits abzuzeichnen, zumal die Leistungsfähigkeit des Teams in den technischen Disziplinen traditionsgemäss schwächer war.
Tatsächlich kamen in der Folge nur noch Bruno Kernen im Riesenslalom (10.) und Silvan Zurbriggen im Slalom und in der Kombination (7. respektive 5.) in die Top 10. An der Spitze war es die WM der Mehrfachsieger. Anja Pärson, Bode Miller und Benjamin Raich gewannen je zweimal Gold, Janica Kostelic gar dreimal. Der 6. Platz im neuen Nationenwettkampf (Sieger Deutschland) war auch kein Ruhmesblatt.
Je länger die Medaillenlosigkeit anhielt, desto mehr Häme, Hohn und Spott ergossen sich über die Schweizer Alpinen. Nach dem Ende der WM schrieb der "Blick": "Die Schweiz ist fassungslos. Die sehr kleinen Kader und die ganz wenigen Spitzenleute, die wir haben, liessen die Schlappe erahnen. Und trotzdem sind Verbandsfunktionäre masslos enttäuscht, Trainer sauer, Sportler dünnhäutig, Medien giftig und das Volk wütend." Es war die erste WM ohne Schweizer Medaille seit jener von 1966 in Chile.
Das miserable Abschneiden unter dem Stilfserjoch kam, nüchtern betrachtet, nicht überraschend. In den vorangegangenen Weltcuprennen jenes Winters waren die Schweizerinnen kein einzigen Mal unter den besten drei. Die Männer brachten es auf fünf Podestplätze. Zwei davon jedoch belegte Didier Cuche, der in Bormio verletzungshalber nicht starten konnte. "Cuche fehlt an allen Ecken und Enden", schrieb die Nachrichtenagentur Sportinformation schon, bevor es in Bormio losging.
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