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Im Reich der Glamazonen; Jerry Hall in eimem Outfi aus Muglers Kollektion "Les Insectes" (1997)

Quelle: © Dominique Issermann

Die schamlose Überzeichnung der weiblichen Silhoutte

Die figurbetonten und extrem unpraktischen Outfits von Thierry Mugler wirken aus heutiger Sicht anachronistisch. Vielleicht ist es genau deshalb so erfrischend, sie nun in einer großen Ausstellung wiederzusehen.

Lady Macbeth verliert den Verstand. Mit schlafwandlerischen Bewegungen schält sie sich aus einem monströsen goldenen Kleid, in das sie eingezwängt ist wie in eine seltsame Kombination aus Käfig und Exoskelett. Als sie langsam zu Boden sinkt, sieht sie das Blut an ihren Händen. Ihr Abgang ist als Hologram in einem abgedunkelten Raum zu sehen, flankiert von Skizzen archaischer Roben und Rüstungen, die ins Bedrohliche und Unheilvolle überzeichnet sind.

Die Macbeth-Installation beschwört eine Shakespeare-Produktion der Comédie-Française herauf, die 1985 beim Theaterfestival in Avignon uraufgeführt wurde. Die Entwürfe stammen von Thierry Mugler. Sie bilden das fünfte von insgesamt acht Kapiteln einer Ausstellung, die dem Lebenswerk des französischen Modeschöpfers gewidmet ist und die am Montag mit fast zweimonatiger Verspätung in der Kunsthalle München eröffnet hat. Die Ausstattung von Theateraufführungen mag in diesem Lebenswerk eine eher untergeordnete Rolle spielen, doch es war eine kluge Entscheidung der Kuratoren, diesen wuchtigen Shakespeare-Bezug einzubauen. Noch dem unbedarftesten Besucher dürfte spätestens an dieser Stelle klar werden, dass er es mit einer sehr vielseitigen Persönlichkeit mit einem Hang zur dramatischen Inszenierung zu tun bekommen hat.

Im heutigen Warenuniversum ist Manfred Thierry Mugler, der 1948 in Straßburg geboren wurde und seine Karriere als Balletttänzer begann, vor allem mit den Parfüms präsent, die unter seinem Namen verkauft werden. Seine Leistungen als Designer und Impresario rauschhafter Fashion-Shows scheinen dagegen im Halbdunkel der Prä-Internet-Ära verschwunden zu sein – nicht ganz vergessen, aber doch längst überholt und veraltet.

Sexgöttinnen und Superheldinnen

In einer Zeit, in der limitierte Turnschuhe zu Preisen von maßgeschneiderten Ballkleidern gehandelt werden, veredelte Funktionskleidung als modisches Statement durchgeht und der allgemeine Trend zur konturlosen Unisex-Klamotte geht, kann man sich kaum einen größeren Anachronismus vorstellen als die äußerst körperbetonten und extrem unpraktischen Sexgöttinnen-Outfits und Superheldinnenuniformen, mit denen Mugler die Modewelt Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre in Ekstase versetzte. Vielleicht ist es genau deshalb so erfrischend, diese Ausstellung jetzt zu sehen.

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Vermeintliche Vordergründigkeit: Emma Sjöberg bei den Dreharbeiten für das Musikvideo zu George Michaels "Too Funky" (1992), Foto: Patrice Stable

Quelle: © Patrice Stable

Für Schlaffheit und Lässigkeit hat Mugler nichts übrig, Zurückhaltung war auch nie sein Ding. Am liebsten hätte er die ganze Welt in einen Laufsteg verwandelt, seine größte Tugend war die Unverschämtheit. Die Retrospektive, die zuvor im Musée des Beaux Artes in Montreal und in der Kunsthalle Rotterdam zu sehen war, bevor sie nach München weitergezogen ist, trägt den Superlativ schon im Namen: „Couturissime“. Sie wird ihrem Anspruch gerecht – als atemloser Streifzug durch die Popkultur der letzten Dekaden. Auf Monitorwänden, die wie ein Relikt aus dem MTV-Zeitalter aussehen, sind Popstars von David Bowie und Klaus Nomi über Diana Ross und Céline Dion bis hin zu Lady Gaga und Beyoncé Knowles in Aktion zu sehen. Mugler hat sie alle eingekleidet.

Für George Michael drehte er das berühmte Video zu „Too Funky“, das die vermeintliche Vordergründigkeit des Modebetriebs auf die Schippe nahm und nahezu die gesamte erste Liga der damaligen Supermodels vor der Kamera versammelte. Einen Raum weiter erinnern großformatige Abzüge daran, dass Mugler über lange Jahre mit den renommiertesten Modefotografen seiner Zeit zusammenarbeitete, darunter Ellen von Unwerth, Guy Bourdin und Helmut Newton. Auch der sternförmige Flakon des Parfüms „Angel“ liegt in einem Glaskasten.

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Erotische Maximierung: Topmodel Eva Herzigová hinter den Kulissen einer Fashion Show von Thierry Mugler in Paris, fotografiert von Ellen von Unwerth (1992)

Quelle: © Ellen von Unwerth

Das Herz der Ausstellung aber bilden über 150 Roben und Kostüme, die zwischen 1977 und 2014 entstanden sind und den Besucher immer wieder zum Staunen bringen. Die Outfits sind nicht chronologisch aufgereiht, sondern nach verschiedenen Themen gruppiert, zu denen Mugler über die Jahre immer wieder zurückkehrte: Ameisen und Schmetterlinge, Androiden und Menschmaschinen, Fabelwesen aus der Unterwasserwelt.

Werkzeuge der weiblichen Selbstermächtigung

Bei seinen Entwürfen verwendete Mugler lieber kalte, synthetische Materialien als warme natürliche Stoffe. Er folgte dem Prinzip der erotischen Maximierung. Durch die schamlose Überzeichnung der weiblichen Silhouette machte er Frauen zu Ehrfurcht einflößenden Glamazonen mit riesigen Hüften, breiten Schultern und schmalen Taillen. Manchmal auch mit blanken Steißbeinen: Das „Decolletée Derniere“, der halbnackte Hintern, ist eine von Muglers Erfindungen. „Eleganz erfordert Mut und Nerven“, hat er einmal gesagt. „Im Grunde ist Eleganz ein Weg, den eigenen Körper in Bewegung zu bewohnen.“

Dass seine Kreationen ihren Trägerrinnen einiges an Balance und Selbstdisziplin abverlangten, nahm Mugler in Kauf. Es werde ja schließlich niemand dazu gezwungen, seine Kleider zu tragen. Für ihn als schwulen Mann waren diese Kleider Werkzeuge der weiblichen Selbstermächtigung. Auch vor sich selbst machte Mugler mit seinem Körperkult nicht halt: Auf zeitgenössischen Fotos tritt er wie eine Figur aus einem Comic von Ralf König in Erscheinung, mit aufgepumpten Oberarmen, kahl geschorenem Kopf und schweren Stiefeln.

In einem kulturellen Klima, in dem erotische Signale aus gutem Grund mit größter Vorsicht behandelt werden, wirken die prallen Kreationen, die von der Ausstellung wieder zum Vorschein gebracht werden, auf eigenartige Weise sorglos und provozierend zugleich. Sie beschwören den Zeitgeist einer enthemmten Ära herauf, die Thierry Mugler in vieler Hinsicht geprägt hat.

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Jerry Hall und Thierry Mugler in Paris, fotografiert von Helmut Newton (1996)

Quelle: © The Helmut Newton Estate

Für den Franzosen ging diese Ära 1995 mit einer bombastischen Show zu Ende, die er zum 20-jährigen Jubiläum seines Modehauses in Paris aufführte und für die er über 300 verschiedene Looks vom Abendkleid bis zum Roboter-Anzug kreiert hatte. Am Ende sang James Brown ein Medley seiner größten Erfolge, männliche Go-go-Tänzer drehten sich am Rand des Laufstegs, und es regnete goldenes Konfetti.

Danach verlor Mugler das Interesse an seinem Beruf. 1997 verkaufte er die Mehrheit an seinem Unternehmen an Clarins, 2002 kehrte er der Branche gänzlich den Rücken und widmete sich aufwendigen Bühnenproduktionen, darunter „Zumanity“, eine Show des Cirque de Soleil, die sich ausschließlich an Erwachsene richtet. Zuletzt schneiderte er die Kostüme für die Revue „The Wyld“ im Berliner Friedrichstadtpalast, bei der er auch Regie führte und für die er viele seiner Lieblingsmotive aufgriff, allerdings nur noch als faden Aufguss.

Muglers Leistungen als Modeschöpfer werden dadurch nicht schmäler. In der Kunsthalle München kann man sich davon noch bis Ende August überzeugen.

Thierry Mugler: Couturissime. Kunsthalle München, bis 30. August 2020. Der Ausstellungskatalog ist bei Phaidon erschienen und kostet 89,99 Euro

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