Warum Schweinsteiger seinen Bayern jetzt den ganz großen Wurf zutraut
Der bevorstehende Meistertitel ist für die Münchner mehr als eine Pflichterfüllung. Er bestätigt das System von Trainer Hansi Flick. Vereinslegende Bastian Schweinsteiger sieht jetzt eine große Chance für die Mannschaft.
Seine Helden waren Lucky Luke und Lothar Matthäus. Thomas Müller, geboren 1989 und aufgewachsen im kleinen bayerischen Pähl, kaufte sich in der Bäckerei Scholz im Ortskern in den 90er-Jahren die Lektüre zu seinen Leidenschaften Fußball und Comics.
Der Road Runner ist viel älter, lief aber noch im Fernsehen. Müller verglich nach dem 1:0 des FC Bayern bei Borussia Dortmund seinen sprintstarken Mitspieler Alphonso Davies mit dem rasenden Vogel. „Meep meep meep...“, ahmte er die Zeichentrick-Figur nach. „Er ist der Roadrunner des FC Bayern.“
Müllers Gestik an diesem Dienstagabend war sinnbildlich für die Gefühlslage der Münchner. Er stand mit roten Wangen und strahlenden Augen auf dem Rasen des leeren Stadions. Dem Weltmeister waren Erschöpfung, Stolz und vor allem ein enormes Glücksgefühl anzusehen.
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„Es war eine Menge Arbeit und Leidenschaft. Wir haben gesagt, dass es das wichtigste Spiel der nächsten Wochen ist. Vielleicht das entscheidende. Es ist ein großartiges Gefühl“, sagte Müller. Er lachte immer wieder.
„Man kann die Schale nach München schicken“
Die Bayern haben mit dem Sieg die Meisterschaft klargemacht, sieben Punkte Vorsprung sind es jetzt auf den BVB. „Ich denke, man kann die Schale schon mal nach München schicken lassen“, sagte Klub-Legende Bastian Schweinsteiger in der ARD. Es wäre die achte Meisterschaft in Folge. Nicht mehr als eine gewohnte Pflichterfüllung für den Rekordmeister, könnte man meinen. Doch es wäre viel mehr.
Ihr 30. ist ein historischer Titelgewinn, vor dem die Münchner stehen. Wegen der Corona-Spielpause war es auch für den Luxuskader der Bayern eine Herausforderung, nach rund zwei Monaten ohne Spiel und mit wenig Mannschaftstraining sofort wieder da zu sein.
Will nicht von Meisterschaft reden
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Der Klub meisterte die Herausforderung. Seine Bilanz nach dem Re-Start der Bundesliga: drei Spiele, drei Siege, 8:2 Tore. Unter Trainer Hans-Dieter „Hansi“ Flick ist das unter Vorgänger Niko Kovac am Ende vermisste „Mia san mia“ deutlich zu erkennen. Die Bayern sind wieder souverän.
Wegen der Beschränkungen in der Corona-Krise wird es eine leise, kleine Meisterfeier. Es tut der Freude der Münchner keinen Abbruch. „Wir wollten einen großen Schritt nach vorn machen. Das haben wir getan“, sagte Flick. „Wir waren sehr konzentriert, sehr sehr entschlossen, hellwach und auch teilweise sehr mutig.“
Boateng und Müller als Erfolgsgaranten
Der 55-Jährige ist der große Gewinner dieser so nahe gerückten Bayern-Meisterschaft. Ende der Hinrunde hatten die Münchner noch vier Punkte Rückstand auf den damaligen Tabellenführer RB Leipzig. Unter Flick gewannen sie zehn von elf Rückrunden-Partien.
Der ehemalige Assistent von Bundestrainer Joachim Löw baute nach der Trennung des FC Bayern von Kovac mit einem hohen Pressing als Grundlage eine stabile Mannschaft auf. Er machte die Spieler besser und setzte auf das richtige Gerüst um die Weltmeister Jérôme Boateng und Müller, die sehr formstark sind. „Roadrunner“ Davies entwickelte sich unter Flick enorm.
Die Klubführung um Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge dürfte sich seit diesem Abend in Dortmund erneut bestätigt sehen, in der Trainerfrage die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Sie verpflichtete ihn im Sommer 2019 als Assistenten, der unabhängig von Kovac ist. Flick ist nach seinem Aufstieg zum Cheftrainer als solcher sofort in der Bundesliga angekommen.
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Dass Kimmich sein entscheidendes Lupfer-Tor in Dortmund mit der akribischen Vorbereitung des Trainerteams erklärte, spricht Bände. Flick und seine Mitarbeiter hatten die Mannschaft darauf hingewiesen, dass BVB-Torwart Roman Bürki oft weit vor dem Tor steht. „Ich freue mich, dass er gut zugehört hat“, sagte Flick über Kimmich und lächelte zufrieden.
Die Schwächen der anderen Top-Teams halfen
Wie die älteren Weltmeistern fördert Flick mit dem richtigen Gespür auch die „new generation“ um Kimmich, Leon Goretzka und Serge Gnabry. David Alaba hat sich als Innenverteidiger sehr gut entwickelt und wächst in eine Führungsrolle, Rummenigge sieht in Kimmich gar den künftigen Kapitän.
Es war allerdings nicht allein die Stärke der Bayern, die zur frühzeitigen Entscheidung in der Meisterfrage führte. Es war auch die Schwäche der anderen. Wie in der Vorsaison nutzen bislang weder Dortmund und Leipzig noch spielstarke Mannschaften wie Bayer Leverkusen oder Borussia Mönchengladbach die Schwächephasen der Münchner ausreichend aus. Das spricht nicht für die Bundesliga. Wieder mal gibt es kein spannendes Saisonfinale. An der Spitze ist es langweilig.
In Dortmund habe man als Mannschaft mit spielerischen Mitteln nicht unbedingt eine großartige Leistung gezeigt, sagte Müller. „Aber mit dem Herz. Und das ist am wichtigsten.“ Dieses Herz soll unter Flick weit führen. Wie alle Bayern-Trainer wird er langfristig am internationalen Abschneiden gemessen. Wegen seiner Empathie und Führungsqualitäten wird er oft mit Jupp Heynckes verglichen. Dieser sagte kürzlich in WELT AM SONNTAG, Flick könne eine Ära prägen.
Der Trainer will bei Transfers mitreden. Sportdirektor Hasan Salihamidzic hat einen Star-Einkauf angekündigt, alles deutet auf Leroy Sané hin. In Manuel Neuer und Thomas Müller hat der Klub zwei Weltmeister langfristig an sich gebunden, Alaba und Thiago sollen folgen. Boateng wird möglicherweise bleiben, Flick selbst hat auch als Vertrauensbeweis des Klubs einen Vertrag bis 2023 erhalten.
Die Bayern haben im Falle der Meisterschaft nicht nur ihre Saison gerettet. Sie haben in diesem Frühjahr das Fundament für die Zukunft gelegt. Wie weit die Mannschaft im internationalen Vergleich ist, wird erst die Champions League zeigen. Schweinsteiger jedenfalls traut der Mannschaft Großes zu: „Wenn ich die Spielweise, die Bayern München aktuell spielt, mit den anderen Ligen vor der Pause vergleiche, dann hat Bayern München mit Sicherheit die Chance, in der Champions League etwas zu gewinnen.“