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Stolz der Truppe: Ein Elefant beim Werbetermin, vor dem Freiluft-Schachbrett

Quelle: KEYSTONE

Ehrfurchtgebietend wie ein Saurier, niedlich wie ein Kätzchen

Ein Zirkus ohne Elefantenshow? Über Generationen nicht denkbar. Ein Buch des Schweizer Zirkus Knie zeichnet nach, wie der Dickhäuter zum Star der Manege wurde. Und warum er sie wieder verließ.

Das Buch „100 Jahre Knie Elefanten“ ist in vielerlei Hinsicht ein dickes Ding. Auch gefühlsmäßig. Das Cover zeigt einen Elefanten von hinten, der auf einem Podest vor dem Zirkuszelt sitzt. Auf seinem massiven Rücken recken sich hier und da schwarze, borstige Haare in die Höhe, die an magnetisierte Eisenspäne erinnern. Seine säulenartigen Beine sind in den Boden gerammt, der runzelige Schwanz schwingt keck zur Seite. Ein Mann lehnt sich mit ausgebreiteten Armen zärtlich an das Tier: Der „graue Riese“, dein Freund und Fels, so ehrfurchtgebietend wie ein Dinosaurier, so niedlich wie ein Kätzchen.

Das ist die eine Seite. Die andere: Tierschützer kämpfen seit Jahren gegen den Einsatz von Tieren in Zirkussen. Die Zucht, Haltung und Dressur von Elefanten sehen sie dabei besonders kritisch. Diese werden bei den Vorführungen zu völlig unnatürlichen Bewegungen gezwungen, die sie krank machen können und unter oft erbärmlichen Bedingungen gehalten. In Deutschland gibt es kein bundesweites Verbot, die Entscheidung, welcher Zirkus was vorführt, ist Sache der Kommunen. Aber seit 2015 gibt es im schweizerischen Nationalzirkus Knie keine Elefantenshow mehr. Das Buch beschreibt die wechselhafte Karriere des Zirkuselefanten, ist Liebeserklärung und Abschiedsgruß.

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Damals ein Zirkusklassiker: auf einer Kugel balancierender Elefant, 1949

Quelle: © Foto: Barnett Saidman

Seit Hannibal im Jahr 218 vor Christus mit 37 Elefanten über die Alpen zog, hat sich das Rüsseltier in unsere Fantasie eingestampft: Mal gilt es als kriegerisch und gefährlich, mal als loyal und weise. Salvador Dalí malte „Les Eléphants“ Ende der 1940er-Jahre auf Stelzen, zur ungefähr gleichen Zeit erschuf Walt Disney „Dumbo“, den Außenseiter mit den großen Ohren. Und der gutmütige Benjamin Blümchen trötet inzwischen auch schon seit gut zwei Generationen durch die Kinderzimmer.

Und ein Zirkus ohne ihn war kaum denkbar. „Obgleich der Zirkuselefant in der Beliebtheitsskala der klassischen Zirkustiere stetig unangefochten an der Spitze stand, sind seine Tage im Umfeld der reisenden Unternehmen gezählt“, so Kurt Müller, Kurator von Knies Kinderzoo in Rapperswil im Kanton Sankt Gallen. Hier haben sieben Kühe und zwei Bullen seit 2015 ein permanentes Zuhause gefunden, ein geräumiges Gehege mit Auslauf, Badestelle und Rückzugsmöglichkeiten. Auch ein Gefängnis zum Ergötzen der Menschen, aber ein einigermaßen tierfreundliches.

Gebrochene Stoßzähne, gebrochener Wille

Das war lange Zeit anders. Unterhaltung um fast jeden Preis war lange die Maxime. Bis nach Rapperswil und den damit einhergehenden Erkenntnissen zur Elefantenhaltung war es ein langer Weg – auch für den Schweizer Nationalzirkus. Daraus macht auch das Buch keinen Hehl. Viele, auch frühe Fotos zeugen von Vertrautheit, ja Zuneigung. Doch grundsätzlich war das Machtgefüge klar: Tiere wurden nicht als Lebewesen angesehen, auf deren natürliche Bedürfnisse groß Rücksicht genommen werden musste. Sie hatten sich im Zweifelsfall den Vorstellungen ihres Halters zu unterwerfen. Das gelang nicht immer. Manche Elefanten kamen nach beschwerlicher Verschiffung aus Südostasien mit gebrochenen Stoßzähnen und gebrochenem Willen in Europa an, waren traumatisiert und manchmal aggressiv. Da blieb nur Erschießen.

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Eine typische Dressurnummer: Franco Knie mit Elefant, 1983

Quelle: © Foto: R. Oberholzer

Die erfolgreich Gezähmten fanden bei der Familie Knie ein neues Zuhause und waren ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Vor Globalisierung und Massentourismus hatten Elefanten bei ihren Gastspielen eine enorme Wirkung auf europäische Zuschauer. Sie waren Boten aus unvorstellbar fernen Ländern. Fotos aus dem frühen 20. Jahrhundert zeigen Elefanten umringt von staunenden Menschen. Die Kolosse balancierten auf Drahtseilen, machten Männchen oder stellten sich zu tierischen Pyramiden auf. Heute weiß man, dass sie sich damit Knochen und Gelenke ruinieren. Damals hieß es: „Dickhäuter ertragen alles.“

Der Zirkus war viele Jahre Weltausstellung und Kuriositätenkabinett. „Exotische“ Tiere und Menschen aus fernen Ländern und Kolonien wurden dem Publikum vorgeführt: Die „Völkerschau“, wie es auch bei Knie genannt wurde, war selbstverständlicher Teil des Programms: „Steppenvölker“, „Indianer“, Chinesen und dunkelhäutige Männer in Scheich-Kostümen. Dazu Elefanten, die in alpenländische Trachten gesteckt wurden oder ein Babymützchen aufgesetzt bekamen.

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Weltausstellung und Kuriositätenkabinett: Plakat mit Elefanten in alpenländischen Trachten, 1938

Quelle: © Circus-Knie-Archiv

Eine der berühmtesten Elefantengeschichten aus der Nachkriegszeit zeigt die Gedankenlosigkeit gegenüber den Dickhäutern: 1950 wurde Elefant Tuffi aus dem Zirkus Althoff zu Werbezwecken in eine überfüllte Wuppertaler Schwebebahn gepfercht, bekam eine Panikattacke, durchbrach ein Fenster und fiel zehn Meter tief in die Wupper. Der Schwebebahnsturz ging als vermeintlich witzige Anekdote in die Stadtgeschichte ein: Fotomontierte Postkarten von dem Ereignis werden immer noch verkauft, die nordrhein-westfälischen „Tuffi“-Milchprodukte erinnern ebenfalls an das Tier, das den Fall auf wundersame Weise überlebte und 1989 bei einem anderen Zirkus starb.

Die aufwendigste Nagelpflege der Welt

Was in dem Buch auch sichtbar wird, ist die besondere Zuwendung, die die Tiere im Schweizer Nationalzirkus auch schon zu Zeiten erfuhren, als Tierschutz noch kaum eine Rolle spielte: Elefanten bei einem Waldspaziergang, beim Baden im See oder der wohl aufwendigsten Fußpflege der Welt.

In den 1970er-Jahren nahm das Bewusstsein fürs Tierwohl mehr und mehr zu. Das Washingtoner Artenschutzabkommen trat 1976 in Kraft, auch weil die „Ressource wildes Tier“ in den Herkunftsländern immer knapper wurde. Und so begannen auch in Europa die ersten Zuchtversuche. Bereits 1963 erblickte in Rapperswil Sahib-Fridolin das Licht der Welt, zwei Jahre später Madura. Seitdem sind Knie-Elefanten immer wieder zu Zuchtzwecken eingesetzt worden. Elefantenzucht ist ungefähr so aufwendig wie das Tier schwer: Es sind soziale Wesen, deren Herden- und Familienverbände ausgeklügelten Regeln und Hierarchien folgen. Und die Kosten für Unterbringung und Ernährung enorm.

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Seit 2015 leben die Knie-Elefanten im Park Himmapan

Quelle: © Foto: Nicole Bökhaus

Heute lebt weit über die Hälfte der südostasiatischen Elefantenpopulation in menschlicher Haltung, die Reproduktion der gefährdeten Tiere kann man als systemerhaltend bezeichnen. „Diese große Aufgabe kann nur gelingen, wenn das ‚Zootier‘ tiergerecht gehalten wird und im Besucher Begeisterung und nicht Mitleid hervorruft“, so Stephan Hering-Hagenbeck, der bis 2018 Leiter von Hagenbecks Tierpark in Hamburg war und seit diesem Jahr Direktor im Wiener Zoo Schönbrunn ist. Das Buch zeichnet den Bogen nach, wie man Elefanten gesehen hat: von Sensationsgier über Staunen zu Mitgefühl. Und weckt gleichzeitig das eine Gefühl, das mit der Beobachtung seltener Tiere oft einhergeht: dass der Mensch letztlich auch nur ein kleiner Teil der Schöpfung ist. Und vielleicht noch nicht mal deren Krönung.

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„100 Jahre Knie-Elefanten“, herausgegeben von Franco Knie und Kurt Müller, ist bei Scheidegger & Spiess erschienen

Quelle: Scheidegger & Spiess

Dieser Text ist aus der WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.

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Quelle: WELT AM SONNTAG

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