Als Gauland vor der Abwahl eines Rechtsradikalen warnte
AfD-Fraktionschef Alexander Gauland intervenierte bei Erika Steinbach, der Vorsitzenden der parteinahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, in einer hochbrisanten Personalie. Der Vorgang hat Parallelen zum Fall Kalbitz.
Die Abstimmung zog sich über mehrere Wochen hin. Weil sich die Mitglieder des Trägervereins der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) wegen der Corona-Krise in den vergangenen Monaten nicht zu einem Treffen versammeln konnten, mussten sie über die Personalie in einem langwierigen Online-Verfahren befinden. Doch mitten in dieser Abstimmungsprozedur kam es nach WELT-Informationen zu einem bemerkenswerten Telefonat zwischen der Stiftungsvorsitzenden Erika Steinbach und dem AfD-Ehrenvorsitzenden und Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland. Dieses Telefonat wirft ein seltsames Licht auf die Beziehungen zwischen der Partei und der Stiftung – und auf Gaulands Einschätzung rechtsradikaler Strömungen in der AfD.
Es ging um eine brisante Personalie. Um Erik Lehnert. Der 45-Jährige ist seit September 2019 als Schriftführer Mitglied im Vorstand der Stiftung, zugleich aber nach eigenen Angaben Vorsitzender des Trägervereins, des Instituts für Staatspolitik (IfS) in Schnellroda in Sachsen-Anhalt. Dieses Institut um den Kleinverleger Götz Kubitschek, einem engen Vertrauten des Thüringer AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke, spielt eine zentrale Rolle bei der Vernetzung rechtsradikaler Kreise und ihrer Anbindung an die AfD. Seit April 2020 wird das IfS, wo Lehnert bis 2019 als Geschäftsführer fungierte, vom Bundesamt für Verfassungsschutz als Verdachtsfall beobachtet.
Diese Beobachtung durch den Verfassungsschutz war einer der Gründe für einen Antrag in der DES, Lehnert aus dem Stiftungsvorstand wieder abzuwählen. Doch noch während die Online-Abstimmung lief, rief Gauland bei der Stiftungsvorsitzenden Steinbach in Sachen Lehnert an. Wie Steinbach auf WELT-Anfrage bestätigte, fand dieses Telefonat vor rund zwei Wochen statt.
Laut Steinbach „prognostizierte“ ihr Gauland in dem Gespräch, dass die AfD der DES die Anerkennung als parteinahe Stiftung wieder entziehen würde, falls Lehnert tatsächlich abgewählt würde. Denn eine solche Abwahl könne so interpretiert werden, so Gauland laut Steinbach, dass danach nicht mehr die Vielfalt aller politischen Strömungen der AfD im Vorstand der Stiftung repräsentiert seien.
Auf WELT-Anfrage bestätigte Gauland das Telefonat. Nach seiner Darstellung sagte er Steinbach, er würde „die Gefahr sehen“, dass der Stiftung bei einer Abwahl Lehnerts die Anerkennung durch die AfD entzogen würde. Als Grund habe er angeführt, „dass Grundlage der Anerkennung der Stiftung durch die Partei war, dass in der Stiftung alle relevanten Strömungen der AfD repräsentiert sein müssten“.
Das Gespräch wirft zum einen die Frage nach der politischen und personellen Bewegungsfreiheit der Stiftung gegenüber der Partei auf. Zum anderen aber ähnelt das, was Gauland in dem Gespräch sagte, in einem wichtigen Punkt dem, was Lehnert selbst nach seiner nun tatsächlich vollzogenen Abwahl bekundete.
Nachdem am Dienstag bekannt geworden war, dass er im Trägerverein der Stiftung mit 27 gegen 21 Stimmen bei fünf Enthaltungen abgewählt worden war, sagte Lehnert: „Hintergrund meiner Abberufung aus dem Vorstand der DES, die seit meiner Wahl im September 2019 vorbereitet wurde, ist das gebrochene Versprechen von Frau Steinbach gegenüber der AfD, alle Parteiströmungen in die DES zu integrieren.“ Dies klingt nicht anders als das, was Gauland am Telefon übers Repräsentieren der Vielfalt aller politischen AfD-Strömungen in der Stiftung vorgetragen hatte.
Das IfS mit AfD-Strömungen in Verbindung zu bringen, ist durchaus berechtigt. Denn zahlreiche Spitzenpolitiker der AfD, darunter Gauland sowie die Co-Fraktionschefin Alice Weidel, sind bereits in Schnellroda als Redner aufgetreten. Und sehr eng verbunden ist das IfS mit den rechtsextremen Kräften im unlängst offiziell aufgelösten AfD-Flügel um Höcke sowie Andreas Kalbitz aus Brandenburg.
Nach Ansicht von Steinbach aber kann sich die Stiftung eine solche Nähe zu dem Institut nicht leisten. Steinbach sagte der „taz“, dass sich Lehnerts führende Funktion im IfS „nicht mit der Satzung unserer Stiftung und damit seiner Mitgliedschaft in unserem Vorstand verträgt“. Grund sei die Entscheidung des Bundesamtes für Verfassungsschutz, „das IfS wegen extremistischer Tendenzen als Verdachtsfall einzustufen und damit permanent zu beobachten“, wie Steinbach sagte.
Indes wird auch der AfD-Flügel vom Verfassungsschutz beobachtet. Wenn nun mit Kalbitz einer zentralen Führungsfigur dieser völkischen Gruppierung die AfD-Mitgliedschaft entzogen wird, lässt sich das ebenfalls als Versuch einer Abgrenzung von Rechtsextremen verstehen. Zwar argumentiert die Gruppe um Parteichef Jörg Meuthen bei ihrem Vorgehen gegen Kalbitz juristisch – weil sein Verschweigen der früheren Zugehörigkeiten zu den Republikanern sowie zur neonazistischen und 2009 verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) satzungswidrig gewesen sei. Aber politisch ist es ein Signal gegen die extreme Rechte.
Doch auch hier äußert Gauland heftige Kritik. Zusammen mit Weidel und dem anderen AfD-Chef Tino Chrupalla hält Gauland das Vorgehen gegen Kalbitz für juristisch haltlos – argumentiert also ebenfalls formal –, ist aber in der politischen Rolle, sich gegen den Rauswurf eines völkischen Hardliners auszusprechen. Kalbitz will sich gegen den Rauswurf wehren. Wie er am Mittwoch mitteilte, beantragte er beim Bundesschiedsgericht der AfD, die Annullierung seiner Mitgliedschaft aufzuheben. Auch vors Landgericht Berlin wolle er ziehen. Solche Wege stehen Lehnert nicht offen. Er wurde in der Stiftung abgewählt.