Polens Oppositionskandidat droht Staatsfernsehen
by Magdalena Gwozdz-PallokatBei einem Wahlauftritt droht der neue Präsidentschaftskandidat der Bürgerplattform (PO) Journalisten des Staats-TV. Ein Bärendienst für die Opposition: Schon heißt es, sie sei auch nicht besser als die regierende PiS.
Triumphierend lächelte der Anwärter für das höchste Staatsamt direkt in die Kamera. "Beeilt Euch mit Euren Fragen", sagte Rafal Trzaskowski auf eine Wortmeldung von TVP Info hin, dem für seine Parteilichkeit berüchtigten Nachrichtenkanal des staatlichen Fernsehens. "Denn es bleiben nicht mehr viele Wochen."
Es war Trzaskowskis erste Journalisten-Begegnung in neuer Rolle, wenn auch nur online. Seine Partei Bürgerplattform (PO) hatte den Warschauer Stadtpräsidenten an die Stelle der glücklosen Präsidentschafts-Anwärterin Malgorzata Kidawa-Blonska gesetzt. Und der Neue schlug im Kampf gegen Amtsinhaber Andrzej Duda sofort andere Töne an als seine konziliantere, aber auch lammfromm wirkende Vorgängerin, die in Umfragen abgestürzt war.
Kandidat der Städte
Trzaskowski polarisiert - und motiviert gegenüber der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) kritische, urbane Millieus, deren Angehörige derzeit hart mit der Corona-Krise ringen. Der 48jährige Berufspolitiker brandmarkt das "Chaos", das die PiS ausgelöst habe. Und er verlangt die Abschaffung des "durch die PiS-Partei diskreditierten" TVP-Nachrichtenflagschiffs "Wiadomosci".
Mit Positionen wie diesen schnellte der Oppositionskandidat in Umfragen an die Spitze des Duda-Verfolgerfelds. Aber ging er mit seinem Frontalangriff auf Journalisten zu weit?
Für den staatlichen Kanal TVP war sein Auftritt ein gefundenes Fressen. Eine Aufnahme stellte der Sender online - ohne Kommentar. Der Justizminister warnte im Radio vor einem "Medienmonopol", das die PO aufbauen wolle. Tomasz Sakiewicz von der PiS-nahen Wochenzeitung Gazeta Polska meinte gar gegenüber einem Internetportal, Trzaskowski folge Mustern aus der Zeit des Kommunismus. Es handele sich um den "brutalsten Einschüchterungsversuch seit der Wende 1989".
Tomasz Lis dagegen, früher selbst TVP-Journalist und heute Chefredakteur der polnischen Newsweek-Ausgabe, spricht von einem "unverständlichen Beispiel falsch verstandener Berufssolidarität", sich mit "Abscheulichkeiten" wie TVP Info zu solidarisieren.
"Gegengewicht" zu regierungskritischen Medien
Tatsächlich ist der Nachrichtenkanal, statt sachlich zu informieren, zu einem besonders umstrittenen Instrument der Stimmungsmache geworden. Seine Schlagzeilen sind berüchtigt, preisen sie doch entweder die Regierung ("Polen vertrauen PiS") oder verteufeln ihre Gegner ("Richter wollen Anarchie"). Auch die abendliche Nachrichtensendung "Wiadomosci" ist bei Themenauswahl wie Inhalten hochgradig tendenziös. "Ein starkes Polen irritiert die Deutschen", hieß es vor kurzem in einem Bericht.
Der Sender müsse ein "Gegengewicht" zu privaten, regierungskritischen Medien bilden - diese Parole hatte der unter der PiS-Regierung eingesetzte Intendant Jacek Kurski, zuvor aktiver PiS-Politiker und Wahlkampfmanager, ausgegeben.
Soweit die Kritik an TVP Info - aber darf deswegen der Anwärter auf das Amt des Staatspräsidenten so mit TVP-Journalisten reden? Nicht nur die polnischen Medienschaffenden sind bei dieser Frage gespalten, sondern das ganze Land.
Mediales Gegeneinander
Die Wahlbeobachtungsmission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) rügten während der Parlamentswahlen im letzten Herbst eine parteiische Berichterstattung vor allem der staatlichen, aber auch regierungskritischer Medien. Sie erschwere den Bürgern, eine informierte Wahlentscheidung zu treffen. Gleichzeitig wird Journalisten schon aufgrund des Mediums, für das sie berichten, die eine oder andere politische Orientierung unterstellt. Dieses mediale Gegeneinander bringt Medienschaffende in Polen in ihren ureigensten Belangen gegeneinander auf.
Gleich zwei große Journalisten-Gewerkschaften hat das Land. Der als rechts wahrgenommene Verband Polnischer Journalisten (SDP) nannte Trzaskowskis Worte umgehend "skandalös". Der PO-Politiker setze "Mechanismen der Selbstzensur" in Gang. Der Journalisten-Verband (TD) dagegen, in dem viele Mitarbeiter aus regierungskritischen Medien organisiert sind, tut sich erheblich schwerer mit einer Distanzierung.
"Für mich war das eine wenig gelungene Kommentierung dessen, was seit 2016 im staatlichen Rundfunk vor sich geht", sagt SD-Vizechef Jan Ordynski, bis 2016 TVP-Mitarbeiter. Auch früher sei nicht alles ideal gewesen - doch heute seien TVP und besonders TVP Info von "einmaliger Einseitigkeit" geprägt.
Dass es die in Wahrheit schon immer gegeben habe, wird im Regierungslager gern betont. Tatsächlich brachte oft die gerade tonangebende politische Gruppierung "ihre" Leute in Leitungspositionen. Ein früherer Programmchef, der der politischen Linken zugerechnet wird, gibt zu, er habe durchaus darauf geachtet, dass auch "seine" Politiker zu Wort kamen und vielleicht auch mal das letzte Wort hatten. Trotzdem sei damals immer klar gewesen, dass Beiträge möglichst ausgewogen sein müssen und ein breites Meinungsspektrum abzubilden haben.
Auch der Medienwissenschaftler Wieslaw Godzic berichtet im DW-Gespräch, frühere Regierende hätten ebenfalls versucht, das Fernsehen auf ihre Seite zu ziehen. Trotzdem sei die jetzige Situation einmalig: "Das Fernsehen ist Partei und bedient sich Propagandamethoden", meint Godzic.
Taten statt Worte
Als PiS 2015 die Wahlen gewann, verließen viele TVP-Journalisten schon nach Wochen den Sender. Bekannte Moderatoren und Reporter gingen von allein oder wurden entlassen. Seit den umstrittenen Medienreformen kann die Regierung mehr oder weniger direkt entscheiden, wer Chef des Senders wird - denn der TVP-Intendant wird vom fünfköpfigen Nationalen Rundfunkrat ernannt, in dem drei PiS-Politiker sitzen.
Statt beim nächsten Machtwechsel wieder nur Mitarbeiter zu feuern, müsse künftig der Rundfunk selbst "repariert" und überparteilich werden, fordert Szymon Holownia, parteiloser Präsidentschafts-Bewerber und früherer TV-Entertainer. Das Problem der Parteilichkeit sei nicht allein mit der derzeitigen Regierungsmannschaft verbunden, sondern in 30 Jahren gewachsen. "Von 15 Intendanten bei TVP gab es nur vier, die keine Politiker waren", so Holownia.
Trzaskowskis Drohung wird inzwischen ironisch behandelt. Eine TVP-Reporterin revanchierte sich: Ihre Frage an den Kandidaten begann sie mit den Worten "solange ich noch fragen darf". Trzaskowski stellte diesmal klar: "Meine Worte betrafen Ihren Sender und nicht seine Redakteure. TVP Info hetzt seit vielen, vielen Monaten und verbreitet Hass".