Virtuelle GottesdienstePfingstwunder in der Minecraft-Kirche
In Corona-Zeiten bergen religiöse Versammlungen gesundheitliche Risiken. Eine Ausnahme hiervon stellen die Minecraft-Gottesdienste der Cansteinschen Bibelanstalt dar: Hier können Gamer gemeinsam Geschichten aus der Bibel nachstellen oder sich in der selbstgebauten Kirche versammeln.
by Von Thomas Klatt"Erst mal guck ich, ob jemand meiner Freunde online ist. Dann wird zusammen gespielt. Minecraft halt, dieses Open-World-Spiel. Wir gehen zusammen in eine Welt und bauen uns halt auf mit Leben und so. Bauen uns Sachen und Häuser und so." / "Es macht total Fun zu zocken und so. Man ist eben ein Typ, mit dem rennt man durch die Gegend, baut Sachen ab, baut sie wieder hin. Dass man alles machen kann. Man kann mehr Sachen machen als in der reellen Welt und macht sie auch noch zusammen und so."
Mit Kirchenlatein kommt man bei zehn- bis 14-Jährigen nicht weiter. Fun, zocken, gamen, das sind die Vokabeln in der Minecraft-Welt. Die besteht aus grobpixeligen Blöcken, aus denen Jugendliche ganze Landschaften und Städte erbauen und dann Aufgaben lösen. Dafür legt sich jeder einen sogenannten Skin zu, mit Phantasienamen. "Pferd 1.0" zum Beispiel.
"Im Moment bin ich Spiderman. Ich hab dem noch ein paar Pickel drauf gemacht. In Minecraft kann man sich so gut wie jeden Skin machen. Das ist ziemlich egal."
Pfingst-Gottesdienst in der "Israel-Welt"
Wieso also nicht die spielbegeisterte Jugend in eine Minecraft-Kirche locken? Denkt man sich zumindest in der Cansteinschen Bibelanstalt Berlin. Seit 11 Jahren gibt es Minecraft, in dieser Zeit wurden schon viele virtuelle Gebetshäuser gebaut, berichtet David Frank von der Cansteinsche Bibelanstalt Berlin:
"Wir haben relativ viele Kirchen, wir haben byzantinische, die Hagia Sophia. Wir haben klassische neugotische Kirchen. Wir haben Phantasie-Kirchen. Wir haben Hundertwasser-Kirchen. Dass wir viele verschiedene Baustile haben, die man im Museumsbereich sich dann auch anschauen kann."
Und benutzen und verändern kann. Zu Pfingsten kommt wahrscheinlich eine neo-gotische Großstadtkirche zum Einsatz.
"Und der Pfingst-Gottesdienst wird wieder in der Israel-Welt stattfinden, wo wir eigens für diesen Zweck für Pfingsten Gebäude gebaut haben, dass wir nicht einen Gottesdienst einfach nachspielen, sondern dass wir versuchen, einen vollwertigen Gottesdienst unter den Bedingungen von Minecraft mit allen Vorteilen, die das mit sich bringt, durchzuführen."
Denn die Minecraft-Kirche steht nicht auf einer grünen Wiese, sondern virtuell im Heiligen Land der Apostelgeschichte. Hier findet das Pfingstwunder statt.
"Dass der Heilige Geist alles verändert. Dass die Welt mit Heiligem Geist anders aussieht als vorher. Und dass es ein Erlebnis ist, das die Leute von außen wie betrunken aussehen lässt", verrät jetzt schon Mareike Witt, Mitarbeiterin der Cansteinsche Bibelanstalt. Wie im richtigen Leben gibt es dabei auch einen Pfarrer.
"Wir haben uns als Minecraft-Spieler extra Talar-Skins rausgesucht. Also wir sind im Talar unterwegs."
In der Kirche gilt: Helme ab!
Der virtuelle Gottesdienst beginnt zwar damit, dass sich die Gamer in der Minecraft-Kirche versammeln. Diese setzen sich aber nicht, sondern warten auf die Anweisungen des Pfarrers, also des Administrators, per Chat - also Schrift, die am PC-Spielfeldrand erscheint. Zum Beispiel Eselrennen.
Oder es müssen Aufgaben erledigt werden. Welche, weiß man vorher natürlich nicht. Es soll ja spannend bleiben. Klar ist aber, man braucht dafür bestimmte Tools.
"In diesem Spiel ist die Diamantenausrüstung die stärkste. Und in der Kirche haben dann natürlich alle ihre Helme abgenommen. Also nicht alle, aber es wurde in den Chat geschrieben: Helme ab. Ich find's spannend. Dass man mitmachen kann in der Geschichte",
sagt "Pferd 1.0" nach einem ersten Test-Gottesdienst zu Ostern. Wenn sämtliche Aufgaben und Abenteuer überstanden sind, versammeln sich alle wieder in der Minecraft-Kirche. Dort fallen Schilder von der Decke - zum Fürbittgebet.
"Und wenn man sich hinsetzt, dann kann man darauf schreiben. Drei Zeilen oder vier Zeilen. In Echtzeit. Das kann man nicht noch mal ändern."
Daten werden nicht erhoben
Und wie ist das mit dem virtuellen Klingelbeutel? Der fällt aus, sagt Mareike Witt:
"Das liegt daran, dass unsere Zielgruppe Kinder und Jugendliche sind, dass wir in unseren Gottesdiensten prinzipiell auf Kollekten verzichten."
Im realen Corona-Leben liegt die Gottesdienst-Besucherzahl derzeit bei maximal 50. Und die müssen sich auch noch in eine Liste eintragen, um eventuelle Infektionswege nachvollziehen zu können. Und beim Minecraft-Gottesdienst? Mareike Witt:
"Also wir spielen auf einem Server und die Servergrenze liegt bei uns bei circa 100 Spielern. Es ist für uns ganz wichtig, dass wir keine Daten erheben. Wir wissen von denjenigen, die es hinterlassen wollen, wer da gewesen ist."
Denn wer möchte, kann zu Beginn des Gottesdienstes ein Schild aufstellen, seinen Klarnamen und seine Herkunft darauf schreiben.
"Ich merke, wie sich die Strukturen umkehren"
Viel wird jetzt darüber diskutiert, was in der Nach-Corona-Zeit aus der Pandemie-Erfahrung mitgenommen wird. Etwa eine stärkere Digitalisierung der Arbeitswelt, aber auch des Privatlebens. Und des Glaubens? Pfarrer Sascha Gebauer von der Cansteinsche Bibelanstalt sieht im Minecraft-Gottesdienst mehr als nur eine Spielerei. Es gebe eine Verschränkung zur analogen Welt.
"Wir haben sehr darauf geachtet, dass es möglich ist, parallel über Chat miteinander zu reden. Parallel auch in mündlicher Form in Kontakt zu sein. Und es ist erstaunlich, wie die Rückmeldungen funktionieren, dass Menschen, wenn sie es möchten, sich outen und sagen: Letzten Sonntag war ich bei Eurem Minecraft-Gottesdienst dabei."
Virtuell wird also analog und umgekehrt? Sind Minecraft-Gottesdienste damit ein Modell für die Zukunft? Auch nach Corona?
"Ich würde es mir sehr wünschen, dass diese Phase, wo wir sehr viel digital arbeiten, überführt wird in etwas Dauerhaftes. Weil ich ja merke, wie sich die Strukturen umkehren. Wenn ich meine Kirche aufmache, dann strömen nicht unbedingt die Leute rein. Aber wenn ich das umdrehe und auf die Menschen zugehe, die Kinder und Jugendlichen in ihrem Umfeld abhole, wo sie sowieso spielen, wo sie sich zu Hause fühlen, dann sind die Chancen nahezu grenzenlos."