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Die größte Bedrohung des freiheitlichen Rechtsstaates komme vom rechten Rand, sagte Bundesinnenminister Seehofer (CSU) (imago images / ZUMA Wire)

Jahresbericht politische KriminalitätAbstand halten von radikalen Ideologen

Politisch motivierte Straftaten sind laut aktueller Statistik 2019 deutlich gestiegen. Die Verrohung des öffentlichen Diskurses ist gleichzeitig Symptom und Ursache des Extremismus, kommentiert Marcus Pindur. Demokratische, aufgeklärte und couragierte Bürger könnten daran etwas ändern.

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In Deutschland ist die Zahl der politisch motivierten Straftaten im vergangenen Jahr deutlich gestiegen – aber nicht in allen Bereichen. Das geht aus dem aktuellen Jahresbericht hervor, den Bundesinnenminister Horst Seehofer vorgestellt hat. Demnach registrierten die Sicherheitsbehörden mehr als 41.000 Fälle. Das ist ein Anstieg um gut 14 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Seehofer zeigte sich besorgt. Es sei das zweithöchste Niveau seit Erfassung dieser Kategorie im Jahr 2001 erreicht worden, sagte der CSU-Politiker auf der Pressekonferenz in Berlin, bei der die Statistik zur Politisch motivierten Kriminalität (PMK) vorgestellt wurde.

Die Zahlen belegen es: Politisch motivierte Kriminalität ist ein wachsendes Problem – und zwar ein schnell wachsendes. Insgesamt stieg sie im vergangenen Jahr um 14,2 Prozent, wie Innenminister Horst Seehofer (CSU) darlegte.

Die häufigsten Straftaten sind dabei Propagandadelikte, wie etwa das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Bei der rechtsextremen politisch motivierten Kriminalität machen diese Propagandadelikte fast zwei Drittel der Gesamtstraftaten aus.

Wenn legitimer Protest gekapert wird

Die größte Bedrohung des freiheitlichen Rechtsstaates komme vom rechten Rand, stellte Seehofer fest. Die Mobilisierungsstrategien von Rechtsextremen machen dem Verfassungsschutz zunehmend Sorgen. Dazu gehören die Emotionalisierung von Themen und die Delegitimierung des Rechtsstaates, der mal als Unterdrückungsinstrument, mal als machtlos verächtlich gemacht wird.

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(dpa)

Anklage im Fall Walter Lübcke
Elf Monate nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erhebt die Bundesanwaltschaft Anklage. Juristisch wie politisch weist der Fall weit über sich hinaus. Weitere dem Angeklagten E. zugeschriebene Taten und Verbindungen zum NSU-Komplex werden Hessens Richter und Politiker noch länger beschäftigen.

Die zunehmende Verrohung des öffentlichen Diskurses ist gleichzeitig ein Symptom und eine Ursache des politischen Extremismus. Daran kann der Verfassungsschutz nicht viel ändern. Das können nur demokratische, aufgeklärte und couragierte Bürger. Bürger, die bei ihrem legitimen Protest und bei der Inanspruchnahme ihres in einer Demokratie selbstverständlichen Demonstrationsrechtes sehr genau darauf aufpassen, Abstand zu halten, nicht nur wegen der Corona-Regeln, sondern auch politischen Abstand von allen möglichen radikalen Ideologen, Selbstdarstellern und Verschwörungstheoretikern, die den legitimen Protest für ihre Zwecke kapern wollen.

Der Rechtsstaat muss auch wehrhaft sein

Besorgniserregend ist auch die Zahl antisemitischer Straftaten, die um 13 Prozent angestiegen ist. Ein großer Teil dieser Straftaten wurde und wird von Rechtsextremisten verübt. Antisemitismus ist ein wichtiger Indikator für die politische Kultur unserer Gesellschaft, das ist kein Randphänomen, gerade in Deutschland kann es das nicht sein. Ähnlich wie Straftaten mit islamfeindlichen Hintergrund, die um 4,4 Prozent angewachsen sind.

Doch die Statistik zeigt auch Positives. Die Zahl der politisch motivierten Gewalttaten ist deutlich zurückgegangen: Auf dem rechten Rand um 14,7 Prozent, auf dem linken Rand um 21,5 Prozent. Das belegt, dass der Druck der Sicherheitsbehörden auf die jeweiligen gewaltbereiten Szenen Wirkung zeigt. Das Gesetzespaket gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität liegt im Bundestag und sollte zügig verabschiedet werden. Der Rechtsstaat ist liberal – aber er muss eben auch wehrhaft sein.

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Marcus Pindur (Deutschlandradio / Bettina Fürst-Fastré )Marcus Pindur hat Geschichte, Politische Wissenschaften, Nordamerikastudien und Judaistik an der Freien Universität Berlin und der Tulane University in New Orleans studiert. Er war Stipendiat der Fulbright-Stiftung, der FU Berlin sowie des German Marshall Fund. 1997 bis 1998 arbeitete er als Politischer Referent im US-Repräsentantenhaus. Pindur war ARD-Hörfunkkorrespondent in Brüssel, bevor er 2005 zum Deutschlandradio wechselte. Von 2012 bis 2016 war er Korrespondent für Deutschlandradio in Washington, D.C. Seit Anfang 2019 ist er Deutschlandfunk-Korrespondent für Sicherheitspolitik.