EU-LandwirtschaftspolitikGreenpeace: Geld für Leistungen statt für Fläche zahlen
Die EU müsse bei der Förderung der Landwirtschaft umdenken, forderte Greenpeace-Experte Martin Hofstetter im Dlf. Viel Geld fließe derzeit an Ackerbaubetriebe, die möglichst viel Fläche bewirtschaften wollten. Statt dessen sollte gezielter anhand von Umweltkriterien gefördert werden.
by Martin Hofstetter im Gespräch mit Jule ReimerIn Brüssel präsentiert heute EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) den Corona-Wiederaufbauplan der Kommission. Das Programm soll vor allem die Industrie und den Dienstleistungssektor stützen und ist in den nächsten siebenjährigen Haushaltsrahmen der Europäischen Union eingebettet. Dieser Haushalt besteht bislang zur Hälfte (rund 60 Milliarden Euro pro Jahr) aus Subventionen für die Agrarwirtschaft und die ländliche Entwicklung.
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Gestern wurden die Subventionsempfänger in Deutschland für das Jahr 2019 bekannt gegeben und das Internetportal Proplanta hat dafür gesorgt, dass jetzt nicht mehr mühsam recherchiert werden muss, wer wieviel bekommt, sondern jeden Empfänger genau aufgelistet.
Zu den scharfen Kritikern dieser Agrarsubventionen gehört Martin Hofstetter von Greenpeace. Er rügt unter anderem die Förderung von sehr großen Ackerbaubetrieben, "die wenig Arbeitsplätze liefern, gerade in den neuen Bundesländern, und dort prämienoptimiert wirtschaften".
Das vollständige Interview:
Jule Reimer: Herr Hofstetter, Sie haben bisher immer Ihre Kritik begründet, 20 Prozent der Empfänger dieser Subventionen, also ein Fünftel, erhält 80 Prozent dieser Subventionen, und damit werde vor allen Dingen die Agrarindustrie gefördert. Jetzt kann man aber dieser Liste entnehmen: Die wirklich großen Empfänger sind häufig öffentliche Stellen wie das Landesamt für Umwelt in Brandenburg oder das Umwelt- und Landwirtschaftsministerium in Mecklenburg-Vorpommern. Insofern stimmt Ihre Kritik doch nicht ganz?
Martin Hofstetter: Unsere Kritik stimmt auch weiterhin, Frau Reimer, weil unsere Kritik bezog sich vor allen Dingen auf die Direktzahlungen, also das, was mit der Gießkanne an die Landwirtschaft verteilt wird, bezogen auf den Hektar. Jeder Landwirt, der einen Hektar – das ist ungefähr ein Fußballfeld groß - bewirtschaftet, kriegt etwa 280 Euro. Diese sehr großen Empfänger, diese Einzelempfänger, die da jetzt aufgezeichnet sind - im Übrigen: Ich finde erst mal die Veröffentlichung sehr gut, weil man da auch nachfragen kann und reinschauen kann, nicht nur wo und wer sind die größten Empfänger, sondern wofür bekommen sie auch das Geld.
Wenn man da sich anschaut, wer diese großen Empfänger sind und wofür sie das Geld bekommen, dann sieht man: Das sind Landesämter, die bekommen Geld für Küsten- und Hochwasserschutz oder für die Flurbereinigung oder die Dorferneuerung, oder es sind Erzeugerzusammenschlüsse, die Vermarktungsbeihilfen kriegen. Die kriegen dann Millionen-Beträge, teilweise über fünf Millionen. Das ist aber gar nicht unser Kritikpunkt. Dass Geld ausgegeben werden muss, um die Deiche auszubessern oder die Dörfer lebendiger zu gestalten, ich glaube, da sind wir uns alle einig.
"Ein Unding"
Reimer: Das heißt, es ist wesentlich vielfältiger?
Hofstetter: Es ist wesentlich vielfältiger. Jeder Bundesbürger zahlt im Schnitt fast 120 Euro in die EU-Kasse, was letztendlich dann in diese Agrarfonds und ländlichen Entwicklungsfonds reingeht.
Die Kritik bezieht sich eher auf die Landwirtschaft, weil da haben wir eine Situation, dass es sehr, sehr große Ackerbaubetriebe vor allem gibt, die wenig Arbeitsplätze liefern, gerade in den neuen Bundesländern, und dort prämienoptimiert wirtschaften. Das heißt, sie halten gerade die Mindestbedingungen ein, bekommen dafür ihr Geld, und das lohnt sich richtig, das dann so durchzusetzen, dass man möglichst viel Fläche bewirtschaftet.
Reimer: Kritik, alles okay. Auf der anderen Seite haben wir gerade eine große Krise und es steht ja auch im Raum, dass sowieso der Agraretat gekürzt wird. Ist es dann sinnvoll, zu sehr die Axt anzulegen an Strukturen? Es geht auch um Versorgung, um Ernährungssicherheit.
Hofstetter: Es geht vor allen Dingen aber auch um Arbeitskräfte und um Gerechtigkeit. Es gibt keinen Bereich, wo so das Geld einfach verteilt wurde, ohne zum Beispiel zu fragen, ist der Mensch bedürftig oder ist der Betrieb bedürftig, benötigt er das Geld. Das passiert ja bei uns nicht, sondern es wird einfach nur über die Fläche verteilt. Und das führte ja dazu, dass in der Vergangenheit immer mehr externe Investoren, die mit Landwirtschaft gar nichts am Hut hatten, gemerkt haben, Mensch, da kann man richtig Geld verdienen.
In Mecklenburg-Vorpommern sind inzwischen 40 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche von externen Investoren in Anspruch genommen. Die kaufen dort billiges Ackerland, bewirtschaften dort und verdienen dann noch viel Geld mit den Steuereinnahmen, die wir zahlen. Das finde ich ein Unding.
"Konkret Geld für Leistung"
Reimer: Dann sagen Sie bitte ganz kurz: Welche Kriterien würden Sie sich wünschen?
Hofstetter: Dass vor allen Dingen das Geld gezielt ausgegeben wird, für Maßnahmen, die dem Umweltschutz, dem Klimaschutz und der Artenvielfalt dienen. Die EU hat letzte Woche eine "Farm to Fork"-Strategie veröffentlicht. Die sagt, wir wollen die Pestizide reduzieren um 50 Prozent, der Ökolandbau soll ausgedehnt werden um 25 Prozent, wir müssen die Klimagase reduzieren, wir müssen das Artensterben stoppen.
Genau für diese Punkte soll das Geld ausgegeben werden, für konkrete Maßnahmen. Da können Landwirte teilnehmen, große und kleine, vielfältige und auch weniger vielfältige, und die kriegen dann konkret Geld für Leistung. Das wäre unsere Sache.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.