BGH-Urteil: VW-Hammer: Autobesitzer bekommen Schadensersatz - sollte man jetzt noch klagen?
by FOCUS OnlineMit dem BGH-Urteil gibt es nun Rechtssicherheit für tausende Fahrzeugbesitzer: Volkswagen muss sie für den Betrug entschädigen. Auch wer jetzt erst Klage erhebt, hat noch Chancen. Doch es gibt auch Risiken, etwa die Verjährung. Ein Experten-Kommentar.
Seit den ersten Klagen im Jahr 2015 sind fünf Jahre rechtlicher Aufarbeitung des VW-Dieselabgasskandals ins Land gezogen. Heute hat der Bundesgerichtshof nun einen Meilenstein markiert:
- Er hat letztinstanzlich festgestellt, dass Volkswagen seine Kunden vorsätzlich sittenwidrig geschädigt hat und das Unternehmen seinem Kunden Schadenersatz in Höhe des Bruttokaufpreises schuldet.
- Der Kunde muss sich allerdings im Wege des sogenannten Vorteilsausgleichs eine Nutzungsentschädigung für gefahrene Kilometer anrechnen lassen.
Kunden werden entschädigt, aber Nutzungs-Abzug ist zulässig
Das Urteil ist seinem wesentlichen Inhalt nach keine Überraschung. Es setzt die überwiegende Rechtsprechungslinie der Oberlandesgerichte und Landgerichte fort. Für Volkswagen herb enttäuschend dürfte die klare Absage des BGH an die mantrahaft vorgetragene Rechtsauffassung Volkswagens sein, die Kunden hätten keinen Schaden erlitten. Der BGH blieb bei seiner dogmatisch gut begründeten Rechtsauffassung, dass bereits in der "Eingehung einer unbewusst nachteiligen Verbindlichkeit" ein Schaden liegt.
Was bleibt noch ungeklärt?
Der Bundesgerichtshof hat übrigens abschließend entschieden, dass ein Schadenersatzanspruch aufgrund des unerlaubten Inverkehrbringens von Kraftfahrzeugen nicht gegeben ist. Auch eine Vorlage an den EuGH soll nicht angezeigt sein.
Obwohl es sich um ein wegweisendes Urteil handelt, das nun in mehreren Punkten Klarheit schafft, bleiben viele Fragen offen:
- Es ist noch nicht definitiv geklärt, ob die Nutzungsentschädigung anfällt, da die Entscheidung dieser Frage auch vom klägerischen Vortrag abhängt und noch ein weiterer Senat des BGH darüber zu urteilen haben wird. Eine abweichende Entscheidung ist zwar nicht sehr wahrscheinlich, aber immerhin denkbar. Sie würde bedeuten, dass der Kläger tatsächlich den vollen Kaufpreis zurückbekäme.
- Die von den vielen Landgerichten und einigen Oberlandesgerichten zugesprochenen Deliktszinsen in Höhe von 4 Prozent seit Kaufpreiszahlung sind im vorliegenden Verfahren nicht geltend gemacht worden. In den weiteren für Juli anberaumten Verhandlungsterminen zu Parallelfällen wird diese Frage spannend, da wirtschaftlich bedeutende Rechtsfrage geklärt werden.
- Offen bleibt auch die Frage des Verjährungsbeginns und damit des Verjährungseintritts sowie die Frage, ob ein Fahrzeugerwerb nach Bekanntwerden des Abgasskandals in der Öffentlichkeit dennoch zu Schadenersatz berechtigt.
Über den Experten
Prof. Dr. Marco Rogert ist Rechtsanwalt und Wirtschaftsjurist bei der Kanzlei Rogert & Ulbrich aus Köln. Die Kanzlei vertritt tausende VW-Käufer im Rahmen des Abgasskandals. Als einer der Anwälte des klagenden Verbraucherzentralen-Verbands vzbv brachte er die Musterfestellungsklage mit zum Erfolg. 235.000 Geschädigte werden nun von VW im Rahmen eines Vergleichs entschädigt
Rogert studierte an der Universität Osnabrück und der Rijksuniversiteit Leiden (Niederlande) und hat die Schwerpunkte Transportrecht, internationales Handelsrecht und Kreditsicherungsrecht. Er dozierte bis Mai 2020 im Wirtschafts- und Logistikrecht an der Hochschule für Ökonomie und Management (FOM) in Essen.
Sollte man jetzt noch Klage erheben?
Insgesamt sind Verbraucher, die sich etwa nach Ablehnung des Vergleichsangebotes in der Musterfeststellungsklage mit dem Gedanken tragen, eine Einzelklage zu erheben, durch das heutige Urteil dazu ermutigt worden. Auch diejenigen, die bis heute nichts unternommen haben, können noch klagen. Für diese Gruppe besteht allerdings ein erhöhtes Prozessrisiko, weil einige Gerichte von Verjährung ausgehen.
Kläger haben in jedem Fall mehr Klarheit - VW muss noch mit einem großen finanziellen Risiko in die nächsten Auseinandersetzungen gehen. Es wird spannend zu beobachten sein, ob der Konzern jetzt verbesserte Vergleichsangebote vorlegen wird. Finanziell wäre das aus meiner Sicht zwingend geboten.