BGH attestiert VW vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung der Kunden

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VW hat seine Kunden im Dieselskandal vorsätzlich getäuscht. Zu diesem Schluss sind die Richter des Bundesgerichtshofs gelangt. Das sind gute Nachrichten für die Kunden von Volkswagen.

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Herbert Gilbert hat erfolgreich gegen den Autobauer VW geklagt. Foto: Uli Deck (dpa)
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Mitten in der Corona-Krise mit ihrem starken Absatzrückgang hätte der Konzern Probleme, die Fahrzeuge wieder zu verkaufen. Für Kläger könnte die Rückgabe aber dann interessant sein, wenn sie beim Neukauf eines Fahrzeugs einige Tausend Euro „Kaufprämie“ erhalten. Foto: INA FASSBENDER (AFP)

"Das ist ein toller Tag, das ist ein tolles Urteil", freute sich der Rentner Herbert Gilbert im Bundesgerichtshof. Gerade hatte er gehört, wie die obersten deutschen Zivil-Richter Volkswagen zu Schadensersatz wegen "vorsätzlicher sittenwidriger" Schädigung verurteilt hatten. Es war sein Urteil, er war der Kläger.

Die Vorgeschichte

Gilbert kommt aus der Nähe von Bad Kreuznach in Rheinland-Pfalz und war immer großer Anhänger von VW. 2014 kaufte er sich einen gebrauchten VW Sharan, einen Kombi mit 170 PS. Doch ein Jahr später war die Begeisterung erloschen, als Gilbert erfuhr, dass auch bei seinem Fahrzeug die Abgassteuerung des Motors manipuliert war. Die Motoren der Baureihe EA 189 hatten nur auf dem Prüfstand die Abgase normal gereinigt, nicht aber im normalen Straßengebrauch.

Gilbert verklagte deshalb VW auf Rückabwicklung des Geschäfts. Das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz gab dem Rentner grundsätzlich Recht. Er könne den Sharan zurückgeben und bekomme dafür den Kaufpreis erstattet. Vom Kaufpreis werde allerdings der Wert der genutzten Fahrleistung abgezogen.

VW wehrte sich – erfolglos

Dagegen gingen sowohl der Rentner als auch VW in Revision. Der Rentner wollte den Kaufpreis von 31 500 Euro in voller Höhe zurück. Wenn VW die Verbraucher täusche, so sein Anwalt, könne es nicht den Gegenwert der Nutzung abziehen. Das wäre "unbillig".

VW konnte dagegen gar keinen Schaden erkennen. Der Sharan sei fahrbereit und sicher gewesen. Seit dem Software-Update 2017 halte er auch die Luftgrenzwerte ein. Die Klage des Rentners müsse abgelehnt werden, so die VW-Anwälte.

Der BGH bestätigte nun jedoch das Urteil aus Koblenz. Rentner Gilbert habe Anspruch auf Schadensersatz, weil der Konzern ihn (und alle anderen Diesel-Käufer dieser Baureihe) "vorsätzlich sittenwidrig" schädigte (Aktenzeichzen: VI ZR 252/19).

Das Urteil

Die Manipulation der Abgas-Software sei sittenwidrig, so der Vorsitzende Richter Stephan Seiters, weil VW im Zuge einer "grundlegenden strategischen Entscheidung" das Kraftfahrtbundesamt als Zulassungsstelle "arglistig getäuscht" habe. VW habe damit Kosten sparen und den eigenen Gewinn erhöhen wollen. Dabei seien VW die gesetzlichen Vorschriften zum Umwelt- und Gesundheitsschutz "gleichgültig" gewesen. Die manipulierten Dieselmotoren konnten die gesetzlichen Grenzwerte im Straßenbetrieb nicht einhalten, so Richter Seiters.

Auch die VW-Käufer, die von einer Einhaltung gesetzlicher Grenzwerte ausgehen durften, seien getäuscht worden, so der BGH. Für die Haftung von VW für die Täuschung der Öffentlichkeit komme es nicht darauf an, ob das Fahrzeug beim Kauf neu oder gebraucht war.

Das Software-Update von 2017

Der Schaden Gilberts bestand laut BGH schon im Kauf eines Fahrzeugs, das er nicht ausgewählt hätte, wenn ihm die Manipulation bekannt gewesen wäre. Denn zum Zeitpunkt des Kaufs sei unklar gewesen, so Richter Seiters, ob und wann VW den Mangel beheben kann. Über ein Jahr habe Gilbert das Risiko tragen müssen, dass sein Fahrzeug vom Kraftfahrtbundesamt aus dem Verkehr gezogen wird. Dass VW dem Rentner im Februar 2017 ein Software-Update zur Verfügung stellte, beseitigte den ursprünglichen Schaden nicht.

Der zugesprochene Schadensersatz besteht nun darin, dass der durch Täuschung erwirkte Kauf rückabgewickelt wird. VW muss den VW Sharan zurücknehmen und Rentner Gilbert hat grundsätzlich Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von rund 31.000 Euro. Anspruch auf Schmerzensgeld oder ähnliches hat er nicht.

Noch 60.000 weitere Verfahren offen

Gilbert muss sich sogar noch die zwischenzeitliche Fahrleistung von 50.000 Kilometer als "Nutzungsersatz" abziehen lassen. Er bekommt deshalb – wie vom OLG entschieden – nur rund 25.600 Euro zurück. Im deutschen Recht werde nur der reale Schaden ersetzt, es gebe keinen Straf-Schadensersatz wie im US-Recht, so der BGH. Damit hatte Gilbert gerechnet. Er freute sich dennoch, dass die Sittenwidrigkeit von VW festgestellt wurde.

Von rund 130.000 Individual-Klagen gegen VW sind nach einer Aufstellung von VW noch 60.000 Verfahren offen. Hier bot VW den Klägern nach der Verhandlung eine "Einmalzahlung" in nicht näher bezifferter Höhe an, um die Verfahren abzuschließen. Der Konzern will offensichtlich verhindern, dass er zehntausende Fahrzeuge zurücknehmen muss.

Wohin mit all den Autos?

Mitten in der Corona-Krise mit ihrem starken Absatzrückgang hätte der Konzern Probleme, die Fahrzeuge wieder zu verkaufen. Für Kläger könnte die Rückgabe aber dann interessant sein, wenn sie beim Neukauf eines Fahrzeugs einige Tausend Euro "Kaufprämie" erhalten. Auf die Musterfeststellungsklage gegen VW, die mit einem Vergleich zugunsten von 235.000 VW-Käufern endete, hat das BGH-Urteil keine Auswirkungen. Diese erhielten im Schnitt rund 15 Prozent des Kaufpreises, konnten das Fahrzeug aber behalten.

Neue Klagen wegen der EA 189-Motoren seien sinnlos, betonte eine VW-Anwältin nach dem Urteil. Denn der Vorgang sei inzwischen längst verjährt. Tatsächlich dürften all jene VW-Käufer, die bisher nichts unternommen haben, nun trotz des BGH-Urteils leer ausgehen. Insgesamt waren laut Kraftfahrtbundesamt in Deutschland rund 2,4 Millionen VW-Fahrzeuge von der Abgasmanipulation betroffen.

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