https://www.tagesschau.de/multimedia/bilder/ramelow-303~_v-modPremiumHalb.jpg
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow | Bildquelle: dpa

Unvorsichtig oder vorbildlich?

Ramelows Corona-Plan

by

Die Kritik an den Plänen Thüringens, alle Corona-Beschränkungen aufzuheben, wird schärfer. Gesundheitsminister Spahn fürchtet ein falsches Signal; Bayern erwägt Gegenmaßnahmen. Das Corona-Kabinett verschiebt seine Sitzung.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat die Ankündigung Thüringens kritisiert, die Corona-Einschränkungen komplett abzuschaffen. "Es darf in keinem Fall der Eindruck entstehen, die Pandemie wäre schon vorbei", sagte Spahn der "Bild"-Zeitung.

"Wir sehen aktuell beides: Einerseits ganze Regionen, wo es über Tage keine gemeldeten Neuinfektionen gibt, und andererseits lokale und regionale Ausbrüche, in denen sich dieses Virus wieder schnell ausbreitet und die sofortiges Eingreifen erfordern", fügte Spahn hinzu.

Weiterhin helfe "der Dreiklang aus Abstand halten, auf Hygiene achten, Alltagsmasken tragen, um es dem Virus möglichst schwer zu machen", sagte Spahn weiter.

Söder: "Fatales Signal"

Auch aus Bayern kommt scharfe Kritik an dem Vorstoß aus Thüringen. Ministerpräsident Markus Söder bezeichnete die Ankündigung als "fatales Signal". Er bitte die Verantwortlichen in Thüringen darum, die Absicht zu überdenken, sagte Söder am Rande eines Besuches in einem Kindergarten in Nürnberg.

Bayern sei vom Infektionsgeschehen in der Nachbarschaft betroffen, sagte der Ministerpräsident. "Wir in Bayern waren besonders betroffen dadurch, dass wir an einer Grenzsituation zu Österreich waren. Wir haben jetzt die aktuelle Situation, dass wir beispielsweise im Raum Coburg eben von Sonneberg betroffen sind", sagte Söder mit Blick auf den thüringischen Nachbar-Landkreis.

Lage in Thüringen sehr unterschiedlich

Der CSU-Politiker kündigte im Zweifel Gegenmaßnahmen an. "Wir werden uns da noch ein Konzept überlegen müssen, wie wir darauf reagieren", sagte er. "Ich möchte nicht, dass Bayern noch mal infiziert wird durch eine unvorsichtige Politik, die in Thüringen gemacht wird", so Söder.

In Thüringen gibt es mehrere Landkreise, die in den vergangenen sieben Tagen keine neuen Corona-Fälle verzeichneten. Dort liegen aber auch zwei der aktuellen "Corona-Hotspots" in Deutschland, wie etwa der Kreis Sonneberg, der direkt an Bayern grenzt.

Vorstoß bei Corona-Lockerungen von Ministerpräsident Ramelow stoßen auf Kritik
tagesschau 20:00 Uhr, 25.05.2020, Julie Kurz, ARD Berlin

Corona-Kabinett vertagt sich

Die für heute geplante Sitzung des Corona-Kabinetts der Bundesregierung wurde kurzfristig abgesagt. Am Vormittag sollte auch über mögliche weitere Lockungen beraten werden. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte zu den Gründen: "Die dabei vorgesehen Themen waren noch nicht auf Ministerebene entscheidungsreif." Mit dem Vorstoß Ramelows habe dies nichts zu tun.

Die Sender RTL und ntv, die eine gemeinsame Nachrichtenredaktion haben, hatten zuvor berichtet, die Teilnehmer seien von den weitgehenden Lockerungsplänen aus Erfurt überrascht worden, daher sei die Beschlussvorlage für die Kabinettssitzung überholt. Das Treffen soll am Mittwoch im Rahmen der wöchentlichen Kabinettssitzung nachgeholt werden.

Thüringen will landesweite Regeln aufheben

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow hatte angekündigt, vom 6. Juni an auf allgemeine, landesweit gültige Corona-Schutzvorschriften zu verzichten. Damit würden landesweite Regeln etwa zu Mindestabständen sowie Kontaktbeschränkungen nicht mehr gelten. Anstatt landesweiter Vorgaben soll es dann regionale Maßnahmen abhängig vom Infektionsgeschehen vor Ort geben. Dem MDR sagte Ramelow, dass die Maskenpflicht in Geschäften und im öffentlichen Nahverkehr aber beibehalten werden solle.

Nach den zahlreichen kritischen Reaktionen verteidigte Ramelow seine Pläne: "Das Motto soll lauten: Von Ver- zu Geboten, von staatlichem Zwang hin zu selbstverantwortetem Maßhalten", sagte der Linkspolitiker der "Bild am Sonntag".

Die bisherigen Regelungen seien im März auf der Grundlage von Schätzungen von 60.000 Infizierten beschlossen worden. "Jetzt haben wir aktuell 245 Infizierte. Der Erfolg gibt uns mit den harten Maßnahmen recht, zwingt uns nun aber auch zu realistischen Konsequenzen und zum Handeln", sagte Ramelow.

Sachsen könnte folgen

Bisher kündigte lediglich Sachsen an, dem Beispiel Thüringen zumindest in Teilen zu folgen. "Wenn die Zahl der Neuinfektionen weiterhin stabil auf einem niedrigen Niveau bleibt, planen wir für die Zeit ab dem 6. Juni in der nächsten Corona-Schutzverordnung einen Paradigmenwechsel", sagte Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping.

"Statt wie jetzt generell Beschränkungen zu erlassen und davon viele Ausnahmen für das zu benennen, was wieder möglich ist, wird dann generell alles freigegeben und nur noch das Wenige an Ausnahmen benannt, was noch nicht möglich sein wird", sagte Köpping.

Zugleich warnte die SPD-Politikerin, vieles hänge davon ab, "dass die Menschen Verantwortung übernehmen und sich an Abstandsgebot und Maskenpflicht halten". Ob auch diese Regeln aufgehoben werden, "sollte bundesweit gemeinsam entschieden werden", betonte die Ministerin.

Virologen sehen Vorstoß kritisch

Mehrere Virologen sehen den Vorstoß Ramelows kritisch. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Corona-Beschränkungen müssten erst noch geschaffen werden, etwa großflächige Tests. Dafür plädierte unter anderem der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit. Um eine rasante Ausbreitung bei größeren Menschenansammlungen zu verhindern, sei dies unerlässlich, um "frühzeitig entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen zu können", sagte er im Interview mit tagesschau.de.

Dies schätzt auch der Virologe Alexander Kekulé so ein: Man habe keine Test-Kapazitäten, um in der Lage zu sein, alternative Schutzangebote anzubieten, sagte er im MDR. Virologe Christian Drosten sprach sich im Deutschlandfunk für bessere Richtlinien für bestimmte gesellschaftliche Bereiche wie Schulen und Kindergärten aus, bevor Lockerungen stattfinden.