BGH-Grundsatzentscheidung
Volkswagen muss Zehntausenden Schadenersatz zahlen
Erstmals hat der Bundesgerichtshof in Karlsruhe eine Grundsatzentscheidung im Abgasskandal getroffen. Demnach haben Zehntausende Anspruch auf Schadensersatz. Rund ein Drittel der Kläger wird von einer Potsdamer Kanzlei vertreten.
Zehntausenden Käufern manipulierter Dieselautos steht Schadenersatz von Volkswagen (VW) zu. Die obersten Zivilrichter des Bundesgerichtshofs (BGH) stellten am Montag fest, dass der Einsatz illegaler Abgastechnik in Millionen Fahrzeugen sittenwidrig war und den Käufern dadurch ein Schaden entstanden ist. Allerdings müssen die gefahrenen Kilometer auf die Entschädigung angerechnet werden.
Das Urteil dürfte Signalwirkung für tausende laufende Verfahren im Dieselskandal haben. Mehr als ein Drittel der Anspruchsteller werden dabei von einer Rechtsanwaltskanzlei aus Potsdam vertreten. VW will den Klägern nun Einmalzahlungen anbieten.
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Audio: Inforadio | 25.05.2020
BGH: "Objektiv sittenwidrig"
Es war das erste höchstrichterliche Urteil aus Karlsruhe [bundesgerichtshof.de] zum VW-Dieselskandal (Az. VI ZR 252/19). In ihrem Urteil stellten die Richter fest, dass die Manipulationen von Volkswagen "objektiv als sittenwidrig zu qualifizieren" seien. VW hatte Millionen Diesel-Autos mit einer illegalen Abgastechnik ausgestattet, mit der die Stickoxid-Grenzwerte zwar bei Tests auf dem Prüfstand, nicht aber auf der Straße eingehalten wurden.
Damit, so der Schluss der Richter, hat der Wolfsburger Autobauer das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) über lange Jahre ""bewusste und gewollt" getäuscht, zur Gewinnmaximierung und auf Basis einer grundlegenden strategischen Entscheidung.
Die massenhafte Software-Manipulation sei nicht nur mit einer erhöhten Umweltbelastung verbunden gewesen, heißt es in dem Urteil. Es habe außerdem die Gefahr bestanden, dass die betroffenen Autos beim Auffliegen des Skandals die Betriebsgenehmigung verlieren.
60.000 offene Verfahren
Nach VW-Angaben sind bundesweit noch rund 60.000 Verfahren offen. Für viele davon ist das BGH-Urteil eine wichtige Weichenstellung. Rund 21.000 Mandanten werden nach eigenen Angaben durch die Potsdamer Rechtsanwaltskanzlei Goldenstein und Partner vertreten. Die Kanzlei hatte im Juni 2019 unter anderem das erste klagestattgebende Urteil gegen VW am Oberlandesgericht (OLG) Koblenz erwirkt.
Das OLG hatte den VW-Konzern verpflichtet, dem Käufer eines gebrauchten VW Sharan rund 25.600 Euro plus Zinsen zu erstatten. Der Mann hatte argumentiert, er habe der Werbung vertraut und geglaubt, ein sauberes Auto gekauft zu haben. Der BGH bestätigte mit seiner Entscheidung im Wesentlichen das OLG-Urteil.
VW strebt Vergleiche an
Der Autobauer will nun möglichst viele Kläger aus den noch laufenden Verfahren dazu bewegen, einem Vergleich zuzustimmen. Man werde Einmalzahlungen als "pragmatische und einfache Lösung" anbieten, erklärte der Konzern. Wieviel Geld es gibt, hänge vom Einzelfall ab. Kläger könnten ihr Auto dann aber auch behalten. Wer per Urteil Schadenersatz erstreitet, muss es hingegen zurückgeben.
Viele Kläger hatten sich zuvor schon individuell mit VW verglichen. Der Konzern hatte auf diese Weise auch versucht, Verfahren zu beenden und Grundsatzurteile mit potenziell breiter Wirkung zu vermeiden.
Viele Rechtsfragen bleiben allerdings auch nach der BGH-Entscheidung ungeklärt. Die Karlsruher Richter haben für Juli schon die nächsten drei Verhandlungen zu anderen Dieselkäufer-Klagen angesetzt, weitere sollen folgen. Auf den im Rahmen einer Musterfeststellungsklage ausgehandelten Vergleich, den laut VW rund 240.000 Diesel-Besitzer akzeptiert haben, hat das Urteil keine Auswirkungen mehr.
VW-Führung soll davon gewusst haben
Der Skandal um die illegale Abgastechnik in Millionen VW-Fahrzeugen war im Herbst 2015 aufgeflogen. Damals kam ans Licht, dass die Stickoxid-Emissionen des Motorentyps EA189 viel höher waren, als Tests auf dem Prüfstand zeigten. Verantwortlich war eine Software, die die volle Abgasreinigung nur auf dem Prüfstand aktivierte.
Das OLG in Koblenz war zu dem Schluss gekommen, dass leitende Mitarbeiter und auch Vorstände von VW davon zumindest gewusst und es gebilligt hätten. Denn etwas Gegenteiliges hatte VW im Prozess nicht vorgetragen. Gegen diese Wertung hat der BGH nichts einzuwenden.
Sendung: Inforradio, 25.05.2020, 17 Uhr