Was das Urteil gegen VW für Kunden bedeutet
Volkswagen ist nun verpflichtet, Diesel-Stinker zurückzukaufen. Doch der Konzern will lieber Geld zahlen. Was die Entscheidung des Bundesgerichtshofs für getäuschte Autokunden bedeutet.
by Angelika SlavikHöchste Gerichte neigen traditionell zu nüchterner Sprache, aber das, was Volkswagen am Montagvormittag vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe zu hören bekam, war heftig. Das Verhalten des Konzerns sei rechtlich nicht nur "als sittenwidrig zu klassifizieren", der Autohersteller habe mit dem Dieselbetrug auch "gegen die Mindestanforderung im Rechts- und Geschäftsverkehr" verstoßen. Die Genehmigung für die Autos habe er beim Kraftfahrtbundesamt (KBA) "durch arglistige Täuschung" erschlichen. Der Betrug basiere zudem auf einer "strategischen Unternehmensentscheidung", schon deshalb müsse man davon ausgehen, dass der Vorstand von den Manipulationen gewusst habe. Das sitzt. Es ist das erste Mal, dass der Bundesgerichtshof über die Klage eines Autobesitzers gegen VW geurteilt hat. Nun ist klar: Volkswagen muss den Käufern manipulierter Dieselautos Schadenersatz bezahlen. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Worüber genau wurde verhandelt?
Konkret ging es um den Fall des Frührentners Herbert Gilbert aus Rheinland-Pfalz, der Anfang 2014 einen gebrauchten VW Sharan für 31 490 Euro gekauft hatte. Er forderte eine Rückabwicklung des Kaufs - wollte also sein Auto zurückgeben und den vollen Kaufpreis plus Zinsen erstattet bekommen. Schon vor dem Oberlandesgericht Koblenz hatte Gilbert in großen Teilen recht bekommen, allerdings zogen die Richter dort eine sogenannte Nutzungspauschale für die bereits mit dem Auto gefahrenen Kilometer von der Erstattungssumme ab. Dagegen legte der Kläger Revision ein - ebenso wie Volkswagen. Der Konzern bestritt grundsätzlich, dass den Besitzern manipulierter Dieselautos überhaupt ein Schaden entstanden sei. Schließlich seien die Autos fahrtüchtig und nach einem Software-Update auch wieder gesetzeskonform zugelassen.
Wie lautet das Urteil?
Der Bundesgerichtshof folgte fast vollständig der Einschätzung des OLG Koblenz. VW muss den Kaufpreis erstatten, inklusive Zinsen. Von der Summe wird aber eine Nutzungspauschale abgezogen. Im konkreten Fall bekommt der VW-Kunde Herbert Gilbert fast 26 000 Euro. Die Summe fällt auch deshalb so hoch aus, weil Gilbert das Auto seit einigen Jahren abgemeldet in der Garage stehen hat. Die Zeit spielte VW also nicht in die Karten - anders als in vielen anderen Fällen, in denen die Kläger das Auto noch fahren und deshalb die Nutzungspauschale immer weiter steigt.
Was bedeutet das für andere Kläger?
Bundesweit sind noch etwa 60 000 Prozesse von Dieselauto-Käufern anhängig. In diesen Fällen werden sich die Richter nun an der BGH-Entscheidung orientieren; die Frage etwa, ob den Kunden überhaupt ein Schaden entstanden ist, ist mit dem Spruch aus Karlsruhe nun endgültig geklärt. Bislang hatten die Gerichte unterschiedlich geurteilt. Einige baten VW kräftig zur Kasse, einzelne Richter folgten aber auch der ursprünglichen Argumentation von VW. Künftige Urteile werden in vergleichbaren Fällen zugunsten der Kläger entschieden werden. Wichtig ist: Das jetzige Urteil sieht formal eine Rückabwicklung des Kaufs vor. Die Kläger bekommen also die beschriebene Summe, müssten dafür aber ihr Auto an VW zurückgeben. Daran hat der Konzern aber wenig Interesse, und zahlreiche Autobesitzer womöglich auch nicht. Volkswagen kündigte bereits an, man wolle diesen Klägern "eine einfache und pragmatische" Lösung anbieten - soll heißen: VW wird diesen Kunden eine Zahlung anbieten, die wohl unter der Summe liegt, die sie bei einem Urteil zugesprochen bekommen würden. Dafür können die Kläger dann bei einem solchen Vergleich den Wagen behalten.
Gibt es Folgen für bereits geschlossene Vergleiche mit VW?
Nein. Wer geklagt und mit dem Konzern einen Vergleich geschlossen hat, der hat auf alle anderen Rechtsmittel verzichtet, das Urteil des BGH hat dafür keine Relevanz mehr - auch nicht, wenn die Summe aus dem Vergleich geringer ist als die, welche sich aus dem BGH-Urteil ergeben würde. Das gilt insbesondere für die gut 260 000 Menschen, die an der Musterfeststellungsklage teilgenommen und dann den Vergleich angenommen haben, den VW im Anschluss angeboten hat.
Ist das eine Niederlage für VW?
Formal auf jeden Fall. Der Konzern hat sich mit seiner Argumentation nicht durchsetzen können. Allerdings hat VW in den vergangenen Jahren alles getan, um ein höchstrichterliches Urteil so lange wie möglich hinauszuzögern und die Rechtslage unklar zu lassen. In dieser Zeit haben bereits mehrere Hunderttausend Menschen einem Vergleich zugestimmt, ob im Rahmen der Musterfeststellungsklage oder in Einzelverfahren. Deshalb hat der Spruch des BGH jetzt nur noch Folgen für eine begrenzte Zahl an Klägern.
Was bedeutet das für die Strafprozesse?
Die Richter führen in der Urteilsbegründung an, man müsse allein schon wegen der Dimension des Betrugs davon ausgehen, dass der Vorstand von den Manipulationen an den Dieselautos gewusst habe. Dennoch wird diese Einschätzung eher keine Folgen für die Strafprozesse haben, in denen unter anderen gegen den früheren VW-Chef Martin Winterkorn ermittelt wird. Denn die Schlussfolgerung der BGH-Richter hängt erstens auch damit zusammen, dass sich VW in der Verhandlung zu der Frage, wer wann worüber informiert war, nicht geäußert hat. Zweitens musste der BGH in diesem Fall nicht konkret die einzelnen Vorstandsmitglieder und deren individuelle Verantwortung benennen. Er konnte den Vorstand insgesamt in die Pflicht nehmen, ohne Differenzierung.
War die Musterfeststellungsklage schlechter als ein individueller Prozess?
Die Musterfeststellungsklage ist in Deutschland eine "Lex VW", das Instrument wurde für die Aufarbeitung der Dieselaffäre eigens neu geschaffen. Allerdings wurden Schwächen deutlich. Der bürokratische Aufwand ist enorm, nach einem Urteil müssten die Ansprüche noch einmal einzeln eingeklagt werden. Die Musterfeststellungsklage endete mit einem Vergleich, den VW absichtlich vor dem BGH-Urteil schloss. Die Summen lagen je nach Auto zwischen 1350 und 6257 Euro - wesentlich niedriger als das, was Kläger Gilbert bekommt. Allerdings: Wer sein Auto sehr lange und intensiv fährt und mit hohen Abschlägen für die Nutzung rechnen müsste, war mit der Musterfeststellungsklage unter Umständen auch gut bedient.