Ein letzter trauriger Clásico

Mario Götze ist nicht mehr systemrelevant

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"Mario, du passt nicht mehr ins System."(Foto: imago images/Kirchner-Media)

Wenn Borussia Dortmund im Spitzenspiel der Fußball-Bundesliga gegen den FC Bayern versucht, den Titelkampf wieder spannend zu machen, dann könnten viele Spieler eine Heldengeschichte schreiben. Mario Götze gehört nicht mehr dazu.

Man müsse die Wahrheit sagen, fand Lucien Favre. Also sagte er die Wahrheit. Mario Götze passe nicht in das System von Borussia Dortmund, erklärte der Schweizer Trainer am vergangenen Freitag. Klar, für einen Platz im Kader reicht es trotzdem noch, aber dort hat Götze dann eben mittlerweile mehr mit Tobias Raschl und Mateu Morey gemeinsam als mit Marcel Schmelzer oder Leonardo Balerdi. Während für den ehemaligen Kapitän des BVB und das argentinische Abwehrtalent dank des durch die Corona-Krise ausgedehnten Wechselkontigents immerhin noch ein paar Minuten gegen den VfL Wolfsburg abfielen, blieb es bei Götze lediglich bei einer Erwärmung. Wie auch bei Raschl und Morey.

Götze, so hatte die Fußball-Welt am Samstagnachmittag kurz vor dem Anpfiff in der Volkswagen-Arena offiziell erfahren, wird die Borussia am Ende der Saison verlassen. Die Nachricht, dass der 27-Jährige bleibt, sie wäre deutlich spannender, weil so viel überraschender gewesen. So geht nach vier Jahren wieder auseinander, was nie mehr so recht zusammenpassen wollte. Ob wegen Verletzungen, wegen Krankheiten wegen Systemirrelevanz oder weil ihm Twitter womöglich mehr bedeutet als Training - wirklich wichtig ist Götze nach seiner Rückkehr zum BVB trotz einiger Highlights nie mehr geworden (wie übrigens zuvor auch schon Shinji Kagawa und Nuri Sahin). Und er wird es auch nicht mehr werden, selbst wenn Michael Zorc das anders sieht.

Er ist halt nicht nur irgendein Fußballer

Der öffentlich bekundete Glaube des Sportdirektors an eine immer noch vorhandene Wertigkeit seines Fußballers ist lediglich die sehr höfliche Eskorte zur Klubtür. Denn der Fußballer Götze ist ja nicht irgendein dahergelaufener Profi. Er ist für die Dortmunder auch nicht nur der Mann, der Deutschland 2014 zum Weltmeister gemacht hat. Für die Dortmunder ist Götze ihr "guter Junge". In der Saison 2001 spielte er erstmals für den BVB. Zieht man seine persönlich mäßig erfolgreiche Zeit beim FC Bayern ab, dann trägt er im 16. Jahr schwarzgelb - mehr Verbundenheit geht kaum.

Deswegen wollen sie beim BVB auch nicht, dass über Götze böse be- und gerichtet wird. Dass seine zweite Zeit in Dortmund bloß als ein teures Rückkehr-Missverständnis hängenbleibt - auch wenn sie das de facto natürlich ist. Denn all das, was Götze in seinen ersten Profijahren ausgezeichnet hat, seine Dynamik, seine Fantasie und Finesse am Ball, seine dauerhafte Spielfreude, seine Leichtigkeit, all das ist Götze verloren gegangen. Im Tempotechnikrausch seiner sehr jungen Kollegen um Jadon Sancho, Achraf Hakimi und Julian Brandt wirkt Götze so gnadenlos chancenlos wie Marc Blume einst gegen Carl Lewis über 100 Meter. Zwei Welten, aber immerhin noch die gleiche Sportart.

Großer Klub oder fußballerische Beliebigkeit?

Und so wird es für Götze weitergehen mit dem Profi-Fußball. Nur wo, das ist völlig unklar. Ob Hertha BSC wirklich eine realistische Option ist? Oder ob es ihn nicht doch eher nach Italien, zu einem der Mailänder Klubs oder der AS Rom zieht, dorthin, wo das Spieltempo etwas gemächlicher ist? Niemand weiß es jetzt. Seine nächste Station, sie wird indes viel über noch vorhandene Ambitionen des 27-Jährigen aussagen: Traut er sich eine große Aufgabe zu, die ihm einst doch so klar vorgezeichnet schien? Zieht es Götze zu einem Klub, dessen große Sehnsüchte nach nationalem und internationalem Erfolg er mit Kreativität, mit seinem nach wie vor herausragenden Ballgefühl und seiner Spielintelligenz beflügeln soll und dessen Gehaltskonto er nicht bloß belasten soll? Oder landet er doch irgendwo in Europas fußballerischer Beliebigkeit?

Beeindruckende Arbeitsproben für seine Bewerbungsmappe wird er kaum mehr sammeln können. Und so lebt Götze weiter von seiner eigenen Legende, von seinem Namen, der bis 2014 ganz viel Spiellust war und seither ganz viel Last ist - auch durch die Bürde des Bundestrainers, der Götze vor seiner Einwechslung im WM-Finale anwies, der Welt zu zeigen, dass er besser sei als Messi. Er hat es weder der Welt zeigen können, noch all seinen Trainern, die daraufhin folgten: Von Josep Guardiola über Thomas Tuchel bis hin zu Lucien Favre. Der wird ihn indes am Dienstagabend (18.30 Uhr im ntv-Liveticker) erneut in den Kader berufen, wenn die Dortmunder am 28. Spieltag der Bundesliga den Titelkampf entweder spannend machen, falls sie den FC Bayern schlagen, oder ihn vorentscheiden, wenn sie gegen den FC Bayern verlieren.

Es bieten sich gleich mehrere Spieler an, die im wichtigsten deutschen Fußball-Duell eine neue schwarzgelbe Heldengeschichte schreiben können: der spektakuläre Jadon Sancho, der ja kaum weniger spektakuläre Achraf Hakimi, der formstarke Julian Brandt, der noch formstärkere Rapahel Guerreiro, der fast immer gute Mats Hummels, Mentalitätsmonster Emre Can oder aber Erling Haaland, das Tor-Phänomen, das im Hinspiel noch gar nicht in der Liga spielte - und allein in der Rückrunde schon zehn Bundesliga-Tore und damit nur drei weniger erzielt hat als Götze seit seiner Rückkehr zum BVB 2016 insgesamt. Es gibt aber auch Spieler, die im wichtigsten deutschen Fußball-Duell keine neue schwarzgelbe Heldengeschichte schreiben werden: Mateu Morey ist einer, Tobias Raschl ein anderer - und mit ihnen Mario Götze.