Nach 30 Minuten abgegeben: Einige Schüler pfiffen auf Matura
Wer keinen Vierer im Zeugnis hatte, hat die Reifeprüfung schon geschafft. Das nützen manche aus.
Nicht einmal eine halbe Stunde hat es gedauert, bis der Erste seine Fachklausur abgegeben hat – also die erste schriftliche Maturaprüfung. Warum sollte der Maturant sich auch anstrengen? Schließlich kann er gar nicht durch die Prüfung fallen.
Möglich macht das eine Verordnung, die aufgrund der Corona-Krise erlassen wurde. Die schriftliche Maturanote setzt sich heuer zu je 50 Prozent aus der Prüfungsnote und der Note der Abschlussklasse zusammen. Steht man zwischen zwei Noten, zählt die Prüfungsnote stärker.
All jene Maturanten, die im Abschlusszeugnis der achten Klasse zumindest einen Dreier hatten, können bei der Matura also nicht „durchfallen“. Dieser Umstand ist offenbar so manchem Schüler bewusst.
30-Minuten-Matura
Das berichtet zum Beispiel Rainer Graf, Direktor des Schulzentrums Ybbs (HAK und HTL) und Mitglied des KURIER-Bildungsbeirats. Bei ihm haben am Montag 65 Schülerinnen und Schüler ihre Fachklausuren geschrieben. „Zwei oder drei Schüler haben schon nach 30 Minuten abgeben, weil sie aufgrund ihrer Noten nicht durchfallen können“, berichtet er verärgert. Nachsatz: „Da kann man die Matura ja gleich abschaffen.“
Zur Erinnerung: Die Zentralmatura war eingeführt worden, um ein Mindestniveau an Schulen zu erzielen. Nicht nur das: „Wer für die Matura lernt, fasst nochmals den Stoff der vergangenen Jahre – in den AHS vier Jahren – zusammen. Darin sehe ich den Sinn dieser Prüfung“, meint Graf.
Er registriert eine generelle Unzufriedenheit mit der aktuellen Regelung: „In den berufsbildenden höheren Schulen gilt nämlich nicht die Note des Abschlussjahrs – es wird vielmehr das Jahr mit der höchsten Stundenanzahl gerechnet. Bei einigen unserer Schüler war das z. B. die Geografie-Note in der 6. Schulstufe. Damals hat niemand an die Matura gedacht.“
Fatales Signal
Auch Isabella Zins, Sprecherin der AHS-Direktoren und selbst Direktorin des BORG Mistelbach, sieht das als Problem: „Ich kann der Regelung, dass man die Note der achten Klasse miteinbezieht, durchaus etwas abgewinnen, weil so der Ansporn, im letzten Schuljahr etwas zu leisten, groß ist. Wenn aber die Note der Maturaprüfung eigentlich egal wäre, dann ist das ein fatales Signal.“ Das insbesondere deshalb, weil Bildungsminister Heinz Faßmann angekündigt hat, diese Regelung auch in den nächsten Jahren beibehalten zu wollen – allerdings sollen noch die heurigen Erfahrungen abgewartet werden.
Auch Isabella Zins glaubt, dass die Reifeprüfung entwertet würde, wenn sie nur noch für Vierer-Schüler eine Bedeutung hätte. „Da müsste man auf jeden Fall Regelungen finden. Eine Möglichkeit wäre, dass jeder, der bei der schriftlichen Matura negativ in einem Fach ist, zur Kompensationsprüfung antreten muss.“
Gute Idee
Die Gewerkschaft beurteilt den Umstand der „30-Minuten-Matura“ differenziert: „Grundsätzlich finde ich es gut, dass das Bildungsministerium mit dem Notenerlass den Schülern in dieser Situation entgegengekommen ist. Dass es Schüler gibt, die das ausnützen, damit hat man rechnen müssen“, sagt Herbert Weiß, Sprecher der AHS-Lehrergewerkschaft. Schülervertreter hätten ihm vorab erzählt, dass das vereinzelt vorkommen könnte.
Im Bildungsministerium ist man über den Umstand, dass einige Schüler auf eine gute Note pfeifen, natürlich nicht sonderlich glücklich: „Uns ist eine Leistungserbringung bei der Matura grundsätzlich schon wichtig“, heißt es aus dem Büro des Ministers. „Schade, dass einige Maturantinnen und Maturanten die Chance, eine gute oder bessere Note zu bekommen, nicht nützen.“
Dass es bei der derzeit geltenden Regelung bleibt, klingt nicht mehr sehr wahrscheinlich. „Es ist heuer der erste Durchgang in dieser Form, wir werden uns diese Vorgehensweise am Ende der Klausuren im Detail ansehen und evaluieren“, sagt Faßmanns Sprecherin. „Und gegebenenfalls nachbessern.“
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