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Boris Johnsons Chefberater Dominic Cummings soll mehrfach gegen die Schutzmaßnahmen gegen Corona verstoßen habenFoto: Action Press
Wut-Tsunami bei den Briten

Feuert Brexit-Boris heuteseinen Corona-Rüpel?

Warum die Johnson-Regierung wegen Chefberater Cummings wackelt

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Regierungskrise in London – Premierminister Boris Johnson (55) steht unter Druck wie noch nie seit seiner Wahl.

Am Abend rechnet das Vereinigte Königreich mit einer Entscheidung, ob Boris Johnson seinen wichtigsten Berater Dominic Cummings (48, parteilos) doch noch feuert – um nicht selbst sein Amt zu riskieren.

Cummings gilt als Brexit-Strippenzieher und Kopf der „Leave“-Kampagne, die beim Referendum 2016 über den EU-Austritt überraschend triumphierte – und Boris Johnson damit den Weg zur Macht ebnete. Doch jetzt bringt den Premierminister Cummings Fehlverhalten – er ignorierte mehrfach die Corona-Regeln der eigenen Regierung – nicht nur unter Beschuss der Labour-Opposition. Auch mindestens 20 Abgeordnete der konservativen Tories fordern seinen Rauswurf.

Zur Stunde gibt Cummings eine persönliche Erklärung im Garten von Downing Street 10 ab, um sein Verhalten zu erklären. Er nannte familiäre Grunde, sagte, er bereue seine Entscheidungen nicht und entschuldigte sich auch nicht bei der Öffentlichkeit. Er habe dem Premierminister seinen Rücktritt nicht angeboten und habe auch nicht darüber nachgedacht. Im Anschluss war ein Statement von Johnson angekündigt.

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Versteht wütende Reaktionen seiner Landsleute, will aber nicht zurücktreten: Boris Johnsons Chefberater Dominic Cummings bei seiner Pressekonferenz im Garten des Regierungssitzes in LondonFoto: JONATHAN BRADY / AFP

Johnson verliert Rückhalt in wichtigen Medien

Mit seiner seltsamen Verteidigung Cummings bei einer Presse-Konferenz am Sonntag zog sich Johnson den Zorn etlicher Medien zu, die ihn und seine Regierung sonst stützen. Die im Grunde regierungsfreundliche „Daily Mail“ titelt am Montag: „Das ganze Land fragt sich: Auf welchem Planeten leben die eigentlich?“ Im Kommentar dazu heißt es: „Zum Wohle der Regierung und der Nation muss Mr. Cummings zurücktreten. Oder der Premierminister muss ihn entlassen. Ohne Wenn und Aber.''

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Foto: Daily Mail

Rückblende: Das war passiert

Laut britischen Medienberichten hatte Cummings trotz Anzeichen einer Corona-Infektion Ende März seine Londoner Wohnung verlassen und war zu seinen Eltern ins mehr als 400 Kilometer entfernte Durham im Nordosten Englands gefahren. Später soll er noch weitere Male gegen die Ausgangssperre verstoßen haben.

Die mutmaßlichen Verstöße stehen im krassen Gegensatz zur Politik Johnsons, der seit einer eigenen Covid19-Erkrankung vehement auf die Einhaltung der Corona-Ausgangsbeschränkungen („Stay at home“ – „Bleibt zu Hause“) pocht.

Laut den britischen Corona-Verhaltensregeln muss sich jeder, der Symptome einer Corona-Infektion hat, in seiner eigenen Wohnung in Quarantäne begeben. Menschen über 70 Jahren – wie Cummings Eltern – dürfen zudem keine Besucher empfangen.

Johnsons Verteidigungsversuch

Cummings hatte als Grund für seine Reise angegeben, er habe keine andere Möglichkeit gehabt, die Betreuung seines vier Jahre alten Sohnes sicherzustellen, weil seine Frau an Covid-19 erkrankt gewesen sei und er selbst auch mit einer Ansteckung habe rechnen müssen. Zu einer Entschuldigung aufraffen konnte er sich nicht.

Cummings sei „den Instinkten eines jeden Vaters gefolgt“, sagte Johnson am Sonntag. Er habe „in jeder Hinsicht verantwortlich, legal und mit Integrität“ gehandelt. Doch das sieht die Mehrheit der Briten offenbar anders.

Sturm der Entrüstung

Oppositionschef Keir Starmer (57, Labour-Partei) ließ sich diese Chance nicht entgehen, machte aus der Cummings-Affäre eine Johnson-Krise: „Das war ein großer Test für den Premierminister und er ist gerade durchgefallen“, sagte Starmer der BBC. Millionen Menschen hätten qualvolle Entscheidungen treffen müssen, beispielsweise Angehörige nicht zu besuchen und nicht zu Beerdigungen zu gehen, sagte der Labour-Chef.

Ein Video, das Labour unter dem Titel „Es kann keine Regel für Dominic Cummings und eine andere Regel für das britische Volk geben“ in Netz stellte, hatte nach wenigen Stunden bereits mehr als 3 Millionen Aufrufe. Unzählige Wut-Kommentare geben der Kritik recht.

Gnadenlos auch das Urteil von Schottlands „Erster Ministerin“ Nicola Sturgeon (49, SNP): „Boris Johnson stellt sein politisches Interesse über das öffentliche Interesse“, sagte Sturgeon.

Sie „hoffe, dass der Premierminister heute weiter darüber nachdenkt und vielleicht zu einer anderen Schlussfolgerung kommt als die, die er gestern gezogen hat.“ Heißt: Auch sie legt ihm den Rauswurf des Strippenziehers mit den rabiaten Methoden (Spitzname: „Der dunkle Lord von Downing Street“) nahe.

Kirche stellt sich offen gegen Regierung

Ungewöhnlich klar fiel selbst das Urteil der Bischöfe der Kirche von England aus, von denen mehr als ein Dutzend Johnsons Rechtfertigungsversuche in Bezug auf Cummings verurteilten. Der Bischof von Leeds, Nick Baines, sagte, die Öffentlichkeit sei „belogen, bevormundet und wie Trottel behandelt worden". Der Bischof von Manchester, David Walker, fordert direkt den Rauswurf Cummings, weil die Kirche sonst nicht mehr wisse, wem aus der Regierung man beim Krisenmanagement der Corona-Pandemie vertrauen kann.

Hintergrund ist, dass Johnson nach einer Welle der Solidarität während seiner eigenen Corona-Erkrankung ohnehin stark wegen seines anfänglichen Schlingerkurses in der Kritik steht. Laut „Guardian“ starben bereits mehr als 45 000 Corona-infizierte Briten. Damit ist das Land stärker betroffen als Italien, Frankreich oder Spanien.

Experte: Wahl zwischen Pest und Cholera

Johnson wurde selbst von Kritikern stets politischer Instinkt bescheinigt. Könnte er seine Position unter dem Druck der Öffentlichkeit tatsächlich innerhalb von 24 Stunden komplett umkehren?

„Johnson hat die Wahl zwischen Pest und Cholera“, sagt Experte Prof. Iain Begg (65) von der London School Of Economics zu BILD. „Wenn er Cummings feuert, wird man ihm Schwäche vorwerfen, weil er dem Druck nachgegeben hat. Aber wenn er Cummings weiterhin verteidigt, bestärkt er den entstandenen Eindruck von Heuchelei und Verachtung für die einfachen Bürger.“

Experte Begg bescheinigt Cummings zwar, er habe bei seiner Pressekonferenz „vernünftig über sein Handeln Rechenschaft abgelegt“. Doch gerettet habe er seinen Job damit noch nicht. Es sei weiter möglich, dass sich die Wege von Johnson und seinem Strategen trennen.