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Ein Bild aus glücklichen Tagen? Die AfD im LandtagBild © Imago Images
AfD-Dossiers enthüllen interne Zerwürfnisse

"Wenn du Krieg willst, kannst du ihn haben!"

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Hinter den Kulissen tobt in der AfD-Landtagsfraktion ein erbitterter Grabenkampf. Dossiers halten "Verfehlungen" einzelner Abgeordneter fest. Ein Betroffener fühlt sich wie in Nordkorea.

AfD führt Dossiers über "Verfehlungen" eigener Abgeordneter05:04 Min. | 25.05.20, 19:30 Uhr | hessenschau

Es ist der Ton eines Klassenbuch-Eintrags aus den 50er-Jahren. "Beim Mittagessen hat er sich gegenüber dem Kellner despektierlich benommen" - so steht es über Rolf Kahnt geschrieben.

Nur dass Kahnt kein Schüler am Ende einer Klassenfahrt ist, sondern 75 Jahre alt, pensionierter Lehrer und ältester Abgeordneter im hessischen Landtag. Und dass der Vermerk eben nicht aus der Schule stammt, sondern aus Kahnts Fraktion: der AfD.

Nur für den internen Gebrauch

Der Eintrag über ihn hat System. Denn er befindet sich in einem mehrseitigen AfD-Dossier mit dem Titel "Fraktionsverfehlungen Rolf Kahnt, Stand 18. Mai 2020“. Das aus der Fraktionsgeschäftsstelle stammende Papier – "nur für den internen Gebrauch" - liegt dem hr vor.

Was es dokumentiert: Wie sich eine Fraktionführung und ein Abgeordneter rasch bis zur bitteren Fehde entfremdet haben. Wie die Fraktion belastendes Material gegen einen der ihren zusammenträgt. Und was hinter der Fassade der AfD im Landtag abgeht.

Der Gegner sah alles

Dabei war Kahnt nach ihrem Einzug ins Landesparlament Stolz der ganzen AfD: Er eröffnete als Alterspräsident 2019 die erste Parlamentssitzung, war vorher Sprecher der Landespartei. Jetzt diese krude Mängelliste: Der Mann habe bei den allermeisten Fraktionssitzungen in diesem Jahr gefehlt. Er habe nicht nur bei parlamentarischen Anfragen im Alleingang gearbeitet, auch noch mehr als einmal entgegen der Fraktionslinie im Ausschuss abgestimmt.

Aber das ist noch harmlos. Über einen verbalen Zusammenprall mit einem Fraktionskollegen im Kuratorium der Landeszentrale für politische Bildung muss man lesen: Kahnt habe den Parlamentarischen Geschäftsführer der AfD, Frank Grobe, angeherrscht: "Wenn du Krieg willst, kannst du diesen haben."

Was den Dossier-Verfasser an der Kampfansage besonders schmerzt: der schlechte Eindruck, den so etwas macht. "Nicht wenige Abgeordnete anderer Parteien bekamen dies mit." An anderer Stelle heißt es über das Verhalten des Dissidenten: "Nicht nur der Landtagsverwaltung, sondern auch den politischen Gegnern zeigte dies, dass es in unserer Fraktion Unstimmigkeiten gibt."

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Ganzer Stolz: Rolf Kahnt (AfD) bei seiner Eröffnungsrede im LandtagBild © picture-alliance/dpa

Es schien so ruhig

Ausgerechnet in Hessen. Seit Jahren befehden sich Mitglieder andere AfD-Landtagsfraktionen erbittert untereinander, die Bundespartei treibt gerade ihren Machtkampf auf die Spitze: zwischen dem rechtskonservativen Lager um den Vorsitzenden Jörg Meuthen sowie dem rechtsradikalen Lager um Björn Höcke und seinen offiziell aufgelösten "Flügel“. Da wollte die AfD hierzulande um ihren Ko-Landeschef und Landtagsfraktionsvorsitzenden Robert Lambrou mit dem so ganz anderen, soliden Auftreten glänzen.

Misstöne gab es zwar immer wieder mal in der Landespartei: in Form von Parteiausschlussverfahren wegen Rechtsextremismusverdachts, in einem knappen Wahlergebnis auf dem Parteitag für die Landeschefs Lambrou und Klaus Herrmann. Chaotisch geriet das alles aber nicht. Und gerade die Fraktion schien vergleichsweise intakt.

Rasch auf dem Abstellgleis

Zu ihrer Selbstetikettierung als bürgerlich-konservativ und geschlossen passt schwerlich, was neben dem Inhalt des Kahnt-Dossiers auch dessen schiere Existenz offenbart: Innerhalb der AfD-Landtagsfraktion sind einzelne Abgeordnete isoliert. Mit hohem Recherche- und Dokumentationsaufwand wird auf die harte Tour gegen sie mobil gemacht. Denn Kahnt, der sogar mit unerwünschter Körpersprache auffiel, steht nicht als einziger unter verschärfter Beobachtung.

„In einigen Sitzungen des Kulturpolitischen Ausschusses äußerte sich Rolf Kahnt deutlich gegen seinen Fraktionskollegen Heiko Scholz mittels: Abwenden, ablehnende Gesichtszüge.“Aus dem AfD-Dossier über Rolf Kahnt

Material ähnlicher Güte hat die Fraktionsgeschäftsstelle auch über Rainer Rahn gesammelt. Der doppelt promovierte Zahnarzt und Stadtverordnete aus Frankfurt war vor dem erstmaligen Landtagseinzug der AfD noch ihr Spitzenkandidat. Rasch geriet der 68-Jährige aufs Abstellgleis - und nun mit seinem Namen in ein ebenfalls mehrseitiges Papier.

Darin wird, "Stand 12. Mai 2020", unter anderem festgehalten: "Bei der abendlichen Veranstaltung des Hessenfestes in der Landesvertretung Hessens separierte sich Rainer Rahn öffentlichkeitswirksam von der AfD-Fraktion und sprach vorwiegend mit CDU-Politikern."

Beobachteter: "Schlimmer als die Stasi"

Während Kahnt auf Anfrage schweigt, sagt sein Fraktionskollege Rahn zu solchen Einträgen: "Das ist unfassbar und schlimmer als die Stasi." Geheim blieb dem Politiker das Dossier schon deshalb nicht, weil die Fraktion es ihm gerade zugeschickt habe. In der erbetenen Stellungnahme, die dem hr vorliegt, antwortete Rahn mit dem Vorwurf der Spitzelei: "Das erinnert mich an die DDR oder an Nordkorea."

Hinter dem Papier vermutet er einen Auftrag der Fraktionsspitze: von Chef Lambrou und dem parlamentarischen Geschäftsführer Grobe. Aber was ist das Motiv? Die AfD-Fraktion selbst äußert sich nicht. "Zu fraktionsinternen Themen beziehen wir öffentlich keine Stellung" - das ist alles, was die Pressestelle auf Anfrage antwortet. Auch nichts zum Vorwurf der Stasi-Methoden, nichts zum Ziel der Aktion. Ein Ausschluss aus der Fraktion?

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Rainer Rahn war einmal AfD-Spitzenkandidat.Bild © picture-alliance/dpa

Vermutung: Es gibt noch einige mehr

19 Mandate hat die AfD im Landtag. Ein Abgeordneter schätzt hinter vorgehaltener Hand die Zahl der bei der Spitze in Ungnade gefallenen Kollegen auf eine Handvoll. Vom Agieren des "Flügels" ist die Rede, dessen Vertretern gemäßigtere Männer wie Kahnt im Weg seien. Als alleinige Erklärung ist das nicht plausibel. Unter der Führung Lambrous hatten bekennende "Flügel"-Vertreter bislang zwar Einfluss, aber keinen durchschlagenden.

Andere Stimmen in der Fraktion verweisen darauf, dass sich Kahnt und Rahn als schwierig erwiesen und sich selbst aus dem Spiel genommen hätten. Nach seiner Anwesenheitsquote bei Fraktionssitzungen befragt, sagt Rahn jedenfalls freimütig: "Ich gehe da eigentlich nicht mehr hin. Da habe ich besseres zu tun, und das wissen die auch."

Kontrollzwang?

Mit seinen Aussagen hatte der Abgeordnete zuletzt nach dem Hanauer Attentat auch in der eigenen Fraktion Empörung hervorgerufen. Im Zusammenhang mit den rassistischen Morden hatte er über einen der Tatorte gesagt: "Shisha-Bars sind Orte, die vielen missfallen, mir übrigens auch. Wenn jemand permanent von so einer Einrichtung gestört wird, könnte das irgendwie auch zu einer solchen Tat beitragen."

Sich selbst sieht Rahn in keinem der beiden widerstreitenden AfD-Lager. Hinter den Dossiers vermutet der Zahnmediziner daher auch keine ernsthaften richtungspolitischen Motive der Fraktionsspitze. Eher psychologische Ursachen: "Ich habe den Eindruck, dass sie möglicherweise einen Kontrollzwang haben."

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 25.05.2020, 19.30 Uhr