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Sibylle Schwarz ist Rechtsanwältin mit dem Schwerpunkt Bildungsrecht.
Interview

Anwältin: „Sorgen rechtfertigen kein Fernbleiben von der Schule“

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Die Anwältin Sibylle Schwarz aus Wiesbaden erwartet neue Streitfälle und rät zu freundlichen Mails.

Die nächste Welle wird kommen, prognostiziert Sibylle Schwarz. Die Wiesbadener Anwältin für Bildungsrecht bezieht sich allerdings nicht auf Infektionszahlen, sondern auf Streitfälle, die möglicherweise vor Gericht enden.

Frau Schwarz, mit welchen Problemen wenden sich Eltern oder Studierende in diesen Tagen an Sie?
Es melden sich Menschen, die kurz vor oder in Prüfungen stehen. Referendare beispielsweise, zu deren Prüfungsaufgaben es gehört, vor einer Klasse zu unterrichten, und die nun ein Problem haben, weil sie die Prüfung nicht ablegen können; es gibt ja keine Klassen. Und es melden sich Eltern, die entweder möchten, dass ihr Kind unbedingt in die Schule geht, oder – der andere Fall – sie möchten nicht, dass ihr Kind in die Schule geht, weil sie sich Sorgen machen.

Gibt es denn Möglichkeiten, das Kind aus der Schule zu lassen?
Da sind die Vorgaben eigentlich klar: Wenn ein Kind oder jemand aus seiner Familie einer Risikogruppe angehört und ein Attest das belegt, dann muss das Kind nicht in die Schule gehen. Allgemeine Sorgen, das Kind könnte sich in der Schule mit Covid-19 infizieren, rechtfertigen kein Fernbleiben.

In Hessen haben kurz nach dem Lockdown die schriftlichen Abiturprüfungen begonnen. Ein Antrag, sie zu verschieben, hat ein Gericht abgelehnt. Können die Ergebnisse im Nachhinein mit Verweis auf die spezielle Situation noch angefochten werden?
Wenn die Vorgaben des Robert-Koch-Instituts eingehalten worden sind, nicht. Hat es zum Zeitpunkt der Prüfung Mängel im Raum gegeben, hätte man darauf aufmerksam machen und sie eventuell auch dokumentieren müssen. Dann wäre eine Anfechtung möglich gewesen. Der Versuch, ein nicht bestandenes Abitur im Nachgang auf Corona zu schieben, wird von den Gerichten durchschaut. Ich habe es schon häufiger erlebt, dass erst abgewartet wird, wie die Prüfung ausfällt. Aber in dieser Hinsicht ist die Rechtsprechung eindeutig.

Zur Person

Sibylle Schwarz ist seit 2004 Rechtsanwältin mit dem Schwerpunkt Bildungsrecht. Sie ist Autorin zahlreicher Fachaufsätze und bloggt zu diesem Themenbereich. diu

Eine Grundschülerin hatte erfolgreich gegen die Rückkehr der Viertklässler in die Schulen zum 27. April geklagt. Warum gelingt es der Politik nicht, solche wichtigen Verordnungen gerichtsfest auszugestalten?
In den ersten Wochen kam es zu Fehlern wegen der Eile. Alles musste schnell gehen. Inzwischen sollten Juristen der Ministerien das ordentlich hinbekommen. Es kann aber auch mal sein, dass Gerichte wegen der besonderen Situation anders entscheiden, als man es mit Blick auf zurückliegende Urteile erwarten konnte.

Derzeit fordern Eltern die Öffnung der Kitas. Wie bewerten Sie Chancen, das Ansinnen juristisch durchzusetzen?
Wir haben in Deutschland Schul-, aber keine Kita-Pflicht. Die Rechtsstellung des Kita-Kindes unterscheidet sich von der des Schulkindes. Es gibt zwar einen Anspruch auf Betreuung. Ob ich den nutze, bleibt aber mir überlassen. Persönlich finde ich auch, dass man mehr auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen müsste. Das juristisch durchzusetzen, halte ich allerdings für schwierig.

Welche Streitfälle werden Sie, Ihre Kolleginnen und Kollegen und die Gerichte in den kommenden Monaten beschäftigen?
Ich denke, wenn die Klausurtermine näherrücken, wird bei den Studentinnen und Studenten das Problembewusstsein steigen. Sie lernen derzeit auch unter gänzlich anderen Bedingungen. Und ich rechne mit einer nächsten Welle von Streitfällen, wenn demnächst die Zeugnisvergaben anstehen. Als die Schulen gerade geschlossen wurden, hat sich erst mal niemand für Noten interessiert. Das wird sich bald ändern.

Wie sollten Studierende, Eltern oder Schüler vorgehen, wenn sie ein Problem mit ihrer Einrichtung haben?
Zuerst einmal sollten sie sich an die Bildungseinrichtung wenden. Viele Verfahren sind in den vergangenen Wochen gescheitert, weil sofort Gerichte angerufen wurden, ohne erst einmal die Schule zu kontaktieren. Ich rate dazu, eine Mail an mehrere Adressen zu schicken, also beispielsweise an die Schulleitung, an die Klassenleitung und an das Sekretariat. Sie sollte freundlich formuliert sein. Meine Erfahrung ist, dass die meisten Lehrerinnen und Lehrer bemüht und bereit sind, Lösungen zu finden. Wenn sich niemand meldet oder die Reaktion bockig ausfällt, kann man immer noch darüber nachdenken, einen Anwalt einzuschalten.

Interview: Diana Unkart