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Volkswagen: Abgastricks sind nun Abgasbetrug.© Hauke-Christian Dittrich/picture alliance/dpa
Leitartikel

BGH-Urteil zum Dieselskandal: Ein Ende der Ausreden

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Dank des Bundesgerichtshofs sind Abgastricks nun Abgasbetrug. Dies ist wichtiger als das Geld für Autokäufer. Der Leitartikel.

Gefühlt war zum Dieselskandal längst alles gesagt. Natürlich hat VW betrogen, der Chef hat die Abgasmanipulation in einer Talkshow selbst so bezeichnet. Herbert Diess tut sich leicht damit, er war nicht dabei. Trotzdem ließ er schnell nachschieben, dass die Sache mit dem Betrug natürlich nicht juristisch zu verstehen sei.

Doch, ist sie: Der Bundesgerichtshof bescheinigt dem Konzern nicht nur sittenwidrige, arglistige Täuschung, sondern, besonders unangenehm, auch noch strategische Motive dabei. Das Gerede des früheren Konzernchefs Matthias Müller von Irrwegen einzelner Ingenieure ist damit endgültig zerlegt. Viel zu lange hat der Konzern geeiert, kleingeredet und verschleiert.

Das hat den Imageschaden maximiert, Prozessniederlagen und Milliardenlasten aber nicht verhindern können. Die Verlierer dieses Tages sind mit dem Konzern auch seine teuren Rechtsberater.

Der Bundesgerichtshof hat nun endgültig und wohlbegründet aus den vermeintlichen Abgastricks einen Abgasbetrug gemacht. Diese Feststellung ist wichtiger als das Geld für Zehntausende Autokäufer, die nun mit ihren Klagen ebenfalls Erfolg haben werden.

Dieses Urteil ist zwar teuer für VW, aber nicht so lukrativ für die Kläger, wie es zunächst klingt: Wollen sie ihren Kauf rückabwickeln, müssen sie das Auto zurückgeben, und die Nutzung wird vom Wert abgezogen. Am Ende kauft ihnen VW also einen Gebrauchtwagen ab. Das ist in der Regel wenig attraktiv, und so wird man sich in den meisten Fällen auf eine Entschädigungszahlung einigen und das Auto behalten.

Das liegt nahe an dem Vergleich, den die Verbraucherzentralen im großen Sammelverfahren ausgehandelt hatten. Es ist ein faires Urteil, das klare Worte findet. Aber es liefert kein Komfortpaket für die Kläger, wie es manche Empörte dem Konzern gegönnt hätten.

Einen strafenden Schadensersatz wie im US-Recht gibt es in Deutschland nicht, mit den genauen Verantwortlichkeiten werden sich weiter Staatsanwälte und Strafrichter auseinandersetzen – unter anderem im Fall des damaligen Vorstandschefs Martin Winterkorn.

Doch auch die klaren Worte bleiben nicht folgenlos. Sie beenden die Ausreden und juristischen Spitzfindigkeiten. Immerhin war man bei VW bis zum Schluss davon überzeugt, nicht gegen das Recht verstoßen zu haben. Die Autos seien zugelassen gewesen und hätten funktioniert.

Dem BGH gebührt das Verdienst, den laienhaften Reflex darauf in juristische Normen zu fassen: Wer die Lücken in Vorschriften so akribisch ausnutzt, dass das Ergebnis keinen realen Aussagewert mehr hat, verstößt gegen die Regeln und täuscht damit arglistig – schönen Gruß an alle, die das bisher für „Optimierung der Testprozedur“ gehalten haben.

Es gab und gibt sie in vielen Formen, auch bei anderen Autoherstellern und über diese Branche hinaus. Optimierung dieser Art gilt in Firmen als hohe Kunst. Sie wird auch nicht aussterben. Gleichzeitig halten sich Unternehmen viel auf gesellschaftliches Engagement zugute, haben ihre soziale Verantwortung zur strategischen Aufgabe erklärt.

VW selbst war ganz vorn auf diesem Weg, wollte nicht mehr nur der größte Autobauer der Welt sein, sondern „groß und gut“, wie es seine PR-Leute intern proklamierten. Wahrscheinlich waren sie sogar davon überzeugt – ein paar Monate bevor der Dieselbetrug bekanntwurde.

Der BGH hat für alle sichtbar den Abstand zwischen öffentlichem Anspruch und interner Wirklichkeit vermessen, und er ist riesig. Das gilt im Einzelfall für VW, grundsätzlich aber auch für viele andere. Gerade jetzt in Corona-Zeiten wird in der Werbung viel an das „Wir“ appelliert und ein diffuser Gemeinschaftsnutzen der Produkte ins Feld geführt. Der Dieselskandal und spätestens der BGH haben den Unternehmen gezeigt, was passiert, wenn hinter der schönen Fassade der Schrott zum Vorschein kommt.

Ein wenig hat es die Autoindustrie mittlerweile offenbar begriffen, denn zumindest neue Diesel erweisen sich auch in unabhängigen Alltagstests als sauber. Aber dafür ist es nun zu spät. Das Image des Dieselmotors und seiner Hersteller ist gleichermaßen dauerhaft belastet. Und der Bundesregierung wird es noch ein bisschen schwerer fallen, ihnen zum Beispiel mit einer Kaufprämie über die Runden zu helfen.