https://www.fr.de/bilder/2020/05/25/13775733/1311143995-_000_1s04cv_260520-X1DHAIVJUf9.jpg
„Wenn ich aufmache, scheitere ich.“ Restaurantbesitzer.  © AFP
Italien

Hilfe von der Mafia

by

Weil Staat und Banken sie in der Corona-Krise im Stich lassen, wenden sich viele italienische Geschäftsinhaber an Wucherer.

Ich war verzweifelt, ich befürchtete, meine ,tavola calda‘ (Imbiss-Bar) nie mehr aufmachen zu können“, berichtete der Geschäftsinhaber Stefano aus dem süditalienischen Foggia vergangene Woche der „Repubblica“. Von der Bank habe er trotz der Staatsgarantie für Corona-Kredite kein zusätzliches Darlehen mehr erhalten. So habe er die Hilfe von „Freunden“ angenommen, die ihm eine „schnelle Lösung“ und 20 000 Euro angeboten hätten. Mit dem Geld habe er die Löhne seiner Angestellten und einige Lieferantenrechnungen bezahlt. „Zwei Wochen später kamen die ,Freunde‘ wieder zu mir und wollten sofort die 20 000 Euro zurück, plus 20 000 Euro Zinsen. Da wurde mir bewusst, was für einen entsetzlichen Fehler ich gemacht habe“, berichtet der Bar-Inhaber.

So wie Stefano geht es inzwischen unzähligen Kleinunternehmern, Selbständigen und Familien, die im Lockdown ihr gesamtes Einkommen verloren. Die Wucherei ist das einzige Delikt, das in den vergangenen Monaten massiv zugenommen hat. Die übrigen Straftaten sind im Durchschnitt um mehr als 60 Prozent zurückgegangen.

Innenministerin Luciana Lamorgese schlägt deshalb Alarm: „Es besteht die Gefahr, dass ganze Wirtschaftszweige in die Abhängigkeit der organisierten Kriminalität geraten.“ Tatsächlich steht hinter den Wucherern meist die Mafia. Wenn ein Schuldner den Kredit und die Wucherzinsen nicht begleichen kann, wird ihm in der Regel Gewalt angedroht. Meist besteht dann der einzige Ausweg für das Opfer darin, den Gläubigern sein Geschäft zu verkaufen – zu einem von den Gangstern festgelegten Spottpreis. Den Tipp, dass sich ein Geschäftsmann in finanziellen Schwierigkeiten befinde, erhalten die Clans auch von Bankangestellten, Steuerberatern oder Treuhändern.

Hochkonjunktur haben die Wucherer vor allem in Süditalien, wo das organisierte Verbrechen stark verankert ist. In Neapel haben sich die Hilfegesuche bei der staatlichen Beratungsstelle für Wucher-Opfer zuletzt verfünffacht. Ein ähnliches Bild ergibt sich auch in Apulien, Sizilien und Kalabrien. Weil sich viele Opfer dafür schämen, sich Geld bei der Mafia geliehen zu haben, ist die Dunkelziffer wahrscheinlich hoch.

Das Innenministerium versucht seit langem, den Wucherern mit speziell ausgebildeten Ermittlern das Handwerk zu legen. Paradoxerweise ist es gerade der Staat, der gegenwärtig maßgeblich die „Geschäfte“ der Halsabschneider fördert: Trotz zweier staatlicher Hilfspakete im Gesamtumfang von 80 Milliarden Euro warten immer noch rund vier Millionen vom Lockdown betroffene Italiener auf die versprochenen Hilfen. Sie haben seit Anfang März noch keinen Cent an staatlicher Unterstützung gesehen. Schuld daran trägt die italienische Bürokratie, die den Wucherern in die Hände spielt.

Die „Repubblica“ hat unlängst vorgerechnet, dass ein Geschäftsmann, der einen Corona-Kredit beantragt, bis zu 18 Dokumentationen einreichen muss, die seine Kreditwürdigkeit bestätigen – und das für einen garantierten Kredit, bei dem die Bank nichts riskiert.

„Es ist unbestritten, dass die Prozedur für staatliche Hilfen viel zu aufwendig und zu langsam ist“, betonte in diesen Tagen die nationale Anti-Schutzgeld-Kommissarin Annapaola Porzio. Das sei unhaltbar, denn „für hunderttausende kleine Betriebe geht es in diesen Tagen und Wochen um Leben oder Tod.“ Die organisierte Kriminalität dagegen könne in Echtzeit reagieren und kenne keine Regeln, an die sie sich halten müsse.