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Nicht nur eine Frage der Dosis: Weil weibliche Nieren langsamer arbeiten als männliche, sind Frauen etwa bei Wirkstoffen im Nachteil, die über die Nieren ausgeschieden werden.© PantherMedia / Dmitriy Shironoso
Medikamente

„Studien müssten dringend mehr ältere Menschen einschließen“

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Und vor allem mehr Frauen, sagt Petra Thürmann, die zur Wirkung von Medikamenten forscht. Ein Gespräch über lückenhafte Tests, dehnbare Begriffe und warum Männer höhere Dosen Schmerzmittel vertragen als Frauen.

Krankheiten äußern sich bei Frauen oft anders als bei Männern, ein Beispiel mit schwerwiegenden Folgen ist der Herzinfarkt. Auch pharmazeutische Stoffe wirken bei den Geschlechtern häufig nicht auf die gleiche Weise, wie man seit einigen Jahren weiß. Trotzdem sind bei klinischen Studien zur Wirksamkeit und Verträglichkeit von Medikamenten Frauen zum Teil immer noch unterrepräsentiert. Petra Thürmann leitet das Zentrum für Klinische Forschung am Helios Universitätsklinikum in Wuppertal und forscht zur Wirkung von Medikamenten bei unterschiedlichen Geschlechtern und Altersgruppen.

Frau Thürmann, bei vielen Produkten wird zwischen Frauen und Männern unterschieden, bei Gesichtspflege, Duschgels oder Shampoos zum Beispiel. Bei Arzneimitteln ist das nicht so, es sei denn, sie richten sich ausdrücklich nur an ein Geschlecht wie etwa Hormonpräparate. Sind Medikamente wirklich Unisex?

Nein, das Prinzip „One fits all“ gilt bei Medikamenten nicht. Frauen und Männer können sehr unterschiedlich auf Inhaltsstoffe reagieren. Das hängt schon allein damit zusammen, dass Frauen im Durchschnitt acht bis zehn Kilo leichter sind als Männer und das Verhältnis von Fett, Wasser und Muskelmasse bei ihnen ein anderes ist.

Wirkt sich das auf die Dosis aus, die vertragen wird oder nötig ist, um die optimale Wirkung zu erzielen?

Die Unterschiede bei Körpermasse und -aufbau können bei manchen Wirkstoffen für Frauen eine geringere Dosis erforderlich machen. Aber es gibt noch zwei andere wesentliche Unterschiede: So ist die weibliche Leber bei manchen Enzymen üppiger und bei anderen Enzymen geringer ausgestattet als die männliche. Viele Arzneimittel werden über diese Enzyme abgebaut. Manche werden bei Frauen langsamer abgebaut, wirken länger und stärker, andere hingegen werden schneller abgebaut. Weil die weiblichen Nieren langsamer arbeiten als die männlichen, sind Frauen zudem bei solchen Wirkstoffen im Nachteil, die über die Nieren ausgeschieden werden. Viele physiologische Vorgänge werden überdies von Hormonen beeinflusst, zum Beispiel die Herzreizleitung. Bestimmte Herzrhythmusstörungen, sogenannte Torsade-de-pontes-Arrhythmien, treten deshalb bei Frauen als Nebenwirkung mancher Medikamente doppelt so häufig auf wie bei Männern.

Ist es auch möglich, dass – unabhängig von den Nebenwirkungen – das gleiche Medikament bei Frauen anders wirkt als bei Männern?

Ja. Ein Beispiel dafür ist das Schmerzmittel Morphin. Männer brauchen mehr davon als Frauen – selbst dann, wenn die Dosis dem Gewicht schon angepasst ist. Das liegt daran, dass sich die Morphin-Moleküle an den Rezeptoren der Nervenzellen im Gehirn anders andocken.

Spiegeln sich die von Ihnen skizzierten Unterschiede zwischen den Geschlechtern auch bei den Testverfahren von Medikamenten wider?

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Petra Thürmann bekleidet den Lehrstuhl für Klinische Pharmakologie der Uni Witten/Herdecke und leitet das Zentrum für Klinische Forschung am Helios Universitätsklinikum Wuppertal. © Mutzberg

Es gibt verschiedene Stadien, die Medikamente durchlaufen, bevor sie zugelassen werden. Vor allem in der frühen klinischen Prüfung, wenn ein Mittel erstmals an Menschen erprobt wird, geschieht das überwiegend an Männern. Das hat damit zu tun, dass man zu diesem Zeitpunkt noch nicht genug über die Embryotoxizität einer Substanz weiß. Denn theoretisch könnte eine Studienteilnehmerin schwanger sein oder werden.

Das klingt zunächst einmal sinnvoll.

Man will kein Risiko eingehen. Das ist auch vor dem Hintergrund des Contergan-Skandals Anfang der 1960er Jahre zu sehen. Contergan war ein rezeptfreies Beruhigungs- und Schlafmittel, das bei der Einnahme in der Schwangerschaft den Fötus schwer schädigen konnte. Auf der anderen Seite aber sieht man gerade in den ersten klinischen Studien, wie sich ein Wirkstoff im Körper verteilt und wie er ausgeschieden wird. Wenn man dann keine Frau dabei hat, verpasst man etwas. Zwar ist es so, dass Hersteller für die Zulassung nachweisen müssen, dass beide Geschlechter in ihren Studien eingeschlossen waren. Aber in der Regel wird die Zulassung nicht untersagt, wenn nicht genug Frauen an den Tests teilgenommen haben.

Lässt sich abschätzen, in welchem Maß Frauen bei Studien zu Medikamenten unterrepräsentiert sind?

Das ist schwer zu sagen und sehr unterschiedlich. Es gibt eine Analyse der US-amerikanischen Zulassungsbehörde, dass bei manchen Erkrankungen Frauen nicht in dem Prozentsatz an Studien beteiligt sind, zu dem sie diese Erkrankung im wahren Leben haben. Dazu zählt auch der akute Herzinfarkt. Zu 40 Prozent sind Frauen davon betroffen und man sollte erwarten, dass an den Studien deshalb auch 40 Prozent Frauen teilnehmen. So ist es aber nicht. Bei Medikamenten zur Behandlung eines akuten Herzinfarkts sind Frauen um den Faktor 0,6 unterrepräsentiert. Auch bei Studien für Medikamente gegen Darmkrebs verhält es sich so. Bei Mitteln gegen Rheuma und Vorhofflimmern hingegen sind weibliche Teilnehmerinnen überproportional vertreten. Warum das so ist, lässt sich nicht erklären.

Gibt es einen Schlüssel für den Frauenanteil bei Medikamententests?

Feste Vorgaben existieren nicht – wohl aber Richtlinien der amerikanischen und der europäischen Zulassungsbehörde, denen zufolge Frauen „adäquat repräsentiert“ sein sollen.

Ein dehnbarer Begriff.

Wenn man sich die Auswertung von Studien anschaut, ist es oft überraschend, wie wenig Frauen teilgenommen haben. So war das Verhältnis von Männern und Frauen bei einem relativ neuen Medikament gegen Gicht 17 zu eins. Trotzdem hat das Mittel in Europa die Zulassung für beide Geschlechter bekommen – allerdings mit der Auflage, in den nächsten Jahren Daten über Frauen nachzuliefern.

Woran liegt es, dass so wenige Frauen an solchen Studien teilnehmen? Einfach nur daran, dass sich mehr Männer freiwillig zur Verfügung stellen?

Eine Annahme lautet tatsächlich, dass Frauen mehr Angst vor Forschung hätten und deshalb weniger an Studien teilnehmen würden. Aber es gibt auch die sehr interessante Beobachtung, dass Ärztinnen mehr Frauen in ihre Studien aufnehmen als ihre männlichen Kollegen. Es könnte sich also auch um eine Art Paternalismus der wissenschaftlich tätigen Ärzte handeln, die sich nicht trauen, Frauen in ihre Studien einzuschließen. Letztlich ist nicht ganz klar, woran es liegt.

Wie funktioniert es eigentlich, dass man in eine Studie aufgenommen wird?

In fortgeschrittenen klinischen Studien sind die Teilnehmer Patienten mit einem bestimmten Krankheitsbild. Die Auswahl trifft der Arzt oder die Ärztin, der oder die sie behandelt. Wenn es ein neues Medikament gibt, das getestet werden soll und jemand in die Studie reinpasst, wird er oder sie nach der Bereitschaft zur Teilnahme gefragt.

Seit wann kennt man das Problem, dass die Geschlechter unterschiedlich auf Medikamente reagieren und Frauen zu wenig in Studien vertreten sind?

Vor 20, 30 Jahren ist erstmals aufgefallen, dass Frauen oft stärkere Nebenwirkungen auf Medikamente entwickeln als Männer. Anfang der 1990er Jahre, als es um Grenzwerte und Leitlinien für Medikamente ging, hat sich eine amerikanische Internistinnengruppe weltweite Studien angeschaut und festgestellt, dass an vielen Studien vor allem Männer teilgenommen haben. Seit Anfang der 2000er Jahre waren dann erste Veränderungen spürbar. Denn die Situation hat sich mittlerweile schon deutlich verbessert im Vergleich zu früher.

Wenn ich als Patientin auf den Beipackzettel schaue, sehe ich allerdings meist nur Differenzierungen zwischen Kindern und Erwachsenen, aber nicht zwischen Männern und Frauen.

In den Fachinformationen für Ärzte und Apotheker werden diese Unterschiede thematisiert. Dort ist durchaus eine Zunahme an solchen Informationen zu erkennen.

Das heißt, die Mediziner und Apotheker müssen es an die Patientinnen und Patienten weitergeben. Wie sieht es mit freiverkäuflichen Medikamenten wie Schmerzmitteln aus, die man beim Kauf oft unkommentiert über die Ladentheke gereicht bekommt? Sollte ich da als Frau auf Verdacht lieber weniger nehmen?

Bei gängigen Schmerzmitteln sind die Unterschiede bei der Wirkung zwischen den Geschlechtern nicht so groß. Fast immer betroffen sind allerdings besonders leichte Frauen, die nicht mehr als 50 oder 60 Kilogramm wiegen, vor allem dann, wenn sie älter sind. Denn im Alter wird bei Frauen die Nierenfunktion schlechter. Bei Ibuprofen etwa sollte man dann eine Einzeldosis von 400 Milligramm nur auf ausdrückliche ärztliche Verordnung hin überschreiten.

Ältere Menschen nehmen ja häufig die meisten Medikamente ein. Wird das ausreichend in den Tests berücksichtigt?

Leider nein. Die meisten klinischen Studien laufen mit Menschen unter 70. Genommen werden die Mittel dann von deutlich älteren Patienten. Studien müssten dringend mehr ältere Menschen einschließen, vor allem ältere Frauen. Im Alter verändert sich die Nierenfunktion, Muskelmasse geht verloren, Arzneistoffe verteilen sich anders, werden anders ausgeschieden. Außerdem kann die gleiche Nebenwirkung bei einem alten Menschen fatale Folgen haben. Ich denke da zum Beispiel an Schwindel, eine häufige Nebenwirkung, die bei Antidepressiva, aber auch bei Antibiotika oder bestimmten Schmerzmitteln auftreten kann. Junge Menschen vertragen Schwindel, ältere Menschen stürzen und verletzten sich schwer. Man muss auch berücksichtigen, dass manche Stoffe negativ auf ein betagtes Gehirn wirken und Symptome hervorrufen können, die dann mit Demenz verwechselt werden. Um mehr alte Menschen in Studien einzuschließen, wäre eine andere Logistik erforderlich. Denn für eine alleinlebende Dame, die sich mit dem Rollator kaum noch vor die Tür traut, ist es nicht zumutbar, regelmäßig zur Blutabnahme aus dem Haus zu gehen. Es müssten deshalb unter anderem Fahrdienste angeboten werden.

Was wünschen Sie sich für die Medikamentenentwicklung in der Zukunft?

Wünschenswert wären verbindliche Leitlinien der Zulassungsbehörden, die bestimmen, dass eine angemessene Zahl von Frauen an den Studien teilnimmt, am besten in allen Altersklassen. Es sollte so sein, dass ein Hersteller ausreichende Daten hierzu vorlegen muss, damit er die Zulassung bekommt.

Interview: Pamela Dörhöfer