Abschied von Borussia Dortmund

Götzes Dilemma

Nach dem Aus für Mario Götze beim BVB häufen sich die Abgesänge auf seine Karriere. Dabei besitzt er noch immer herausragende Fähigkeiten. Nur wird es schwer, einen Klub zu finden, bei dem sie gefragt sind.

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BVB-Trainer Lucien Favre über Mario Götze: "Ich habe ihm klar gesagt, dass das nicht das ideale System für ihn ist"
Adam Davy/ dpa

Wer heute etwas über die Trennung von Borussia Dortmund und Mario Götze las, konnte den Eindruck bekommen, Götze sei als Fußballer gescheitert. "Der moderne Fußball hat sich weiterentwickelt, Götze blieb stehen!", hieß es bei Bild.de. "Große Spieler scheitern niemals am System. Wenn Lionel Messi nicht ins System passt, wird das System zum Teufel gejagt, nicht Messi", schrieb die "Welt".

Götze, der mit 22 Jahren zum WM-Finalhelden wurde, "Zeig' der Welt…" - Sie wissen schon. Die Art des Abgangs beim BVB, wo Götze meist auf der Bank sitzt, sorgt für eine Fallhöhe, die verlockend sein mag für Abgesänge. Warum sein Abschied aus taktischer Sicht aber sinnvoll für Klub wie Spieler ist, geht derzeit unter. Genau wie die Tatsache, dass Mario Götze das Fußballspielen nicht verlernt hat. Er spielt nur anders als in jungen Jahren.

Am Samstag hatte BVB-Sportdirektor Michael Zorc verkündet, dass sich Klub und Spieler zum Saisonende trennen. Tags zuvor hatte Trainer Lucien Favre über Götze gesagt: "Wir spielen momentan 3-4-3. Und ich habe ihm klar gesagt, dass das nicht das ideale System für ihn ist." Das wurde als Kritik an Götzes Fähigkeiten gedeutet. Eigentlich ist es aber bloß eine Zustandsbeschreibung.

Wenn die Räume eng werden, kann Götze glänzen

Manche Fußballfans hören den Namen Mario Götze und denken an einen Offensivspieler, der Tempo aufnimmt und an Verteidigern vorbeidribbelt. Schließlich hat Götze den Vollgasfußball der BVB-Elf unter Jürgen Klopp mitgeprägt. Aber seine Spielweise hat sich gravierend geändert, und das schon vor Jahren. "Jeder Fußballer entwickelt sich weiter. Den alten Mario Götze wird es nicht mehr geben", hatte Götze schon 2016 gesagt. 

Götze großes Plus sind seine Technik und seine Spielintelligenz. Das macht ihn zu einem exzellenten Spieler für gewisse Situationen: Wenn die Räume eng werden auf dem Platz, weil die gegnerische Abwehr tief steht, sind solche Fähigkeiten besonders gefragt. Dann geht es für offensive Mittelfeldspieler wie ihn darum, die wenigen Freiräume aufzuspüren, darin Bälle zu empfangen und diese sauber und schnell zu verarbeiten.

Wenn es ums Klein-Klein geht, um kurze, schnelle Pässe, ums Kombinieren, zählt Götze noch immer zu den besten im deutschen Fußball. In dieser Hinsicht könnte man ihn wohl ohne große Bedenken beim FC Barcelona unterbringen.

Beim BVB sind diese Fähigkeiten aber nicht mehr so gefragt. Favres aktuelle Ausrichtung ist in doppelter Hinsicht unpassend für Götzes Taktikprofil. Er lässt ohne echten Zehner oder offensive Acht spielen, jene Rollen im offensiven Mittelfeld, in denen Götzes Eigenschaften am besten zum Tragen kommen. Und im Angriff setzt Dortmund vor allem auf Dynamik.

Als die Borussia unter Favre noch geduldiger spielte, hatte Götze überzeugende Auftritte. Als falsche Neun etwa, einer technisch-taktisch besonders anspruchsvollen Rolle, in der es ums Erkennen von Lücken in der eigenen Formation geht und darum, sie aufzufüllen, Verbindungen oder Überzahl zu schaffen.

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Götze mit Ex-Trainer Jürgen Klopp: Das Foto stammt aus dem August 2012
Carmen Jaspersen/ dpa

Nun aber gehört das Sturmzentrum Erling Haaland, die beiden verbliebenen Offensivpositionen im 3-4-3 besetzten zuletzt meist Julian Brandt und Jadon Sancho oder Thorgan Hazard. Sie sind im Vergleich zu Götze wuchtiger, sie gehen häufiger ins Dribbling. Laut Whoscored.com suchen in der Bundesliga nur die Spieler des FC Bayern öfter das Eins-gegen-eins als die des BVB. Götze aber ist längst kein erfolgreicher Dribbler mehr. Schnell im Kopf ist er, das schon. Aber die Beine? Bei der Borussia sind ihm die Konkurrenten diesbezüglich enteilt.

Götze aufzubieten hieße für Favre, die Dynamik des Dortmunders Spiels zu verändern. Nur: Warum sollte der Trainer das tun? Der BVB hat neun der vergangenen zehn Spiele gewonnen.

Zur Wahrheit gehört aber auch das: Was den Einfluss auf die Offensive einer Mannschaft betrifft, hat etwa Brandt Götze mittlerweile überholt. Er ist im Schnitt häufiger an entscheidenden Aktionen beteiligt und im Vergleich der komplettere Spieler. Er ist ein Gewinn sowohl für die Mannschaft, die schnell zum Abschluss kommen will, als auch für die, die geduldig spielt.

Götze glänzt vor allem dann, wenn sein Team viel Ballbesitz in der gegnerischen Hälfte hat. Wenn er Spieler neben sich hat, mit denen er kombinieren kann. Auf seinem Gebiet ist er noch immer sehr gut, aber womöglich ist dieses Gebiet nicht mehr groß genug, um ihn in die Stammelf entsprechender Mannschaften zu befördern. Das sind auf Spitzenniveau ohnehin nicht allzu viele. Manchester City, Barcelona oder Paris Saint-Germain. Klubs, die sich für Alleskönner interessieren, für Weltklassespieler.

Wohin Götze gehen wird, ist offen. Darin besteht nun sein Dilemma: Er muss einen Klub finden, zu dem seine Spielweise passt. Doch auf hohem Niveau sind das sehr wenige. Und die Frage ist, ob Mario Götze sich in den vergangenen Jahren für genau diese Klubs interessant gemacht hat. 

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