Urteil
VW muss wegen Dieselskandal Schadenersatz zahlen - Was das für Kunden bedeutet
by Tobias KislingKarlsruhe/Wolfsburg. Der Bundesgerichtshof hat entschieden: Volkswagen muss klagenden Diesel-Käufern Schadenersatz zahlen. Was bedeutet das für Kunden?
- Im seit 2015 laufenden Verfahren gegen den Autokonzern Volkswagen kam der Bundesgerichtshof (BGH) am Montag zu einem ersten Grundsatzurteil im Dieselskandal
- Das Gericht geht von einer „vorsätzlichen sittenwidrigen Täuschung“ durch VW aus – Kunden steht damit Schadenersatz zu
- Der Anspruch auf Schadenersatz gilt mit gewissen Abzügen. Was bedeutet das für Kunden?
Tausende Besitzer eines VW-Autos mit Diesel-Schummelsoftware haben nun Klarheit: Volkswagen hat sie „vorsätzlich sittenwidrig geschädigt“. Zu diesem Schluss kam am Montag der Bundesgerichtshof (BGH) in einem ersten Grundsatzurteil zum Dieselskandal (Az. VI ZR 252/19).
Klagenden Kunden steht demnach grundsätzlich ein Schadensersatz zu – mit gewissen Abzügen. Unsere Redaktion beantwortet die wichtigsten Fragen zum BGH-Urteil.
Was bedeutet das BGH-Urteil für VW-Kunden?
Wer sich ein VW-Auto mit dem Motortyp EA189 mit der illegalen Abschaltsoftware gekauft hat und gegen Volkswagen klagt, kann Schadenersatz erhalten, wenn er sein Auto zurückgibt. Damit ist das Urteil des BGH im Wesentlichen ein Erfolg für VW-Kunden, die weiterhin vor den Landesgerichten auf Urteile warten. Rund 60.000 Verfahren sind laut VW-Angaben derzeit noch offen.
Aber es gibt eine entscheidende Einschränkung: Wenn die Kunden nun ihr Fahrzeug zurückgeben, erhalten sie nicht mehr den vollen Kaufpreis. Stattdessen wird eine sogenannte „Vorteilsausgleich-Nutzungsentschädigung“ abgezogen, wie der Vorsitzende Richter am BGH, Stephan Seiters, verkündete. Konkret heißt das: Mit jedem gefahrenen Kilometer verringert sich der Wert, den VW erstatten muss.
Eine pauschale Zahl, wie viel VW erstatten muss, gibt es nicht. Denn der Wert, der vom ursprünglichen Kaufpreis abgezogen wird, ist von mehreren Faktoren abhängig. Neben den gefahrenen Kilometern fließt in die Berechnung beispielsweise auch mit ein, wie viel Kilometer ein Auto insgesamt fahren kann. Im konkreten Fall, der vor dem BGH verhandelt wurde, wurde ein Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz bestätigt. Das OLG ging davon aus, dass das Fahrzeug grundsätzlich 300.000 Kilometer fahrtüchtig sei – ein verhältnismäßig hoher Wert, der an anderen Gerichten etwas niedriger angesetzt werden könnte.
Was bedeutet das Urteil für Kläger der Musterfeststellungsklage?
Wer sich der Musterfeststellungsklage des Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) angeschlossen und den Vergleich mit VW akzeptiert hat, kann keine weiteren Ansprüche stellen. Die Einigung sieht vor, dass Volkswagen rund 15 Prozent des ursprünglichen Kaufpreises erstattet. 235.000 Kunden zahlt VW insgesamt rund 750 Millionen Euro. Die Dieselkunden erhalten je nach Alter und Typ des Fahrzeugs Beträge zwischen 1350 und 6250 Euro als Entschädigung.
Relevant ist das Urteil aber für all jene, die den Vergleich nicht akzeptiert haben und weiter rechtlich gegen VW vorgegangen sind.
Können VW-Kunden jetzt noch klagen?
Diese Frage ist nach wie vor unklar. Grundsätzlich haben Geschädigte drei Jahre Zeit, um zu klagen, anschließend gilt ein Fall als verjährt. Die entscheidende Frage im Dieselskandal ist, wann dieser Berechnungszeitraum beginnt. Volkswagen beruft sich auf das Schreiben an die Kunden, in dem der Konzern 2015 über die Schummelsoftware aufklärte. Damit wäre der Fall 2018 verjährt und eine Klage nicht mehr möglich.
Allerdings gibt es auch Rechtsexperten, die erst mit dem BGH-Urteil eine Klarheit über die Täuschung verbinden. Sollten sie Recht bekommen, hätten VW-Kunden noch drei Jahre Zeit, um zu klagen. Wann der Verjährungszeitraum anzusetzen ist, muss noch gerichtlich entschieden werden.
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Was bedeutet das Urteil für Volkswagen?
Volkswagen versuchte mit einer Revision, den Schadensersatz-Zahlungen gänzlich zu entgehen. VW-Fahrern sei kein Schaden entstanden, argumentierte der Wolfsburger Autobauer, die Fahrzeuge seien uneingeschränkt nutzbar gewesen und auch die Zulassung beim Kraftfahrtbundesamt (KBA) hätten Kunden mit dem Software-Update erhalten können.
Das sei aber gar nicht der Punkt, argumentiert der Bundesgerichtshof. Der Schaden sei bereits beim Abschluss des Kaufvertrages entstanden. Hätte der Käufer zu diesem Zeitpunkt von der illegalen Abschalteinrichtung gewusst, hätte er den Kaufvertrag wahrscheinlich gar nicht erst geschlossen, so die Argumentation der Richter. Insofern sei es auch nicht relevant, ob es irgendwann ein Software-Update gab, das der Käufer beim Kaufzeitpunkt ohnehin nicht gewollt habe, da er von einem schadfreien Auto ausging.
Ebenfalls geklärt wurde die Frage, ob VW denn überhaupt schuld sei, wenn die Entscheidung über die Schummelsoftware nur bei einzelnen Personen gelegen hätte. Auch hier fällte der BGH ein klares Urteil. Der Leiter der Entwicklungsabteilung und auch das Management hätten Kenntnis von der illegalen Abschalteinrichtung gehabt, insofern handele es sich um eine langjährige und strategische unternehmerische Entschädigung – und um sittenwidriges Verhalten.
Für VW bedeutet das, dass nun in den ausstehenden Verhandlungen weitere hohe Zahlungen fällig werden. Zum anderen ist der Richterspruch aber auch mit einem Imageschaden verbunden. Denn VW wurde nun höchstrichterlich die „arglistige Täuschung“ bescheinigt.
Wie geht es nun weiter?
VW kündigte nach dem BGH-Urteil an, die offenen Verfahren „zeitnah“ zu beenden. „Wir werden hier mit entsprechenden Vorschlägen auf die Kläger zugehen“, teilte der Konzern mit. Den Klägern sollen Einmalzahlungen angeboten werden. Die Höhe dieser Zahlungen hänge vom Einzelfall ab.
Warum kam es erst fünf Jahre nach Bekanntwerden des Skandals zu einem Urteil?
Bisher hat sich Volkswagen stets mit Klägern verglichen, bevor ein Rechtsstreit vor dem BGH landen konnte. Dieses Mal war das anders. Der Kläger, ein Mann aus Rheinland-Pfalz, ging nicht auf Vergleichsangebote ein, sondern brachte das Verfahren bis vor die höchste richterliche Instanz. Er wollte den kompletten Preis von knapp 31.500 Euro für den Kauf seines 2014 erworbenen VW Sharans zurück.
Diesen bekommt er nicht – aber der Bundesgerichtshof bestätigte ein Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz, wonach dem Mann gut 25.600 Euro plus Zinsen gegen Rückgabe seines Autos zustehen.
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Auch die Konzernchefs persönlich waren ins Visier der Justiz geraten. Das Dieselskandal-Verfahren gegen VW-Chef Diess wurde nun aber eingestellt. Wegen Betrugs, Falschbeurkundung und Steuerhinterziehung wurde zudem Anklage gegen mehrere VW-Mitarbeiter erhoben.
(dpa/tb/tki)